Systemwechsel in Skandinavien

Die konservativen Wahlsieger in Schweden geben sich als bessere Sozialdemokraten. Tatsächlich planen sie, im einstigen Modellland eine neoliberale Wende einzuleiten

An der schwedischen Arbeitsmarktdebatte zeigt sich: Das Ideal der Vollbeschäftigung ist völlig illusorischSteuersenkungen für Arbeitnehmer und Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe: Das Rezept klingt vertraut

Schweden wirkte stets wie die perfekte Antwort auf die Globalisierung: eine starke Exportnation, die sich dennoch hohe Steuern und hohe Löhne leisten konnte. Eine bessere sozialdemokratische Welt schien möglich. Doch was wird aus dem Modellland, das für viele deutsche Linke immer ein Vorbild war?

Nun haben die Schweden die Sozialdemokraten einfach abgewählt und sich für eine bürgerliche Mehrheitsregierung entschieden. Das ist eine kleine Sensation. Denn in den letzten 74 Jahren haben die Sozialdemokraten 65 Jahre lang regiert. Zudem ist Schweden nicht etwa in der Krise, sondern befindet sich mitten in einer Hochkonjunktur. In diesem Jahr wird die schwedische Wirtschaft um etwa 4,2 Prozent wachsen, die Reallöhne sind um 2,5 Prozent gestiegen. Das berühmte Diktum Clintons „It’s the economy, stupid!“ scheint nicht mehr zu gelten.

Aber ist der Machtwechsel auch ein Systemwechsel? Auf den ersten Blick scheint es sich eher um eine harmlose Personenwahl zu handeln. Viele Schweden hatten schlicht keine Lust mehr auf den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Göran Persson, der zehn Jahre lang regiert hat und den viele als besserwisserisch empfanden. Zudem wirkt es eher wie ein tragischer Zufall, dass die bürgerlichen Parteien jetzt gesiegt haben: Wäre die damalige Außenministerin Anna Lindh nicht 2003 von einem Psychopathen ermordet worden, dann wäre sie am letzten Sonntag gewählt worden, da sind sich fast alle Schweden einig. Lindh war der unbestrittene Liebling der Medien und der Bürger; mit ihr hätten die Sozialdemokraten allerbeste Chancen gehabt, erneut die Regierung zu stellen.

Machtwechsel ohne Systemwechsel – dafür scheint auch zu sprechen, dass sich die bürgerlichen Parteien bei dieser Wahl allergrößte Mühe gegeben haben, wie die besseren Sozialdemokratie zu wirken. Die konservativen „Moderaten“ nennen sich inzwischen gar „die neue Arbeiterpartei“. Diese Links-Rhetorik ist die Lehre aus der „Katastrophenwahl“ 2002, als die Moderaten nur auf 15 Prozent der Stimmen kamen. Damals hatten sie noch auf ein stramm neoliberales Konzept gesetzt, auf massive Steuersenkungen und ebenso massive Kürzungen bei den Sozialleistungen.

Jetzt sind die Moderaten offiziell in die Mitte gerückt, haben sich zur Volkspartei gewandelt und dies auch semantisch ausgedrückt, indem sie sich mit ihren drei bürgerlichen Partnern zu einer „Allianz für Schweden“ zusammengeschlossen haben. Symbolische Konfliktthemen wurden diesmal gemieden; so haben sich die bürgerlichen Parteien ausdrücklich zum Kündigungsschutz und zu starken Gewerkschaften bekannt.

Vor allem aber haben die Konservativen ein urlinkes Thema besetzt: Sie haben den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu ihrem zentralen Anliegen gemacht. Es verging kein Fernsehduell, in dem nicht die „Ausgrenzung“ der Erwerbslosen ausführlich beklagt wurde. Damit schienen sich die Konservativen zum Anwalt der kleinen Leute zu machen. Es war ein geradezu genialer Coup: Die Allianz wirkte sozialer als die regierenden Sozialdemokraten. Gleichzeitig aber dürfte diese neue Arbeitsmarktrhetorik zum eigentlichen Hebel werden, um aus einem angeblich schlichten Machtwechsel doch noch einen neoliberalen Systemwechsel zu machen. Die Logik ist aus Deutschland bekannt: Nur wenn die Unternehmen gefördert werden, können auch neue Jobs entstehen.

