Die Exsozialistin

Ihren Wechsel zur CDU erklärt sie undramatisch: „Das ist so, wie wenn man eine neue Frisur hat“ Die Historikerin liebt die Französische Revolution. Ihr Geld verdient sie als Reitlehrerin

VON BARBARA BOLLWAHN

Der 24. Juli ist Andrea Link noch sehr präsent. Das ist der Tag, an dem sie ihr Mitgliedsbuch zerriss und nach elf Jahren aus einer Partei austrat. Ihre Partei, das war die PDS, die seit diesem Tag „Die Linkspartei.PDS“ heißt. Für Andrea Link ein Etikettenschwindel. „Die Leute wollten das Label ‚PDS‘ nicht, also benennen wir uns um.“ Dieser Umbenennung hat sie eine wichtige Erkenntnis zu verdanken. „Vielleicht war ich einfach in der falschen Partei.“

Im tiefen Westen des Landes, wo die Nachfolgerin der SED naturgemäß einen schweren Stand hat, hatte sie fünf Jahre nach dem Mauerfall, da war sie gerade einmal 25 Jahre, beschlossen, die Ostpartei in ihrer Westheimat heimisch zu machen. Mit zehn, elf Hanseln begann sie in Mainz, einen Kreisverband und später den Landesverband Rheinland-Pfalz aufzubauen, zu dessen Vorsitzender sie dreimal gewählt wurde. Von 1999 bis 2004 arbeitete sie als parlamentarische Assistentin für die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann. Einen Monat nach ihrem Austritt hat die jetzt 36-Jährige einen Aufnahmeantrag für die Christlich Demokratische Union gestellt.

Andrea Link sitzt im Wohnzimmer ihrer Wohnung in Finthen, einem Vorort von Mainz, dessen Bewohner in der rheinischen Karnevalsstadt gern als rückständiges Bergvolk verspottet werden. Sie ist umgeben von französischen Büchern, von denen die meisten mit der Revolution zu tun haben. Zur Begleitung von Mozarts Klaviersonaten steckt sie die erste von vielen Zigaretten in ihre Zigarettenspitze und erzählt ganz unbefangen von ihrem Irrtum.

Als wollte sie ihre neue politische Heimat auch in ihrem Äußeren zum Ausdruck bringen, trägt die 1,82 Meter große Frau ein schwarzes Poloshirt, eine schwarze Hose, eine schwarze Perlenkette, ein schwarzes Band im schwarzen Haar, das sie zu einer ähnlichen Frisur gebunden hat wie Sahra Wagenknecht. Einen Vergleich mit der Ikone der Kommunistischen Plattform, und sei es auch nur ein äußerlicher, verbittet sie sich. Mit diesen „Radikalinskis“, die „Riesensprüche draufhaben, die Welt zu verändern, aber nicht die Partei“, hatte sie noch nie etwas am Hut. „Nein, nein“, sagt Andrea Link und lacht, „ich habe schon vorher Schwarz getragen.“

Wie kommt jemand wie Andrea Link, geboren und aufgewachsen in Mainz, ein Meenzer Mädsche also, ohne DKP- oder sonstige sektiererische Vergangenheit zur PDS? Wieder lacht Andrea Link. „Nichts in meinem Umfeld hat mich dazu prädestiniert.“ Die Mutter ist Ministerialbeamtin und in der Kirche engagiert, der Vater Schulleiter, beide parteilos. Andrea Link besucht eine katholische Klosterschule und beginnt früh, sich für Geschichte zu interessieren. Sie setzt sich mit der russischen Revolution auseinander, deckt sich auf von der Kirche und der Schule organisierten Grenzlandfahrten in der DDR, die sie als „graubraun muffig, total spießig und mit einem volontaristischen Willen, fröhlich zu sein“ empfand, mit Werken von Marx, Engels und Lenin ein. „Nicht so der Bringer“, sagt sie, „aber ich wollte mich nicht auf Sekundärliteratur verlassen.“ Ihre Mutter verbannt die berühmten blauen Bände, als die Tochter im Reitstall ist, wo sie ihrem zweiten Hobby nachgeht, in den Keller.

Andrea Link beginnt, sich mit der Französischen Revolution zu beschäftigen. In Mainz studiert sie Philosophie und Romanistik. „Ich war auf der Suche nach meinem Jakobinerclub.“ Als sie 1994 das Ingolstädter Manifest von Gregor Gysi liest, in dem er für einen neuen Gesellschaftsvertrag plädiert, glaubt sie, ihren Jakobinerclub gefunden zu haben. „Entschuldigung, wenn das naiv klingt“, sagt sie und lacht schon wieder, „aber ich dachte, na gut, wenn die für einen neuen Gesellschaftsvertrag sind, will ich mich einbringen.“

