Der Süden Libyens: Grenzenlose Freiheit

Die libysche Regierung hat den Süden des Landes zur militärischen Sicherheitszone erklärt. Vertreter der Tubu betrachten dies als Missachtung ihrer Rechte.

Kriegsdenkmal bei Jadu. Bild: Mirco Keilberth

SEBHA/TRIPOLIS taz | Kurz vor der Landung heulen die Triebwerke der Maschine auf, das Flugzeug startet durch. Den Passagieren fährt der Schrecken in die Glieder. Empört berichtet der Pilot über Bordlautsprecher von aufsteigenden Leuchtspurgeschossen neben der Landebahn.

Im zweiten Anlauf gelingt es ihm dann, die Maschine sicher auf dem Flughafen von Sebha aufzusetzen. Er wünscht den Reisenden schließlich gequält lächelnd viel Glück. „Willkommen im Fezzan“, sagt er. Fezzan, so heißt diese Region im Süden Libyens, mitten in der Sahara.

Sebha ist eine von zwei größeren Orten im Fezzan, etwa 100.000 Einwohner zählt die von ethnischen Konflikten geplagte Stadt. Nur wenige Beamte erscheinen zur Arbeit, trotzdem versucht Polizeichef Ibrahim Saleh hinter seinem riesigen Schreibtisch Autorität und Sicherheit auszustrahlen. „Die Schüsse kamen von einer Hochzeitsgesellschaft“, erklärt er die Vorgänge am Flughafen. „Wir haben die Lage in Sebha nicht wirklich im Griff, aber bewegen können Sie sich hier problemlos.“

Einfallstor für Schleuser und Schmuggler

Dies nehmen viele wortwörtlich. Libyens westliche Sahara ist zu einem Einfallstor für Schleuser und Schmuggler jeder Art geworden. Immer wieder rasen voll beladene Lastwagen auf der Hauptstraße Richtung Norden. Am westlichen Ende der Oase beginnt das scheinbar grenzenlose Dünenmeer der Sahara.

Algerien ist nicht weit, aber wer sich auskennt, bewegt sich seit dem Verschwinden der staatlichen Ordnung ohne Pass wie ein Europäer innerhalb der Grenzen von Schengen.

Die Sahara ist zum gesetzlosen Raum geworden, nur vor den Patrouillen der algerischen Armee muss man auf der Hut sein, heißt es in Sebha. Immer wieder werden Flüchtlinge aus „Afrika“, wie man hier sagt, aufgegriffen. Für die Libyer beginnt Afrika südlich der Sahara.

Im Dezember hat das Innenministerium in Sebha ein großes Auffanglager für die Flüchtlinge aus Somalia, Niger oder Tschad eröffnet. „Wir deportieren monatlich bis zu 800 Leute zurück in ihre Heimatländer“, sagt Mohammed Madany, der stellvertretende Leiter. „Es wird das größte Flüchtlingszentrum Libyens.“

Nach Angaben des UNHCR leben rund 350.000 Tubu in der Sahara. Die Mehrheit lebt in den Tibestibergen im Tschad und im sogenannten Aouzou-Streifen, der bis 1994 zu Libyen gehörte und heute Teil des Tschad ist.

Seit 2007 verweigerte Muammar Gaddafi den libyschen Tubu systematisch die Staatsbürgerschaft. Tubu-Einheiten beteiligten sich auf der Seite der Revolution gegen Gaddafis Militär.

Die libyschen Tubu lehnen mehrheitlich einen eigenen Staat wie Azawad in Nordmali ab und fordern lediglich die Anerkennung ihrer Sprache und Kultur in Libyen.

Die Wände des Lagers sind von einer Ausbruchaktion rußgeschwärzt. Einige Flüchtlinge hatten ihre Matratzen angezündet und konnten im Chaos in die Wüste entkommen. „Was soll man machen“, fragen die jungen Wachen. Sie haben Mitleid mit ihren Schutzbefohlenen. „Die wollen auch nur einen Job und in Würde leben“, sagt Madany.

Die Leute im Café an der Hauptstraße sind dagegen gar nicht gut auf die Flüchtlinge zu sprechen. „Uns hat die Revolution nur Unsicherheit gebracht“, schimpft der 32-jährige Mohammed, „immer mehr Immigranten kommen aus Zentralafrika. Das ist schon eine Art Besatzung. Abends trauen wir uns kaum noch auf die Straße.“

Dort diskutiert man wütend die Vorkommnisse der letzten Wochen: Am 6. Dezember sind 197 Gefangene aus dem örtlichen Gefängnis geflohen. Al-Qaida-Kämpfer auf dem Weg nach Mali finden Unterschlupf auf Farmen am Stadtrand. Letzte Woche gab es zahlreiche Opfer bei einer Schießerei zwischen Angehörigen verschiedener Stämme wegen eines gestohlenen Autos.

Und dann das angebliche Attentat auf den Chef des Nationalkongresses, Mohammed Magarief, bei seinem Besuch vergangene Woche. Er blieb unverletzt. Wie so vieles in Libyen in diesen Tagen bleiben die Umstände der Tat ungeklärt.

