Aufgebrachte Bildungselite

Sie mahnten, sie flehten und sie fluchten: Vernichtende Kritik bei der Probeanhörung zur Föderalismusreform

„Eine abgestimmte Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern wird es in der Bildung nicht mehr geben“

Der Mann zieht den Kopf ein. Er guckt unsicher herum. Er dämpft die Stimme. Und dann flüstert er: „Das darf man ja gar nicht mehr sagen hierzulande, dass die Zentralregierung in der Schweiz zwei eigene Hochschulen des Bundes betreibt.“

Gut, es kam gestern keine Länderpolizei und nahm den Mann fest. Ernst-Ludwig Winnacker ist schließlich der Wissenschaftler des Landes, seit neun Jahren Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Und immerhin scherzte Winnacker bei der Anhörung im Bundestag, zu der die Bildungsleute der SPD-Fraktion eingeladen hatten. Quasi ein Probelauf für die große Anhörung von Bundestag und -rat zur Reform, die Anfang Mai stattfinden soll.

Winnackers Spott kam nicht von ungefähr. Früher entsandte die Zentralregierung Bundestruppen in renitente Fürstentümer, um bundestreues Verhalten durchzusetzen. Heute muss man damit rechnen, dass die Landesfürsten aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg föderale Milizen losschicken, um die Irredentisten des Zentralstaats zum Schweigen zu bringen. Alle jene also, die auch weiterhin die Bundesregierung für die Planung, Finanzierung und praktische Gestaltung des gesamtdeutschen Bildungssystems mitverantwortlich machen wollen. Genau die versammelten sich gestern im Lüder-Haus des Bundestages, und vieles dort erinnerte an eine Geheimtreffen.

Denn was die Damen und Herren, alles reputierliche Leute aus Schulen, Hochschulen und den wichtigsten Wissenschaftsorganisationen der Republik, da verkündeten, war merkwürdig widersprüchlich: Ihre Kritik war gut begründet, was sie anprangerten, müsste jeden wachen Geist nervös machen – aber es soll dennoch mit satter Mehrheit beschlossen werden und sogar Eingang in das Grundgesetz finden. Der Bund wird, so der Eindruck, nach der Föderalismusreform wie ein Aussätziger behandelt: Er darf – nicht einmal übergangsweise – keine Studienplätze und Dozentenstellen einrichten, ihm wird verboten, die Mobilität von Lernenden und Studierenden zu gewährleisten. Die Experten mochten das nicht hinnehmen – sie kritisierten weite Teile der Bildungsvereinbarungen der Föderalismusreform in Grund und Boden.

Christiane Ebel-Gabriel, Generalsekretärin der Hochschulrektoren, mahnte, die Föderalismusreform sorgfältig zu besprechen – „und nicht hastig nur um eines politischen Erfolges willen“. Vor allem eins stieß ihr an der Föderalismusreform auf: „Es darf kein Kooperationsverbot zwischen dem Bund und den Ländern geben“, forderte die Generalsekretärin. Denn die Bundesländer könnten dem zu erwartenden Andrang von Studierenden allein niemals gerecht werden. „Es muss möglich sein, dass der Bund die Länder durch Hochschulsonderprogramme fördert“, appellierte Ebel-Gabriel.

Wie viele andere bezog sich die Vertreterin der Rektorenkonferenz auf einen Passus in der neuen Verfassung, der lapidar klingt, aber massive Auswirkungen hat: Finanzhilfen des Bundes dürfen laut dem geplanten neuen Artikel 104 b nämlich nicht mehr „für Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder“ ausgeschüttet werden. Kein Bundesgeld für Schulen und Hochschulen heißt das.

Ernst-Ludwig Winnacker spießte den Konkurrenzbegriff auf, denn durch die Bundesstaatsreform soll der kooperative Föderalismus durch einen der Konkurrenz ersetzt werden. „Wettbewerb in dieser Form kann es nicht geben“, sagte Winnacker. So ungleiche Länder wie Bayern und Mecklenburg-Vorpommern könne man nicht in einen Wettkampf entlassen. Der DFG-Präsident erinnerte an das Handikap beim Golfspiel. Der Ausgleichsvorteil sorgt dafür, das unterschiedlich starke Gegner einen Wettkampf austragen können.

Auch Peter Strohschneider befürchtet eine Asymmetrie zwischen dem Südwesten und dem Nordosten der Republik. Denn es werde, so sagte der neue Vorsitzende des Wissenschaftsrats, nach der Föderalismusreform weniger Geld für das Zukunftsfeld Wissen der Republik zur Verfügung stehen und dieses Weniger werde obendrein ungleich verteilt. Der Wissenschaftsrat ist neben der DFG die wichtigste Institution zur Steuerung des Wissenschaftssystems. Er ist eine Einrichtung von Bund und Ländern, die Forschungsinstitute evaluiert und – bisher – Bauvorhaben begutachtet. Wie ihre Rolle nach der Föderalismusreform sein wird, ist noch unklar.

Auch Hans Meyer, Jurist an der Humboldt-Universität Berlin, stellte die neuen Regeln des Hochschulbaus infrage. Sie sehen so aus, dass rund 700 Millionen Euro des Bundes, die bisher in den Hochschulbau flossen, den Ländern pauschal bis zum Jahr 2019 zur Verfügung gestellt werden. Allerdings, so monierte Meyer, müssen die Länder das Geld nur bis zum Jahr 2013 zweckgebunden ausgeben – danach könnten sie es auch für andere Zwecke als den Hochschulbau ausgeben. „Das verstehe ich nicht“, fragte sich der Professor des öffentlichen Rechts, „es handelt sich hier um ein Zugeständnis an die Bundesländer, das sachlich nicht gerechtfertigt ist.“

Anhörungen zeichnen sich dadurch aus, dass die üblichen Verdächtigen ohne Maß und Ziel auf ein Gesetz einschlagen. Gestern aber versammelten sich keine Radikalinskis, sondern eher gesetzte Herren und Damen aus dem weiteren Politikfeld Wissen. Sie flehten, sie mahnten und sie fluchten – und das, wie sie jedenfalls behaupteten, immer mit Blick auf das Wohl der ganzen Republik gerichtet. Ludwig Eckinger zum Beispiel, der barocke bayerische Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, schimpfte: „Uns reicht es nicht, wenn nur zwei oder drei Länder in der Bildung spitze sind.“ Es sei ein Gebot der Verfassung, jedem gleiche Chancen beim Zugang zu Bildung zu gewährleisten – „unabhängig davon, in welchem Bundesland er geboren wurde.“

Die wesentliche Kritik der Gutachter bezog sich auf das, was eigentlich das hohe Ziel der Föderalismusreform war – die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Eine abgestimmte Gesetzgebung werde es aber nicht mehr geben, befürchtete die Generalsekretärin der Rektoren, Christiane Ebel-Gabriel, stellvertretend für die Anwesenden. Und das bedeute, dass die „Gesamtverantwortung des Bundes für das Bildungssystem gefährdet wird“. CHRISTIAN FÜLLER