Hire and Fire mit sozialem Netz

In Dänemark akzeptierten sogar Gewerkschaften, dass es kaum noch Kündigungsschutz gibt – aber nur, weil der Staat deutlich mehr für Arbeitslose ausgibt als in Deutschland

STOCKHOLM taz ■ 10,1 Prozent. Auf diesem „deutschen“ Niveau lag die Arbeitslosenquote in Dänemark 1993. Nun vermeldet die offizielle Statistik 4,5 Prozent. Dazwischen gab es verschiedene Arbeitsmarktreformen, für die sich in ihrer Gesamtheit das Wort von der „Flexicurity“ – Flexibilität, kombiniert mit sozialer Sicherheit – eingebürgert hat. Und die oft als Modell für andere Länder ins Gespräch gebracht wird.

Dabei muss der in Dänemark kaum vorhandene Kündigungsschutz als Argument dafür herhalten, dass ein „flexibler“ Arbeitsmarkt das beste Rezept gegen Arbeitslosigkeit sei: Arbeitgeber wagen Neueinstellungen, wenn sie wissen, dass sie sich von neuen Mitarbeitern schnell und billig wieder trennen können. Ein „Hire and Fire“-System, mit dem auch Gewerkschaften einverstanden sein könnten, wenn ein starkes soziales Netz das zeitweise Herausfallen aus dem Arbeitsmarkt abfedert.

Flexibel ist der dänische Arbeitsmarkt tatsächlich. Rund ein Drittel der Dänen wechselt jährlich den Job. Mit der Aussicht auf Arbeitslosengeld, das in Höhe von 90 Prozent des letzten Einkommens bis zu vier Jahre gezahlt wird. Es ist diese soziale Absicherung, die Dänemarks Gewerkschaften bewog, eine Lockerung des Kündigungsschutzes zu akzeptieren. Und jeder Versuch, diese „Security“ abzubauen, veranlasst sie zu Protesten. Das dänische Modell ist ein Gebilde empfindlichen Gleichgewichts, das nur in seiner Gesamtheit funktioniert – und aus dem man keinen Aspekt herausnehmen kann, ohne die anderen Voraussetzungen zu berücksichtigen.

Die niedrige Arbeitslosenrate beruht primär auf einem seit Jahren bestehenden Wirtschaftsboom. Zum andern versteckt die offizielle Statistik viele Personen, die außerhalb des normalen Arbeitsmarkts stehen. Nach dem letzten Sozialbericht erhalten 24 Prozent der DänInnen zwischen 18 und 66 Jahren öffentliche Leistungen. Ein Prozentsatz, der sich trotz aller Reformen seit 20 Jahren kaum verändert hat. Dänemark steht in der EU an der Spitze, was den Anteil des Bruttonationalprodukts an den Kosten der Arbeitslosigkeit angeht.

Arbeitslose müssen in Dänemark im Prinzip jede angebotene Arbeit annehmen, wollen sie nicht ökonomisch „bestraft“ werden. Diese „Aktivierung“ trug dazu bei, dass Dänemark die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU hat. Doch abgesehen von den persönlichen Folgen, die Soziologen beklagen, hat dieser Zwang zu einem ausgeprägten Niedriglohnsektor beigetragen. In den letzten 10 Jahren sanken die Einkommen der 10 Prozent Geringstverdienenden, die der 20 Prozent Bestverdienenden stiegen kräftig. „Früher saßen wir in einem Boot“, so die Zeitung Politiken. Jetzt sitze „jeder in seinem eigenen Dampfer.“ Laut UN-Zahlen ist die Ungleichheit in Dänemark größer als in Frankreich, Belgien und Deutschland. Ein gewollter Effekt der Flexicurity-Reform, wie im letzten Jahr Sozialministerin Eva Kjaer Hansen eingestand: „Die Ungleichheit in der Gesellschaft darf gern anwachsen, weil sie für eine gesellschaftliche Dynamik sorgt.“ REINHARD WOLFF