Friluftsliv – Hauptsache draußen!

Das norwegische Friluftsliv ist eine Kultur der Bewegung und des Naturerlebens. Im Sinne dieser Philosophie werden Kölner StudentInnen im südnorwegischen Bortelid zu Reise- und Naturführern ausgebildet. Ein Selbstversuch

VON MANUEL KRONS

Endlich beginnt das Herzstück der Reise. Fünf Tage durch das hügelige Fjell. Reichen zwei Paar Handschuhe? Was soll das eigentlich heißen „Friluftsliv im Winter“? Und warum können scheinbar alle anderen Skifahren?

Schon die Auffahrt mit dem einzigen Schlepplift von Bortelid gestaltet sich auf den sperrigen Langlaufski als erste Herausforderung für die 13 Studenten der Deutschen Sporthochschule Köln. Einige sind wahrhaftige Ski-Anfänger. Dozent Dr. Gunnar Liedtke hatte zuvor zwar die Situation mit Hilfe von Skistöcken simulieren lassen, dennoch wirken einige Teilnehmer vor dem Schleppkran unsicher. Als Erste unternimmt Alex einen erfolgreichen Versuch: Sie pariert den kräftigen Anzug der Stahlseile und verschwindet langsam in Richtung des 884 m hohen Gipfels des Vardeheii. Oben nimmt ein eisiger Wind die Sportstudenten in Empfang. Hier beginnt ein von Nichtnorwegern unentdecktes Langlaufparadies.

Nach einer Weile ist man auf angenehme Weise allein. Rhythmisch finden die Ski an den Füßen ihren Weg durch den Schnee. Es kommt einem vor, als würde man in der endlosen Winterlandschaft an nichts denken.

Später ist das Naturerlebnis der Erschöpfung gewichen. Alexandra kämpft sich im Grätenschritt einen Anstieg hinauf. Die 34-Jährige ist hinter ihre Kommilitonen zurückgefallen. Vor ihr ist niemand mehr zu sehen. Selten zeigt ihre Pulsuhr, mit der alle Studenten ausgerüstet sind, weniger als 160 Schläge pro Minute an. Kursleiter Gunnar Liedtke, der gebürtige Hamburger folgt seiner Studentin. Bis zur Hütte von Gaukhei sind es noch acht Kilometer.

Fast zwei Duzend Stürze sind es heute schon. Die ungeübten Beine verlieren auf den kurvigen Bergabstücken schnell das Gleichgewicht. Der schwere Rucksack verleiht die Grazie eines gestrandeten Hirschkäfers. Vom ständigen Hochhieven schmerzen die Fußgelenke. Aber was sind schon zehn Stürze gegen eine einzige geglückte Abfahrt?

Sportwissenschaftler Helge Knigge bleibt respektvoll vor einem steil abfallenden Teilstück stehen. Der 37-Jährige ist auf den dünnen, wackeligen Brettern mehr ein Kämpfer als ein Könner. Doch dieses Mal beendet er die Herausforderung aufrecht.

Am nächsten Morgen: Gunnar Liedtke, der Dozent, steht oberhalb einer meterhohen Schneewehe. Nach dem Frühstück und einer kurzen Schulung im Umgang mit Kompass und Karte in der Hütte von Gaukhei hat er die Gruppe auf einen Skiausflug geführt. Mit einer Lawinensonde prüft der 36-Jährige jetzt, wie hoch sich der Schnee an den einzelnen Stellen der Wehe aufgetürmt hat. Überall versingt die 2,50 m lange Sonde vollständig im weichen Untergrund. Keine Steine, keine Felsen. Optimale Bedingungen für einen Schneehöhlenbau. Der steht heute, inklusive einer verbindliche Übernachtung, für die Studenten auf dem Plan. Am frühen Nachmittag können die Schneehöhlenschaufler schon erste Ergebnisse präsentieren. Lars hat sich in beachtlichem Tempo wie ein Maulwurf einen Unterschlupf gegraben, der eher an ein Appartement erinnert. „Geile Höhle“, findet er. Während sich beim Iglu erst eine Art Fundament erkennen lässt, stellen auch die Schneeglockenerbauer ernüchtert fest, dass ihr Unternehmen eher von langwieriger Natur ist. Unter Anweisung von „Bauleiterin“ Marla Johst haben zwei Studentinnen einen Rundgraben ausgehoben. In dessen Mitte thront nun ein 1,80 m hoher Schneeberg. Vom Fuße des Grabens aus versucht Karin sich in die so entstandene „Glocke“ vorzugraben.

Die Schneeglocke ist nicht der gemütlichste Schlafplatz aber es ist erstaunlich „warm“. Die doppelten Schlafsäcke sorgen dafür, dass sich daran nichts ändert. Hoffentlich halten die Wände.

Früh am Morgen steht die inzwischen auf zehn Studenten geschrumpfte Gruppe reisefertig mit Rucksack und – auf den nun etwas vertrauteren – Ski vor der Hütte Josephsbu. Wegen Knie- und Knöchelschmerzen haben Alex, Anne und Marla sich für den kürzeren Rückweg von Gaukhei entschlossen. Auf die übrigen zehn wartet die berüchtigte 25 Kilometer weite Strecke nach Bortelid. Im letzten Winter soll ein Kurs erst in der Dunkelheit, nach einer strapaziösen elf Stunden langen Wanderung die Fjellschule Bortelidseter erblickt haben. Darauf angesprochen zuckt Dr. Liedtke mit den Achseln: „Man kommt nie an“, sagt er. Eine Einstellung, die sich nicht nur für den bevorstehenden langen Weg als hilfreich erweisen wird.