Ignorante Regierung

Abdul Monem Alyasers Gesicht ist voller Sorgenfalten. Der ehemalige Leiter des parlamentarischen Sicherheitskomitees hat genug von der Empörung der Leute im Straßencafé, er will endlich konkrete Maßnahmen. „Die alte Regierung hat im Fezzan völlig versagt“, sagt er bitter. „Die Armee hat immer noch kaum Fahrzeuge, keine Munition, keine Waffen. Die Schmuggler sind bestens ausgerüstet.“

Zusammen mit 20 weiteren Abgeordneten hatte Alyaser demonstrativ einige Sitzungen des Nationalkongresses in Tripolis boykottiert. Seither ist es ein bisschen besser geworden, aber eben nur ein bisschen. „Das ist nur Kosmetik“, schimpft er und sagt warnend: „Solange wir nicht mehr Unterstützung erhalten, gelangen weiterhin Drogen, Waffen und Extremisten von hier unkontrolliert nach Tripolis. Und auf Europa rollt eine Flüchtlingswelle zu.“

Doch die Lage in Sebha ist noch komplexer. Nach Schätzung der Stadtverwaltung erhielten während der Revolution rund 40.000 Männer aus Nachbarländern die libysche Staatsbürgerschaft. Als Dank für ihren Kampf aufseiten des Gaddafi-Regimes. Sie wollen in Sebha bleiben, im Tschad und dem Niger gibt es noch weniger Jobs. Und in Libyen werden Handwerker gebraucht.

Die Intoleranz trifft die Falschen

Die Vorurteile gegenüber all den neuen Fremden treffen nun diejenigen, die sich als einzige im Fezzan der Revolution von Anfang an angeschlossen hatten: die Tubu. Noch vor den Arabern kamen ihre Vorfahren aus Äthiopien und Eritrea in die unwirtliche Gegend, in der jeder Regenschauer eine Sensation ist.

Zusammen mit den Tuareg und Berbern sind die Tubu die Ureinwohner Südlibyens. Ihr Siedlungsgebiet befindet sich aufgrund willkürlicher Grenzziehungen in der Kolonialzeit in Libyen, im Tschad und im Niger.

„Wir waren im Fezzan die Ersten und – bis zur Eroberung Sebhas durch die Revolutionäre – auch die Einzigen, die sich auf die Seite der Revolution gestellt haben“, erklärt Mohammed Lino, ein Journalist und Tubu-Aktivist. „Absurd, dass wir im neuen Libyen Opfer rassistischer Vorurteile sind. Viele arabische Libyer akzeptieren einfach nicht, dass wir Teil dieses Landes sind.“

Während Gaddafi Flüchtlinge zu Söldnern und oft über Nacht zu Libyern machte, blieben viele Tubu aus Sebha oder dem Nachbarort Murzuk weiterhin staatenlos. Bis heute. Selbst Tubu im Staatsdienst erhalten nur selten den libyschen Pass. Die eigentlichen Revolutionäre im Fezzan sind fremd im eigenen Land. Doch gerade sie wollen Teil des neuen Libyen sein.

Die libysche Armee fehlt

Mohammed Lino ist mit Ahmed Kokimi, Chefredakteur der Tubu-Zeitung Labara Zala, und Journalist Khaled Wali auf Recherchetour im sogenannten Bermuda-Dreieck unterwegs. Damit meinen sie das Grenzgebiet zwischen Libyen, Algerien und Niger. Hier, 500 Kilometer südlich von Sebha, sind es ausschließlich junge Tubu, die freiwillig die Grenzen kontrollieren. Von der libyschen Armee fehlt weit und breit jede Spur.

Schmuggler und Bewaffnete machen die Gegend unsicher. Irgendwo im Wüstensand liegen Medikamente, Waffen und Munition. Frei verfügbar.

„Die regulären Grenztruppen bekommen Sold, bleiben aber in den Kasernen“, beschwert sich Mohammed Lino. „Ich frage mich, wie die Regierung so die Grenzen schließen will.“ Seit Mitte 2011 schieben die Tubu-Einheiten hier freiwilligen Schichtdienst. Einigen Schmugglern nehmen sie einen Teil ihrer Ware ab. Wegezoll. „Wir müssen ja auch von etwas leben“, sagt ein junger Mann kurz angebunden.

Die freiwilligen Grenzwächter sind vor allem den Islamisten ein Dorn im Auge. „Die Al-Qaida-Sympathisanten errichten gerade ein Netzwerk von Nordmali bis zur ägyptischen Grenze. Nur drei Tage brauchen sie mit ihren nagelneuen Toyotas für die Strecke“, sagt Lino. „Sie geben sich als religiöse Gruppen aus, sind aber doch nur an Macht und Geld interessiert. Und sind für uns, für Libyen und Europa gefährlich. Warum arbeitet die Regierung in Tripolis also nicht endlich mit uns Tubu zusammen?“

Eine Delegation wartet

Die Szene der religiösen Fraktion der ehemaligen Revolutionäre ist vielfältig, sie reicht von den Salafisten über die mächtige, aber moderate Muslimbrüderschaft bis hin zu den radikalen Anhängern der Takfiri-Bewegung, die auch Morde an zu liberalen Muslimen gutheißt.

Die Führer dieser Gruppierungen sind durch Verfolgung und Haft während der Gaddafi-Ära eng verbunden. Sie eint außerdem der Wille, die Religion und die arabische Sprache zum einzigen Maßstab des neuen Libyen zu machen. Ein Recht auf die eigene Sprache und Kultur nichtarabischer Minderheiten in der neuen Verfassung lehnen sie ab.

Im Hotel Mehari in Tripolis sitzt Issa Abdel Majid Mansur, einer der politischen Führer der Tubu in Libyen. Er führt eine Delegation seines Stammes an. Seit zehn Tagen warten sie auf ein Gespräch mit Premier Ali Zeidan oder dem Vorsitzenden des Nationalkongresses, Margarief.

Issa Mansur will erreichen, dass die Regierung die Revolutionäre offiziell in die Grenzeinheiten aufnimmt. Und ihnen Sold zahlt. Libyen habe eine 4.600 Kilometer lange Grenze. „Die kann man nur gemeinsam sichern“, sagt er. Von der Regierung hat sich noch niemand blicken lassen.

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