Desinteresse an Antisemitismus-Studie: Die verschenkte Chance

Der Bundestag diskutiert über eine bislang lieblos behandelte Studie zu Antisemitismus. Der Innenminister von der CSU wirkt desinteressiert.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich lobte brav den „facettenreichen Bericht“. Bild: dpa

BERLIN taz | Es ist eine zähe, lieblose Geschichte. 2009 berief das Innenministerium eine Expertengruppe ein, die Antisemitismus in Deutschland wissenschaftlich untersuchen sollte. Im November 2011 war deren 170 Seiten starker Bericht fertig. Es ist eine solide Analyse, zwar ohne spektakulär Neues, die aber den bedenklichen Befund bestärkt, dass jeder Fünfte zu antisemitischen Klischees neigt. Danach geschah im Bundestag – nichts.

Offenbar musste erst in Berlin ein Rabbi verprügelt werden, damit sich das Parlament dem Bericht widmete. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte die Chance, den peinlich achtlosen Umgang mit der Studie mit einer engagierten Rede wettzumachen. Der Minister lobte brav den „facettenreichen Bericht“, bezweifelte allerdings im gleichen Atemzug dessen zentrale These, dass 20 Prozent der Bevölkerung zu antisemitischen Einstellungen neigen.

Woher diese Zweifel stammen, verriet der Minister nicht, forderte aber, dass die „Zivilgesellschaft gestärkt werden muss“, und warnte vor dem Internet als Nazi-Propagandaforum. Nichts davon ist ganz falsch. Aber es klang, als läse er den Wetterbericht von gestern vor. Und natürlich fehlte jeder Hinweis, dass die Studie Konsequenzen haben könnte.

Der grüne Volker Beck begrüßte eine halbe Stunde später die Autoren der Studie, die auf der Besuchertribüne saßen: Friedrich hatte dies vergessen. Vielleicht hielt er es auch für überflüssig. Selten hat ein Minister im Bundestag so intensiv den Eindruck vermittelt, dass ihm ein Thema egal ist. Immerhin verzichtete der CSU-Mann auf parteipolitische Polemik und darauf, die Linkspartei als antisemitisch zu beschimpfen.

Opposition rettet Debatte

Die Opposition rettete die Debatte – Petra Pau (Linkspartei) mit zurückhaltender, leiser Tonart, vor allem aber Wolfgang Thierse (SPD), der sagte, was man gerne von Friedrich gehört hätte. Er kritisierte, dass die Debatte merkwürdig „spät stattfindet“ und forderte, was auch im Bundestag fehlt: mehr Kontinuität.

Die „Empörungswellen, verstärkt durch mediale Zyklen“, kämen und gingen, so Thierse. Gerade deshalb bräuchten Initiativen vor Ort dauerhafte Förderung. Modellprojekte ein paar Jahre lang zu fördern und dann abzuwickeln, tauge nichts. Thierse regte an, einen Antisemitismus-Bericht nun jedes Jahr schreiben zu lassen – eine angesichts des nachlässigen Umgangs mit der vorliegenden Studie recht kühne Idee.

Vor allem aber plädierte der SPD-Mann dafür, den Blick über Antisemitismus hinaus zu weiten und auch Rassismus und Hass auf andere Minderheiten zu beachten. Thierse gelang es, das Sonntagredenhafte, in das offizielles Sprechen über Antisemitismus schnell kippt, somit zu vermeiden.

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