„Die Frauen sind Gewinner der Integration“

Die Reaktion der deutschen Muslime auf den Karikaturenstreit zeigt, wie gut die Integration gelungen ist, meint die ehemalige Ausländerbeauftragte in Berlin, Barbara John. Das wird wegen der Zwangsehendebatte gern übersehen

taz: Frau John, sind Sie gescheitert?

Barbara John: Nein, überhaupt nicht. Warum?

Bei jeder Krise, von den Unruhen in den französischen Banlieues bis zum aktuellen Karikaturenstreit, heißt es immer wieder, die Integration sei gescheitert. Woran liegt das?

Das ist so wie in Erziehungsfragen: Da glaubt auch jeder, mitreden zu können, weil er selbst mal Kind war oder ein Kind hat. Dabei verläuft der Prozess der Integration, das Hineinwachsen in eine neue Gesellschaft, fast gesetzmäßig. Aber für den normalen Verlauf interessiert sich fast keiner.

Stattdessen regt man sich über jede abstoßende Erscheinung auf, die es zweifellos gibt. Natürlich gibt es Ehrenmorde und den Rückzug in die eigene Gemeinschaft. Aber das ist kein breiter Trend, der von einer Mehrheit getragen wird. Im Gegenteil: Was wir jetzt – wie schon bei den Unruhen in Frankreich – erleben, ist, dass die Migranten hier Ja sagen zu der Gesellschaft, in der sie leben. Es ist doch auffällig, dass der Funke der Gewalt nicht überspringt, obwohl die Karikaturen auch hierzulande erschienen sind. Das zeigt, dass sich die Pessimisten täuschen. Die Zeichen der Integration sind unübersehbar, auch im Alltag.

Was sind das für Zeichen?

Wenn Sie sich aufmerksam in der Stadt bewegen, dann begegnen Sie, speziell im Dienstleistungsbereich, ob an der Tankstelle, beim Friseur oder im Handel, überall Migranten, auch in vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten sind sie dabei.

Wir haben natürlich gerade in Berlin ein echtes Problem mit der hohen Arbeitslosigkeit. Aber das haben nicht die Migranten zu verantworten: Das liegt an der Unfähigkeit in Deutschland, sich an die Globalisierung anzupassen und auch für niedrig Qualifizierte neue Jobs zu schaffen.

Aber Hassprediger und Islamisten gibt es auch hier. Steht uns eine echte Bewährungsprobe vielleicht erst noch bevor?

Natürlich gibt es Koranschulen, in denen Kinder problematischen Inhalten ausgesetzt werden, und ab und zu wird so ein Fall publik. Es gibt aber zu viel Bereitschaft, solche Fälle als wegweisend zu deuten. Nur: Dafür gibt es nicht den geringsten Beweis. Ich brauche doch nur an irgendeinem Freitag in die Moscheen zu gehen. Die sind bevölkert von älteren Männern mit Strickmützen, die wie in den Kirchen darüber klagen, dass ihnen die jungen Leute wegbleiben.

Ich bin überzeugt davon, dass unser offenes Gesellschaftsystem gerade für junge Menschen attraktiv ist. Säkularisierungstendenzen machen sich breit. Darauf sollten wir vertrauen.

Kritiker wie Necla Kelek und Seyran Ates meinen, Multikulti-Ideologen wie Sie hätten ernste Probleme wie Zwangsehen zu lange ignoriert.

Das ist doch billige Polemik. Ich hatte während meiner zwanzigjährigen Dienstzeit häufiger mit solchen Fällen zu tun. Das Problem gab es schon in den Achtzigerjahren, und wir haben damals nach praktischen Lösungen gesucht: Zum Beispiel haben wir Wohngemeinschaften für junge Frauen mit Migrationshintergrund aufgebaut. Wir haben all die Jahre über auf diesem Gebiet gearbeitet. Aber wie kann man erwarten, dass dieses Problem über zwei Generationen völlig verschwindet?

Es ist richtig, wie Frau Kelek das tut, den Scheinwerfer auf das Skandalöse zu richten. Aber man kann dann nicht den Anspruch erheben, damit das Gesamtbild auszuleuchten. Es vergiftet das Klima, von Zuwanderern immer nur als Dauerproblem zu reden.

Wo sind die Grenzen der Toleranz?

Ich bin absolut dagegen, dass wir bei Ansprüchen, die für uns selbstverständlich sind, Abstriche machen: von Klassenfahrten bis zur Teilnahme am Schwimmunterricht oder den Schulbesuch. Da müssen wir mit Nachdruck vorgehen und die Eltern überzeugen, auch mit Druck.

Es ist ja auch gut, wenn Leute wie Frau Ates oder Frau Kelek dazu beitragen, dass das allgemeine Bewusstsein geschärft wird. Das ist doch das Entscheidende: Dass man in der Nachbarschaft, im Freundeskreis und in der Schule, wo sich diese jungen Frauen bewegen, eher darauf aufmerksam wird.

Man muss aber auch sehen: Diese Gewalt durch Männer, Brüder oder Väter ist eine Folge der gelungenen Integration der Frauen. Denn die Frauen sind in vielen Migrantenfamilien die eigentlichen Gewinner im Integrationsprozess: Weil sie die Bildungschancen, die ihre Mütter nie hatten, in Anspruch nehmen und diesen Weg mit großer Konsequenz gehen. Die Männer sind oft die Verlierer, wenn sie keine Arbeit mehr haben und den Status als Ernährer verlieren.

Was macht man nun mit den Verlierern, mit den Männern?

Denen müssen wir zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben und dass wir wollen, dass etwas aus ihnen wird: Mehr jedenfalls als nur ein 345-Euro-Hartz-IV-Empfänger.

INTERVIEW: DANIEL BAX