Der Herr der Vorort-Leinwände

In einer Zeit, in der kleine Kinos allerorten ums Überleben kämpfen, macht Hans-Peter Jansen wieder eines auf. Und mehr noch: Alle seine vier Häuser betreibt er in Hamburger Vororten. Begegnung mit einem Mann, der das Kino lebt

VON DANIEL WIESE

Es gibt Komplimente, die hört Hans-Peter Jansen nicht so gern. „Filmenthusiast“ zum Beispiel. Als das Wort fällt, ist erstmal für lange Sekunden Schweigen in der Leitung. Dann nuschelt Jansen: „Ich liebe nicht Filme, ich lebe Kino.“ Und dann verstummt er, damit man Gelegenheit hat zu begreifen, wo der Unterschied liegt.

Und es stimmt ja, für Filme begeistern kann sich jeder. Aber Kinos zu betreiben wie Hans-Peter Jansen, kleine Kinos zumal, die nicht in den Ausgeh-Vierteln liegen, sondern in Hamburger Vororten, die Lurup heißen oder Volksdorf, dazu gehört mehr. Enthusiasmus? Mag sein. Bei Hans-Peter Jansen wirkt es eher so, als hätte er keine Wahl: Kino machen muss er, so scheint es, die Frage ist höchstens wo.

Das Fama-Kino in Lurup liegt an einer langen Ausfallstraße, der Bus fährt an der Trabrennbahn in Bahrenfeld vorbei, dann kommt eine endlosen Reihe von niedrigen Häusern. Dann, vor einer Kurve, taucht er linker Hand auf, der Siebziger-Jahre-Bau, zwischen einer Fleurop-Filiale – „Kränze, Dekorationen jeder Art“ – und einem Tierfuttergeschäft – „Alles Gute für Ihr Tier“. Fast ein Jahr lang war das Kino zwischenzeitlich geschlossen, aber drinnen an den Wänden sind noch die alten Filmdekorationen zu sehen, vor dem Kinosaal einige halb vertrocknete Pflanzen, ein paar alte Sessel und Hans-Peter Jansen.

„Eine halbe Stunde“, sagt Jansen, er schaut skeptisch aus schmalen Augen. Jansen ist über 60, aber seine Haare stehen hoch, eine Reminiszenz womöglich an seine Punkzeit, als er in den Siebzigern anfing mit Kinomachen. Sein erstes Kino hieß Alabama, und sie zeigten „Trash, Horror, Sex“. Das Stadtmagazin Prinz habe sie als „Schmuddel-Kinder“ bezeichnet, sagt Hansen und wirkt zufrieden. „Wir haben sehr viel gemacht, was die Bürger erschreckt hat.“

15 Jahre betrieb Jansen das Alabama-Kino mit einem Freund, dann mussten sie 1992 schließen. Das Alabama machte an einem anderen Ort wieder auf, mit einem anderen Betreiber, und Jansen eröffnete 1993 mit dem Fama-Kino in Lurup die erste Spielstätte seines Vorort-Imperiums.

„Sehen Sie, astreine Siebziger-Architektur“, Jansen zeigt in den Kinosaal, der offen steht. Der Saal hat eine altmodische Bühne, und zwischen den Kinosesseln ist viel Platz. 1993, in Jansens erstem Jahr, haben Tocotronic hier gespielt, damals noch eine gänzlich unbekannte Hamburger Band. „Das können Sie nachlesen“, sagt Jansen. Die Jungs, damals gerade der Schule entronnen, hätten in der Pause ihre alten „Fix und Foxi“-Hefte verkauft.

Bei der Filmauswahl musste Jansen in Lurup allerdings Kompromisse schließen. Das „subversive Kino“ habe nicht mehr funktioniert, ausleben konnte er sich nur noch im Spätprogramm, sagt Jansen. Im Hauptprogramm zeigte er, was er „Arthaus-Ware“ nennt: geschmackvolle, Mainstream-kompatible Filme, die vom Vorort-Publikum goutiert wurden.

Das, was man die Verbürgerlichung des Programms nennen könnte, setzte sich fort, als Jansen 1997 das Elbe-Kino übernahm. Sein Publikum bestand nun aus Bildungsbürgern, die aus gemeinhin als „fein“ bezeichneten Vororten wie Nienstedt, Blankenese und Othmarschen kamen. Im Elbe-Kino zeigte Jansen „Doris Dörrie und diese Geschichten“, und wenn er das sagt, scheint er selbst noch ein wenig verwundert zu sein, wie das passieren konnte. „Man wird ja auch selbst älter“, sagt er wie zur Entschuldigung. „Und dann schaut man eben nicht mehr unbedingt Trash und Horror.“

1999 übernahm Jansen das Blankeneser Kino, das bis dahin die Union-Kinokette betrieben hatte. Er habe in der Zentrale angerufen und gesagt, dass sie ihm das Kino geben sollen. „Ein Stadtteilkino kann man nicht zentral disponieren“, sagt Jansen, das sei der Fehler der Union-Kette gewesen. Als letztes folgte im Jahr 2002 das Kino Koralle im Stadtteil Volksdorf, für dessen Wiedereröffnung sich sogar eine Bürgerinitiative gegründet hatte.

Jansen selbst wohnt zentral in Hamburg-Eimsbüttel. Dass er Vorortkino macht, sei Zufall, sagt er. Doch das Stadtteilkino hat seine eigenen Gesetze. Zum Beispiel versucht Jansen, in jedem seiner Häuser an einem festen Tag in der Woche selbst an der Kasse zu sitzen: Damit die Leute sehen, dass er sich kümmert. Und damit er mitbekommt, wie die Kinobesucher sein Programm finden. Im Koralle-Kino zum Beispiel verkauft Jansen mittwochs Karten, und jedes Mal kommen zwei Damen, von denen ihm eine einmal sagte, sie lese keine Filmkritiken mehr, sie gehe „in die Koralle“. Für Jansen das höchste Lob.

Als er vor einem Jahr das Fama-Kino schließen musste, habe er gedacht: „Ihr blöden Luruper!“ Denn das Fama ist für Jansen „das schönste von den alten Häusern“, auch wenn es nur einen Saal hat, was die Bespielung schwierig macht. Denn bei zwei Sälen kann man im großen Saal aktuelle Kinostarts zeigen und im kleineren Experimente machen. Jansen fasste wieder Mut, als wegen der Schließung immer mehr Protest-E-Mails bei ihm eintrafen und sogar der Vermieter signalisierte, dass er bereit sei, zu investieren. „Schauen Sie, die Decke“, sagt Jansen versonnen und blickt nach oben, „so eine haben sie dann später im Cinemaxx nachgebaut.“

Kino ist für ihn mehr als nur Filme zeigen: Es ist die Symbiose aus Film und Ort. „Wenn der Raum nicht zu mir spricht, kann ich das nicht machen“, sagt er. Jetzt müssen die Luruper nur wieder ins Kino gehen.