Kolumne Besser: Freiheit, Gleichheit, Brüderlechkeit!

Mit der FDP kann man's ja machen – auch das spielt bei der Brüderle-Affäre eine Rolle. Und auf Twitter vermischen sich Skandal und Denunziation.

Glotz nicht so, Brüderle! Bild: Archiv, wie man sieht

Schlechte Humoristen erkennt man an Witzen über Lothar Matthäus, Dieter Bohlen oder die FDP. Wer sich mit dieser Liga beschäftigt, braucht sich nicht groß um eine Pointe bemühen; es genügt, den Namen zu nennen, das Höhöhö und Hihihi des geneigten Publikums ist sicher.

Ähnliches gilt für das Kommentargewerbe. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien genießt außerhalb ihrer eigenen – und in diesem Fall: schwindenden – Klientel einen so miserablen Ruf wie die FDP. Noch die Linkspartei kann sich darauf verlassen, dass ein Teil der Kommentatoren sie wenigstens als Mahnung dafür ernst nimmt, „das Soziale“ nicht zu vernachlässigen, oder ihre zivilisatorische Leistung würdigt, dafür gesorgt zu haben, dass das ostzonale Jammertum nur zu einem geringeren Teil seinen politischen Ausdruck in der NPD gefunden hat.

Mit weniger Wohlwollen kann die FDP rechnen. Und das liegt nicht nur an Knallchargen wie Brüderle, Westerwelle oder Möllemann. An seinem schlechten Ruf arbeitet der organisierte Liberalismus in Deutschland schon viel länger – vom nationalliberalen Verrat Ende des 19. Jahrhunderts über die sich gerade zum 80. Mal jährende Zustimmung der liberalen Abgeordneten um Theodor Heuss zum Ermächtigungsgesetz bis zum Umstand, dass die FDP nach 1945 zum Sammelbecken für vormalige Nazis wurde, in der ein Ralf Dahrendorf oder ein Werner Maihofer nur kurzzeitig einen gewissen Einfluss ausüben konnten, ehe der Laden zu dem wurde, was er heute ist.

Auch jetzt gibt die FDP keinen Grund, sie als liberale Kraft zu respektieren, man denke nur an ihr willfähriges Mitmachen bei der „alternativlosen“ Euro- und Bankenretterei oder ihre Abwesenheit bei der Verteidigung bürgerlicher Rechte und Freiheiten. Und doch drängt sich der Verdacht auf, dass ein Teil der Geringschätzung, die dieser Partei zuteil wird, nicht nur diesem in der Tat komischen Haufen gilt, sondern der Idee des politischen Liberalismus selbst, die hierzulande, wo auch die Linke lieber den Obrigkeitsstaat zu eigenen Zwecken zu vereinnahmen versuchte als an einer positiven Überwindung des Liberalismus zu arbeiten, nie einen guten Stand hatte.

Der Brüderle, die Schwesterle und das Geschmäckle

Das schlechte Ansehen der FDP ist auch die Kulisse, vor der der Stern-Brüderle-Skandal spielt. Das beginnt beim Umstand, dass da eine Jungjournalistin zum Dreikönigstreffen der FDP geschickt wird – in den meisten Parlamentsredaktionen ist die FDP-Berichterstattung das, was für Frisöre das Föhnen und Haare waschen ist: ein Anfängerjob. Und das setzt sich bei jenem Tresengespräch fort, bei dem das Schwesterle vom Stern den Brüderle von der FDP rotznäsig fragt, wie ein alter Sack wie er zum Hoffnungsträger seiner Partei avancieren könne. (Klar kann kann man machen, nur sollte, wer austeilt, auch einstecken können. Alles andere ist schlechter Stil.)

In einer anderen Konstellation wäre dieser Talk, Claudius Seidl hat in der FAS darauf hingewiesen, kaum vorstellbar: „Einem 28-jährigen Mann, der eine solche Frage einer 66-jährigen Frau stellte, würde man heimlich ein paar hinter die Löffel wünschen.“ Und auch das ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere lautet: Einen etwas älteren Politiker der CDU, der SPD oder der Grünen würde wohl keine junge Journalistin und kein junger Journalist auf so joviale Weise ansprechen.

Nur im Zusammenhang mit der Trashpartei FDP kann sich ein Trash- und Tittenblatt wie der Stern zum feministischen Kampforgan aufschwingen, ohne dass alle in schallendes Gelächter ausbrechen. Und nur so kann sich die Reporterin als Opfer präsentieren, ohne dass jemand groß fragen würde, warum sie diesem schmierigen Typen nicht einfach die Meinung gegeigt hat – immerhin war sie keine Untergebene, die berufliche Konsequenzen hätte fürchten müssen.

