„In jener Stunde begann es“

Die Wagners ließen sich gern von Adolf Hitler umwerben und modernisierten dennoch die Festspiele in Bayreuth. Mit dieser These versucht die Historikerin Brigitte Hamann in ihrem Buch gegen gängige Klischees anzuschreiben

Hitler verklärte eine „Rienzi“-Aufführung zum Leitmotiv seiner politischen Mission

Die alte Frau ließ keine Fragen offen. „Wenn der Hitler zum Beispiel heute hier zur Tür hereinkäme“, tönte ihre Stimme aus dem Off, „ich wäre genauso fröhlich und glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben wie immer.“ Man schrieb das Jahr 1975. Die Frau, die da sprach, war Winifred Wagner, von 1930 bis 1944 Festspielchefin in Bayreuth und seit 1923 Duzfreundin des Wagner-Verehrers Adolf Hitler.

Der Skandal nahm seinen Lauf, noch bevor der Dokumentarfilm des jungen Regisseurs Hans-Jürgen Syberberg überhaupt gezeigt worden war. „Der tägliche Faschismus als eine unfassbare Borniertheit und Ignoranz“, polterte die Zeit. Winifreds Sohn und Nachfolger Wolfgang Wagner berief eine Pressekonferenz ein, distanzierte sich von dem Film und erteilte seiner Mutter Hausverbot. Die Festspiele waren gerettet.

Die Dramaturgie, der solche Skandale folgen, ist immer gleich. Aber Brigitte Hamann, die ihrem viel beachteten Buch über Hitlers Wiener Jugendjahre jetzt eine Biographie über Winifred Wagner folgen lässt, verweigert sich dieser Logik. Den grellen Helldunkeleffekt, mit dem die Vergangenheit Bayreuths bislang ausgeleuchtet wurde, ersetzt sie durch eine Fülle von Grautönen.

So ist es ein bequemes Klischee, den Nationalsozialismus einfach als „reaktionär“ abzutun. Dabei waren es gerade die spezifisch modernen Methoden, die der Hitler-Partei zur Macht verhalfen. Das vergleichsweise jugendliche Alter der NS-Führungsriege, die professionelle Inszenierung der Wahlkampfauftritte, der Radau um jeden Preis – das alles ließ die „Weimarer Parteien“ vergleichsweise alt aussehen. Auf diese Weise schaffte die einstige Splittergruppe bei der Reichstagswahl 1930 den Durchbruch zur Volkspartei – just mit 18 Prozent der Stimmen.

Auch die durchgreifende Modernisierung der Bayreuther Festspiele, die heute als Nachkriegswerk Wieland Wagners gilt, begann in Wahrheit bereits in den frühen Dreißigerjahren. Es war niemand anderes als die glühende Hitler-Verehrerin Winifred Wagner, die das museal gewordene Bayreuth gründlich entrümpelte. Gegen den Widerstand vieler Altwagnerianer holte sie die künstlerische Elite der Zeit in die fränkische Kleinstadt. Durchhalten ließ sich dieses heftig angefeindete Programm nur mit der Rückendeckung Hitlers, der von 1933 bis 1940 jeden Sommer in Bayreuth Hof hielt und auch danach noch dafür sorgte, dass die Festspiele trotz des Krieges weiter stattfanden.

Hitler und Bayreuth – das ist eine Verbindung, die bereits in der Anfangszeit der nationalsozialistischen Bewegung begann. Hitler selbst verklärte eine „Rienzi“-Aufführung, die er als Jugendlicher im Linzer Landestheater sah, zum Leitmotiv seiner politischen Mission. „In jener Stunde begann es“, sagte er später, und noch die Nürnberger Reichsparteitage ließ er mit der „Rienzi“-Ouvertüre eröffnen.