Und dann ging alles rasend schnell. Es gab zwar in Rheinland-Pfalz einen Landesverband, aber keinen Vorstand. Der Schatzmeister war mit dem Geld durchgebrannt. Wenige Wochen nach ihrer Aufnahme wurde sie gefragt, ob sie nicht einen Kreisverband aufbauen und für den Landesvorstand kandidieren wolle. Sie sagte sofort zu. „Ich sah das als interessante Herausforderung.“ Sie reiste mit Infoständen durch die Pfalz, ließ sich beschimpfen, ertrug es mit Humor, wenn die Junge Union wieder einmal eine symbolische Mauer vor ihrem PDS-Büro errichtete. Der von ihr verlassene Landesverband hat jetzt etwas mehr als 400 Mitglieder. Richtig warm geworden ist sie aber nie mit den Genossen. „Ich blieb immer ein Fremdkörper.“ Andrea Link hat nie einen Hehl gemacht aus ihrer Ablehnung der „Traditionsvereine“ in der Partei, der „Ökoradikalen“, der Mitglieder, „die 170.000-mal das Wort ‚neoliberal‘ in einem Satz verwenden“. Im vergangenen Jahr beklagte sie in einem Positionspapier zusammen mit einem Dutzend anderen Genossen „die fehlenden praktischen Lösungen für die Probleme der Menschen“, das Sichabfinden mit dem Status der PDS im Westen als „virtueller Partei“. Irgendwann, sagt sie, schlug ihre Liebe zur PDS in eine Hassliebe um. „Die PDS ist ein Ding in dieser dinglichen Welt, das nur ein Ende hat“, sagt sie leicht spöttisch, „ein linkes“. Es hat ihr geradezu Spaß gemacht, sich „rechts außen“ zu positionieren. Wenn sich die PDS nicht umbenannt hätte, sie hätte einen anderen Grund gefunden, die Partei zu verlassen. Zwei der Unterzeichner des Positionspapiers sind später zur SPD gewechselt. Einer davon wollte sie auch dazu überreden. Sie lehnte dankend ab. „Wenn schon, denn schon“, sagt sie lachend. Obwohl diese Worte trotzig klingen, betont sie, dass es ihr nicht um eine möglichst radikale Kehrtwende gegangen sei, sondern dass sie bei der SPD die Befürchtung hatte, „die gleichen dümmlichen Diskussionen zu führen“. Ausgerechnet bei der CDU, die so konträr zu ihrem Traum von einem Jakobinerclub ist, will sie nun eine neue politische Heimat gefunden haben? „Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die beste Sozialpolitik ist, den Menschen Arbeit zu geben, und nicht, das Geld zu verteilen, das wenige erwirtschaften.“ Sie lobt „die gesellschaftlichen und christlichen Werte“ der CDU, „das Menschenbild“, den „Gedanken der Eigenverantwortlichkeit“.

Und sie spricht von einem Fehler, den sie bei der PDS begangen habe. „Dass ich nicht jedes Mal laut ‚Quatsch!‘ zu dem Schwachsinn gerufen habe.“ Andrea Link betont, dass sie die Gleiche geblieben sei. Ihre Meinung habe sich zwischen Anfang 20 und jetzt „nur in Nuancen“ geändert, die Perspektive habe sich „etwas verschoben“. Wirklich überzeugend findet man das alles nicht. Also versucht es Andrea Link mit einem ganz unpolitischen Vergleich. „Das ist so, wie wenn man eine neue Frisur hat, mit der man sehr zufrieden ist, und sich sagt, Menschenskind, das hätte ich viel früher machen sollen.“ Vor wenigen Monaten hat sie sich selbstständig gemacht. Leute, die selbst was machen, das entspricht ihrer gesellschaftspolitischen Vision, die sie nun auch bei der CDU findet. Zu ihrem neuen Broterwerb gibt sich die selbstsichere und schlagfertige Frau plötzlich einsilbig. Nur ungern erzählt sie, dass sie jetzt ihr Geld als Reitlehrerin verdient. Sie hat Angst, das könnte elitär daherkommen. Dabei hat sie nur ihr Hobby zum Beruf gemacht. Schon während des Studiums war ihr klar, dass es schwer sein würde, als Historikerin Arbeit zu finden. Deshalb hat sie vor einigen Jahren ihre Trainerlizenz gemacht. Nun erteilt sie Reitern und Ross Lektionen nach den Richtlinien der Nationalen Reitervereinigung. Travers, Renvers, Traversalen. Nur beim fliegenden Galoppwechsel, da kann man, zumal nach ihrem Parteienwechsel, ihre Angst ein wenig verstehen. Beim fliegenden Galoppwechsel wechselt das Pferd nach einem Sprung ohne Wechsel der Gangart vom Links- in den Rechtsgalopp und andersherum.

Die Mainzer CDU hat sich die Aufnahme von Andrea Link nicht leicht gemacht. Es gab Gespräche mit dem Ortsvorsteher, im Kreisverband, im Landesverband. Auch von sich aus hat sie das Gespräch mit Funktionsträgern gesucht. „Die sollten nicht denken, sie haben es mit einer Durchgeknallten zu tun.“ Am 17. Oktober begrüßte sie die Kreisvorsitzende als neues Mitglied.

Seitdem ist sie die Nummer 135 im Ortsverband Finthen. Kreisgeschäftsführer Andreas Blum räumt zwar ein, dass „so ein Wechsel von ganz links zur CDU schon etwas ungewöhnlich“ sei. Aber nach einem Blick auf Geburtsdatum und -ort sei sofort klar gewesen, dass Andrea Link nicht in die SED verstrickt sein könne. Die CDU Mainz erklärte in einer Pressemitteilung kurz nach Links Aufnahme, die Antragstellerin wolle „endlich ihren politischen Lebensweg begradigen“ wolle. Eine Begradigung, bei der man gern behilflich ist.

Ob es Andrea Link bei einer einfachen Mitgliedschaft belassen wird, bleibt abzuwarten. Schon vor ihrer Aufnahme hat sie sich erlaubt, sich in den Bundestagswahlkampf einzubringen und Flyer zu verteilen. Auch einen Auftritt von Angela Merkel, die ihrer Meinung nach „eine sehr gute Kanzlerin“ wäre, hat sie sich nicht entgehen lassen. Im März nächsten Jahres sind Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz. Andrea Link wird auch da mitmischen. „Ich werde das nach Kräften tun.“ Als könne sie es nicht erwarten, beginnt sie schon jetzt, ihren neuen Jakobinerclub zu vergrößern. Sie will ihren Ehemann, der ihr damals nicht ums Verrecken in die PDS gefolgt wäre und der immer CDU gewählt hat, als Parteimitglied werben.