Doch so doof wie ihr Ruf

Nun ahnt man diese Dinge auch in der FDP; logisch, diese Leute sind ja nicht ganz so doof. Oder sie sind es doch. Von der Einsicht, dass der schlechte Ruf der Partei zuvörderst mit ihrem schlechten Zustand zu tun hat, sind die Brüderles und Westerwelles weit entfernt. Sie sehen auch nicht ein, warum hier eine Entschuldigung keine schlechte Idee wäre, vielleicht verbunden mit einer Spende an eine Organisation wie Terre des Femmes, die sich um ganz andere Fälle von Sexismus kümmert als das Schicksal einer leitenden Redakteurin bei Spiegel-Online, die mal versehentlich für die Sekretärin gehalten wurde, nämlich um Fälle wie Arzu Özmen, die einem Ehrenmord ihrer Geschwister zum Opfer fiel und gegen deren Vater am Montag der Prozess begann, was inmitten des ganzen #Aufschreis unterging.

Anstatt also wenigstens im nüchternen Zustand ein wenig Taktgefühl zu zeigen, inszeniert sich Brüderle als Wiedergänger von Sacco & Vanzetti oder Hans und Sophie Scholl: „Sie können uns schlagen, sie können uns beschimpfen, sie können uns mit Dreck bewerfen, aber sie können uns unsere Überzeugung und Selbstachtung nicht nehmen.“ Der Kampf geht weiter: Freiheit, Gleichheit, Brüderlechkeit!

Die größte Leistung seiner Karriere

Aber gut, auch diese Debatte, die Brüderle unfreiwillig angezettelt hat und die als größte Leistung seiner Karriere gelten darf, diese Debatte ist inzwischen weiter. Brüderle steht nun, wie Silke Burmester in der taz schreibt, bloß stellvertretend für Millionen Männer. Recht hat sie. Mögen auch die Umstände, die diese Kontroverse ausgelöst haben, ein Geschmäckle haben, es hätte sie nicht gegeben, wenn nicht so viele Frauen das Bedürfnis gehabt hätten, ihre eigenen Erfahrungen mit täglichem Sexismus herauszuschreien.

Doch es lohnt sich, diesen //twitter.com/search?q=%23aufschrei:#Aufschrei genauer zu betrachten und dabei nicht nach der Maxime zu verfahren, dass sich 100.000 Hashtags nicht irren könnten. Denn wer sich durch Twitter wühlt und den obligatorischen Internetmüll, der sich mittlerweile angesammelt hat („Ich habe mir gerade versehentlich ein Ei eingeklemmt! #aufschrei“), beiseite räumt, stößt auf höchst Unterschiedliches.

Da stehen Schilderungen ekelerregender Begebenheiten, die eindeutig die Grenze der Strafbarkeit überschreiten („Der Chef, der erklärte, mich nicht zu kündigen, wenn ich ihm einen blasen würde... #Aufschrei“) neben, sagen wir: weniger eindeutigen Sachverhalten („Der letzte Chef, der in der Teamvorstellung sich darüber freute nun mit meiner weiblichen Intuition fest zu rechnen. #aufschrei“). Und immer wieder finden sich Einträge, die den Verdacht erwecken, die Aufregung werde zuweilen dazu genutzt, offene Rechnungen zu begleichen, die anderen Ursprungs sein könnten: „Der Chef, der mir in Feedbackgesprächen immer wieder sagt, dass ich zu emotional bin... #aufschrei.“

Und natürlich sind auch Leute dabei, über die Wiglaf Droste einst schrieb, sie wollten „immer nur eines sein, nämlich Opfer, und das natürlich im warmen Mief der Gruppe“. Das klingt dann etwa so: „Der viel ältere Chef, der sich am letzten Arbeitstag auf einmal per Umarmung verabschieden will #aufschrei.“

Skandalöses und Denunziatorisches

All diese Befunde stehen unter dem Vorbehalt, dass sich hier sprachlich mehr oder weniger versierte Menschen auf 140 Zeichen auslassen; natürlich kann jede einzelne Geschichte weit mehr beinhalten, als für Außenstehende aus einem Tweet erkennbar ist. Die Summe der Berichte aber lassen das Fazit zu, dass sich hier lange unterdrückte Wut über skandalöse Vorfälle und patriarchale Verhältnisse mit fröhlichem Denunziantentum, bequemer Selbstviktimisierung und bloßer Wichtigtuerei vermischen.

Befremdlich klingt übrigens nicht nur manches auf Twitter, befremdlich klingen auch einige derer, die zwar Brüderles Verhalten kritisieren, aber zugleich dafür plädieren, die Sache tiefer zu hängen: „Wenn das, was zwischen Brüderle und der Stern-Reporterin in einer Hotelbar passiert beziehungsweise nicht passiert ist, als ,Sexismus‘ durchgehen soll, dann wird der Begriff ausgehöhlt und banalisiert, dann wird der Kampf gegen den wirklichen Sexismus erheblich erschwert“, schreibt etwa Henryk M. Broder in der Welt, ohne die Ironie zu bemerken, dass er sich dabei exakt so anhört wie Jakob Augstein bei seiner Antwort auf das Simon-Wiesenthal-Center.

***

Besser: Man sieht, dass nicht alles, was als #Aufschrei daherkommt, Sexismus ist. Und man weiß, dass Vieles, das mit der scheinbar naiven Attitüde „Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-was-gesagt-werden-muss“ daherkommt, genau das ist, was es zu sein bestreitet: Rassismus, Antisemitismus, Sexismus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.