Software ersetzt den Kollegen

Studie: In der Verwaltung von Großunternehmen fallen in den nächsten fünf bis zehn Jahren 85 Prozent der Jobs weg. Grund: Neue Technologien. Die Mitarbeiter sind schon jetzt unter Druck

VON BEATE WILLMS

Die Entwicklung ist in vollem Gange: Die Allianz will 5.000 Arbeitsplätze in der Verwaltung streichen. Bei der Tochter Dresdner Bank sind es 2.500. Die Commerzbank hat bis zu 2.000 Jobs auf der Abschussliste, die WestLB 500. Und auch die Postbank und die Hamburg-Mannheimer melden Kürzungsbedarf an. Das liegt im Trend.

„Wir befinden uns in einem Strukturwandel, der weder umkehrbar noch verhinderbar ist“, heißt es in einer Studie der Managementberatung A. T. Kearney. Die Prognose: In fünf bis zehn Jahren werden die 150 Topunternehmen in den deutschen Schlüsselindustrien nicht mehr rund 152.000 Menschen in der Verwaltung beschäftigen – sondern nur noch 34.000. Schon kurzfristig, so glaubt Autor Stephan Frettlöhr, fallen 49.000 Jobs weg.

Er und sein Team haben Großunternehmen aus den Branchen Auto, Stahl, Pharma, Energie, Chemie und Telekommunikation untersucht. Basis seien Geschäftsberichte und andere veröffentlichte Zahlen sowie „Erfahrungen und Einblicke, die wir als Berater der Unternehmen haben“, sagte Frettlöhr der taz. Demnach baut die Automobilindustrie ihre Verwaltungen am heftigsten ab: in zehn Jahren um rund 48.000 Stellen. Gut 27.000 werden es bei den Energie- und Versorgungsunternehmen sein.

Den Grund dafür sieht Frettlöhr in der „Industrialisierung der Verwaltung“: Unternehmen organisieren heute komplette Abläufe mit Kommunikationssoftware: Informationen über Produkte, Kunden, Lieferungen werden zentral gesammelt und stehen allen Abteilungen zur Verfügung. Dopplungen, die früher üblich waren, entfallen.

Inzwischen geht die Integration so weit, dass selbst Externe angeschlossen werden. Die meisten Zulieferer in der Autoindustrie haben Zugriff auf die Systeme des Herstellers und können so just in time liefern und direkt abrechnen. Intelligente Systeme buchen Rechnungen automatisch ab. Zudem lohnt es sich für Unternehmen, Verwaltungsaufgaben über so genannte Shared Services ins Ausland abzugeben, wo Löhne geringer sind.

Allerdings ist Frettlöhr davon überzeugt, dass das Lohngefälle in der Verwaltung „sehr schnell geringer werden“ wird. In Irland, wohin in den 1990er-Jahren viele deutsche Dienstleistungen ausgelagert wurden, sei ein Buchhalter mittlerweile genauso teuer wie in London. Hinzu kommt, dass die Arbeitsplatzvernichtung dazu führt, dass der Anteil der Lohnkosten im Vergleich zu den IT-Kosten sinkt – die Verlagerung rechnet sich dann nicht mehr.

Allerdings sieht Frettlöhr eine neue Gefahr: Unternehmen lagern die gesamte Verwaltung an einen Dienstleister aus, für den sich die Investition in die Technik lohnt, wenn er nur genug Kunden akquiriert.

Was in sich nachvollziehbar klingt, wird von anderen Experten skeptisch aufgenommen. Michael Denecke, Sprecher der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, sagte der taz: „Die Studie skizziert nur einen möglichen Trend.“ In seinem Bereich sehe er „nur wenige konkrete Beispiele“. Ob die Zahlen belastbar seien, müsse „sich erst noch erweisen“.

Steffen Lehndorff, Experte für Arbeitsorganisation am Institut für Arbeit und Technik in Nordrhein-Westfalen, spricht sogar von „Propaganda“ und „Vernebelung“. Viele Rationalisierungsmaßnahmen seien nach hinten losgegangen. Denn die Entscheidungen fielen in aller Regel ohne die Mitarbeiter. „Unsere Erfahrung ist, dass alles durcheinandergebracht wird, die Ergebnisse sich verschlechtern und die Mitarbeiter mehr Druck bekommen.“ Prognosen wie die von A. T. Kearney führten nur zu noch mehr Verunsicherung.

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