Live Art Festival: Verkomplizierte Verhältnisse

Zur Kritik der politischen Zoologie: In Hamburg widmen sich Tanz-, Performance- und Aktionskünstler dem Verhältnis von Mensch und Tier.

Zoo für menschliche Randgruppen: Performance "Human Zoo" des Kollektivs Gods Enterntainmen. Bild: Frank Egel

HAMBURG taz | Gar nicht lang her, da war es ein Biotop, in dem sich nur die üblichen Verdächtigen tummelten: Esoteriker, Tierrechtler und -befreier. Seit rund zwanzig Jahren aber spannt sich vor allem im angloamerikanischen Raum zwischen interdisziplinären Perspektiven wie Human-Animal Studies, Animal Studies, Posthumanismus, Anthro- und Archäozoologie ein längst nicht mehr so klar umrissenes Feld offener Fragen auf. Wer es beackert, streitet immer erfolgreicher um akademische Anerkennung. Schon hat die Umwelthistorikerin Harriet Ritvo den nächsten sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel ausgemacht: den „Animal Turn“.

Auch hierzulande wird die Debatte um den historischen Wandel der Mensch-Tier-Verhältnisse, die Analyse menschlich-tierischer Interaktionen oder die Dekonstruktion des animalischen Anderen nun immer ernster genommen. Seit Kurzem steht sie auch hier auf – noch ein wenig wackligen – akademischen Beinen. Aber spätestens seit Karen Duves „Anständig essen“ und Jonathan Safran Foers „Tiere essen“ darf man auch im Feuilleton ohne Spinner-Verdacht Kritik der politischen Zoologie betreiben.

Dabei geht die Debatte weit über die Problematisierung industrieller Fleischproduktion hinaus. Historisch untersucht man den Prozess der Domestizierung, die Ausstellung von Tieren in Menagerien, Zoos und Zirkussen, die Tierprozesse des Mittelalters, Bestiarien oder die Rolle von Hunden in Gewaltherrschaftssystemen. Man fragt nach Tierbildern in der Popkultur, nach der Migration von Spezies und natürlich nach der Liebe zum Haustier.

Ein komplizierter Diskurs, der ganz bewusst die Verhältnisse verkomplizieren will. Und durchaus geeignet ist, sie zum Tanzen zu bringen. Zunächst mal ganz buchstäblich. Längst hält der Animal Turn auch in künstlerische Produktionen Einzug. Davon kann man sich nun beim fünften Live Art Festival auf Kampnagel überzeugen. Zehn Tage lang widmet sich das Festival für aktuelle Positionen in Tanz, Installation, Performance- und Aktionskunst unter dem Titel „Zoo 3000 – Occupy Species“ exklusiv dem Verhältnis von Tier und Mensch. Und will dabei ausdrücklich machtpolitische Verhältnisse von Klassen, Ethnizität, Geschlechtern und Habitaten neu verhandeln.

Sehen kann man da etwa den „Human Zoo“ des Wiener Performancekollektivs God’s Entertainment, in dem menschliche Randgruppen ausgestellt werden. Die zoopolitische These dabei: Kontroll- und Ordnungsmechanismen erfahren einen Transfer von Tier zu Mensch, aus Tauben-Spikes werden Schalensitze, auf denen Obdachlose nicht mehr liegen können. Die Inszenierung von Klischees soll den Kreislauf der Stereotype durchbrechen. Zu Gast ist auch das belgische „Zoological Institute for recently extinct species“ des Künstlers Jozef Wouters, das ausgestorbene Spezies ausstellt und damit Konservierungs-, Klassifizierungs- und Darstellungsmodalitäten verschieben will.

Der belgische Regisseur David Weber-Krebs und der Theaterwissenschaftler und Dramaturg Maximilian Haas wiederum lassen ein Tier auf der Bühne, nun ja: wirken. Vor dem Hintergrund der politischen Ökologie des französischen Soziologen Bruno Latour fragt die Performance „Balthazar“ für einen Esel und sechs menschliche Mitperformer nach dem Zusammenhang dreier Phänomene des Passiven: des Dings, des Tiers und menschlicher Formen des Nicht(s)tuns. Die Taktiken des Abends bestimmt dabei das Tier, das hier aus seiner theatralen Rolle als Dekoration oder domestizierter Diener befreit und ins Zentrum des Geschehens gestellt wird.

Für Freitag und Samstag nächster Woche hat der Wiener Philosoph und Kunsttheoretiker Fahim Amir schließlich internationale DenkerInnen zur „Explodierten Universität“ geladen. Der australische Theoretiker Dinesh Wadiwel fragt dort etwa nach Tier-Souveränitäten, Amir selbst geht der These von Tieren als Teil der Arbeiterklasse nach.

Weitere Themenblöcke setzen sich mit dem Zusammenhang von Tieren als „Lerntafeln“ und zugleich Auslöser von Affekten, mit dem Verhältnis von Tier- und Queer-Theorie oder den Möglichkeiten einer Transspezies-Solidarität auseinander.

Denn der Höhepunkt des Festivals ist im Anschluss eine „Lange Nacht der Befreiung“, in der Hamburger Performance-Künstler nach einem Vortrag von Daniel „Classless“ Kulla über „Rausch und Freiheit“ auf dem ganzen Kampnagel-Gelände Arbeiten zum Thema Tier-Befreiung präsentieren. Um so die Grenzen der herrschenden zoologischen Ordnung zu brechen und durch performative Strategien zu ersetzen.

■ Mi, 5. 6. bis Sa, 15. 6., Kampnagel
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.