Den Blick auf die zweite Welt öffnen

Die Soziologin Maria Rerrich beschreibt einfühlsam die Subkultur der ausländischen Putzfrauen in Deutschland

Zum Beispiel die Sache mit der herrenlosen Reisetasche. Am Münchner Ostbahnhof hatte es deswegen einen Bombenalarm gegeben. Doch die Tasche enthielt nur alte Kleider. Die polnischen Putzfrauen in München amüsierten sich über den Vorfall, denn „man war davon überzeugt, dass es sich nur um das Werk einer Kollegin handeln könne, die es leid war, eine schwere Tasche mit geschenkten alten Kleidern noch weiterzuschleppen“, berichtet Maria Rerrich.

Der ausländischen Putzfrau abgelegte Kleider zu schenken, auch solche, die niemand in Polen mehr tragen würde – das gehört zu den vielen Details in den Beziehungen zwischen deutschen ArbeitgeberInnen und ihren ausländischen Haushaltshilfen, die von Maria Rerrich in ihrem Buch „Die ganze Welt zu Hause“ einfühlsam beschrieben werden. Die Soziologin von der Fachhochschule München hat einige der Frauen porträtiert und die Subkultur erkundet, die ihnen überleben hilft.

Mit vielen Klischees räumt Rerrich dabei auf. Der Gedanke, dass beispielweise besonders praktische, traditionell auf „weibliche Tätigkeiten“ geeichte Frauen nach Deutschland kommen, um hier zu putzen, ist falsch. Oft handelt es sich um qualifizierte, couragierte Frauen, die sich mitunter sogar die erforderlichen Haushaltstätigkeiten selbst beibringen müssen. Carmen aus Ecuador erzählt: „Ich wusste gar nicht, wie man bügelt. Am Tag, bevor ich hierhergekommen bin, habe ich angefangen, bügeln zu lernen.“

Nicht selten haben die Frauen in ihren Heimatländern Kinder zurückgelassen. Maria Nowak beispielsweise – die Namen sind im Buch geändert –, 50 Jahre alt und ehemalige Verwaltungsangestellte, fand in Polen keine Arbeit mehr und schuftet nun schon seit zwölf Jahren illegal als Putzhilfe in München. Sie fährt nur alle vier Wochen nach Polen. Dort wuchsen ihre Kinder unter väterlicher Aufsicht auf, zeitweise bezahlte Nowak mit ihrem durch Putzen verdienten Geld eine polnische Rentnerin, die sich in der Heimat um die Tochter und den Sohn kümmerte. Es gibt also eine „global care chain“, eine weltweite Versorgungskette, die ärmere mit den wohlhabenderen Ländern verbindet.

Die deutschen Arbeitgeber ermessen dabei oft nicht den emotionalen Preis, den die billigen Haushilfen für ihren Job zahlen, besonders wenn sie illegal in Deutschland leben. „Neben der Einsamkeit, unter der so gut wie alle Frauen leiden, wenn sie ihre Familien im Heimatland zurückgelassen haben, und der Angst davor, dass ihr Status als Illegale entdeckt wird, stellt die schwierige Wohnsituation eine typische psychische Belastung dar. Die Frauen haben oft keinen Raum für sich allein“, schildert Maria Rerrich.

Die 55-jährige Paula aus Ecuador lebt und arbeitet seit zwei Jahren in Hamburg, war aber noch nie an der Alster oder an der Elbe. Das „ethnische Netzwerk“ aus anderen lateinamerikanischen Haushilfen, eine kleine spanischsprechende Kirchengemeinde, ein Park, in dem man sich am Wochenende trifft – das sind die selbst geschaffenen Möglichkeiten, Gemeinschaft zu erleben.

Während die ausländischen Hilfskräfte unter der Trennung von der Heimat leiden, erfüllen sie in den deutschen Haushalten nicht selten auch emotionale Bedürfnisse – so etwa zunehmend in der Altenbetreuung. In vielen wohlhabenden Vierteln in deutschen Städten gibt es inzwischen schwarz arbeitende „live-ins“ aus Osteuropa, die mit im Haushalt der Hochbetagten leben. Diese Betreuerinnen nehmen das Gefühl der Einsamkeit, ersparen vielen über 80-Jährigen das Seniorenheim und entlasten deren erwachsene Kinder. „Das Wichtigste ist: Frau Gomolka ist einfach immer da“, beschreibt Rerrich eine solche Situation einer polnischen Altenbetreuerin in Deutschland.

Die „transmigrierenden“ Haushaltshilfen erwerben keine Rentenansprüche, kriegen keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubsgeld. Sie ermöglichen vielen Doppelverdiener-Haushalten erst die Delegation von Haus- und Familienarbeit und damit die wirtschaftliche Existenz. Ohne sie würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren: Es ist vielleicht der eigentliche Skandal, dass diese „heimliche Unterschicht“ keinerlei Vertretung in Politik und Gewerkschaft genießt. Rerrichs „ethnographische Feldforschung“ macht dies deutlich.

BARBARA DRIBBUSCH

Maria S. Rerrich: „Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten“. Hamburger Edition, Hamburg 2006, 168 Seiten, 16 Euro