Welche Rolle Wagner und Bayreuth für die Selbstinszenierung Hitlers spielten, zeigt auch der Zeitpunkt seines ersten Besuchs in der Villa Wahnfried gut einen Monat vor seinem Putschversuch 1923. „Wie Gläubige vor einer wichtigen Entscheidung eine Pilgerfahrt machen“, schreibt Hamann, habe er sich den Segen des toten Meisters geholt.

Die Türen des Hauses Wahnfried, wo als Schwippschwager Winifred Wagners auch der Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain lebte, standen für Hitler weit offen. Aufs Engste waren die Wagners mit jenen völkischen Zirkeln in München verbunden, in denen sich Hitler bewegte. Die Tatsache, dass er als kenntnisreicher Wagnerianer auftreten konnte, erleichterte ihm den Zugang zu bürgerlichen Kreisen, auf deren Unterstützung seine Partei auch finanziell angewiesen war.

Dass Hitlers Werben um Bayreuth auf derart fruchtbaren Boden fiel, hatte aber nicht nur ideologische Ursachen. Ganz offenkundig erlag Winifred Wagner auch der erotischen Ausstrahlung des Mannes, der im trüben Alltag der Villa Wahnfried Abwechslung versprach. Auf Initiative der Familie Wagner war das britische Waisenkind Winifred Williams im Alter von 18 Jahren mit dem fast 30 Jahre älteren Komponistensohn Siegfried Wagner verheiratet worden, ohne über dessen Homosexualität im Bilde zu sein. Das Gerücht, Hitler habe jemals an eine Heirat mit Winifred Wagner gedacht, verweist Hamann jedoch ins Reich der Legende – auch wenn er quasi als Familienmitglied auftrat und nach seiner Wahl zum Reichskanzler das Ansinnen der Wagner-Kinder ablehnte, sich mit dem frisch gebackenen Staatsmann zu „entduzen“.

Wenn Familienmitglieder ausnahmsweise Distanz zeigten, dann geschah es aus rein taktischen Motiven. So versicherte Siegfried Wagner nur wegen eines drohenden Boykotts 1925 in einem Brief an den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die Festspiele sollten „frei von jedem politischen Einschlag bleiben“. Und 1944 warnte der heutige Festspielchef Wolfgang Wagner seinen älteren Bruder Wieland davor, „ausgerechnet jetzt“ die Leitung der Festspiele zu übernehmen: „Den Krieg verlieren wir sowieso. Wie stehst du dann da?“

Das Kriegsende verhinderte ohnehin, dass es 1945 zu Festspielen unter Wieland Wagners Leitung kommen konnte. So konnte er alle Schuld für die enge Symbiose zwischen Bayreuth und den Nationalsozialisten auf seine Mutter abwälzen und von 1951 an als Schöpfer eines avantgardistischen „Neu-Bayreuth“ auftreten.

Vor 1945 hatte Wieland Wagner allerdings skrupellos gegen den Modernisierungskurs seiner Mutter und der von ihr gedeckten Künstler intrigiert, um sich als der bessere Nazi an die Spitze der Festspiele zu befördern. Welche Rolle er obendrein als stellvertretender ziviler Leiter des KZ-Außenlagers Bayreuth spielte, ist bis heute ungeklärt.

Die als unverbesserliche Nationalsozialistin geschmähte Mutter hingegen zeigte sich zunehmend unzufrieden mit den Zuständen. Unablässig formulierte sie Eingaben an die verschiedensten Dienststellen, um Verfolgten zu helfen. Bis zu ihrem Tod blieb sie davon überzeugt, dass der bewunderte „Führer“ unmöglich die Verbrechen billigen konnte, die in seinem Namen begangen wurden. Wegen ihrer Initiativen brach Hitler den persönlichen Kontakt 1940 ab. Das kränkte sie so sehr, dass sie diesen entlastenden Umstand im Entnazifizierungsverfahren sogar verschwieg.

RALPH BOLLMANN

Brigitte Hamann: „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“, 688 Seiten, Piper-Verlag, München 2002, 26,90 €