Für auswärtige Beobachter ist es zunächst überraschend, dass ausgerechnet der Arbeitsmarkt zum wichtigsten Wahlthema in Schweden werden konnte, fing doch sogar das Wahlprogramm der Konservativen mit dem Hinweis an, dass „es Schweden gut geht“. Die „offene“ Arbeitslosigkeit lag im August bei ganzen 4,6 Prozent. Rechnet man hingegen auch die Teilnehmer an Arbeitsmarktmaßnahmen hinzu, dann liegt die Erwerbslosenquote bereits bei offiziellen 7,4 Prozent.

Hinzu kommen ungefähr 250.000 Arbeitnehmer, die krankgeschrieben sind, und 500.000 Schweden, die sich in die Frühverrentung verabschiedet haben. Weitere 200.000 müssen sich unfreiwillig mit einem Teilzeitjob begnügen. Die Konservativen rechneten daher immer wieder vor, dass tatsächlich 1,5 Millionen Erwachsene keine Arbeit hätten. Das ist viel für 9 Millionen Einwohner, von denen knapp 6,9 Millionen wahlberechtigt waren.

Die Konservativen setzen nun auf die klassischen Konzepte: Arbeit soll sich wieder lohnen. Also wird steuerlich begünstigt, wer einen Job besitzt; gleichzeitig wird das Arbeitslosengeld sinken. Zwar ist das angestrebte Niveau im Vergleich zu Deutschland noch immer komfortabel, doch ist die subtile Botschaft neu für Schweden. Erstmals wird den Arbeitslosen Faulheit unterstellt, wird angenommen, dass sie bestimmt einen Job fänden, wenn nur der Sozialstaat nicht so großzügig ausgestattet wäre.

Auch die sonstigen Pläne sind aus Deutschland bestens bekannt. So soll etwa die staatliche Arbeitsvermittlung ihr Monopol verlieren und Privatvermittler eingeschaltet werden. Gleichzeitig soll es so genannte Neustartjobs geben, was dem deutschen Kombilohn entspricht: Wenn Unternehmen Langzeitarbeitslose einstellen, müssen sie weniger Lohnnebenkosten zahlen. Zudem werden Dienstleistungen im Haushalt steuerlich subventioniert. Es ist nicht damit zu rechnen, dass diese Maßnahmen in Schweden funktionieren, nachdem sie in Deutschland gefloppt sind. Hier wie dort dürften sie einzig zu dem Ergebnis führen, dass die Spaltung der Gesellschaft zunimmt.

Trotzdem lässt sich aus der schwedischen Arbeitsmarktdebatte lernen: Offenbar ist das Ideal der Vollbeschäftigung vollkommen illusorisch. Selbst hohe Wachstumsraten können nicht alle Bürger mit einer Anstellung versorgen. Nach OECD-Zahlen hat die schwedische Wirtschaft zwischen 2000 und 2005 insgesamt um 11,6 Prozent zugelegt, während die deutsche Wirtschaft nur um ganze 3,2 Prozent wuchs. Und dennoch blieb auch den erfolgreichen Schweden bisher keine andere Lösung, als ihre Arbeitslosen intelligent zu verstecken, indem sie komfortabel versorgt und mit sozial akzeptierten Etiketten wie Frühverrentung versehen wurden.

Diese Strategie wurde bisher mit großem sozialem Frieden belohnt. Zwar haben die Rechtsradikalen in Schonen in einigen Kommunen bis zu 22 Prozent der Stimmen erzielt, doch ist das ein lokales Phänomen. Landesweit kamen die Schwedendemokraten – im Volksmund „Nazi-Partei“ – nur auf rund zwei Prozent. Dazu passt auch, dass die Einwanderung im Wahlkampf keine Rolle spielte: Das Thema „Integration“ landete bei den Umfragen auf Platz 9 von 10. Nur die Gleichstellung von Frauen fanden die Wähler noch uninteressanter.

Nun also kündigen die Konservativen den bisherigen Konsens auf. Sie enttarnen die Fiktion der gegenwärtigen Vollbeschäftigung, um mehr Jobs in der Zukunft zu versprechen. Das kann nicht gut gehen. Gerade weil es Schweden schon so gut geht. ULRIKE HERRMANN