Plädoyer fürs Hausfrauen-Dasein: Mutti macht mobil

Katholisch, verheiratet, vierfache Mutter und Hausfrau: Birgit Kelle hat ein Buch über sich und ein Plädoyer für ihren Lebensentwurf geschrieben.

„Dann mach doch die Bluse zu“ – ein programmatischer Buchtitel. Bild: blümchen36 / photocase.com

Wenn ein Verlag eine Debütantin mit keiner geringeren Behauptung vorstellt als „Hier schreibt eine der profiliertesten Vordenkerinnen einer neuen selbstbewussten Frauengeneration“, dann sollte man vor der Lesestunde erst mal schauen, wen man da vor sich hat. So erzählt die Vita der Autorin zunächst das Gegenteil dessen, was man gemeinhin für eine moderne Frau hält: verheiratet, katholisch, vierfache Mutter, Exherausgeberin einer christlichen Monatszeitschrift, Beruf: Hausfrau. Aber eine, die vom Küchentisch aus gegen einen von ihr exklusiv identifizierten „Gleichheitswahn“ anschreibt.

2011 tauchte Birgit Kelle zum ersten Mal in Maybrit Illners ZDF-Talk auf, später auch bei Lanz, Plasberg, Beckmann, Jauch und Will. Die bei Illner ebenfalls geladene junge Mutter und Familienministerin Kristina Schröder staunte nicht schlecht über die Unbekannte ohne Amt, ohne Buch, ohne sonst was, die zu wissen vorgab, dass es sehr viele Frauen in Deutschland gibt, die sehr gern als Hausfrau und Mutter zu Hause bleiben wollen. Ein antifeministischer Tabubruch? Friendly Fire? Mut oder Unbedarftheit?

Egal. Kelle muss Teilen der Nation jedenfalls das Richtige zur rechten Zeit gesagt haben: Ihre Kolumne „Volle Kelle“ in einem Onlinedebattenmagazin avancierte mit dem Text „Dann mach doch die Bluse zu“ aus dem Stand zum Klickmonster. Für die Hannoversche Allgemeine hat sie damit „Web-Geschichte“ geschrieben. Und die Medienfachleute von Werben & Verkaufen sahen in ihr „das Social-Media-Phänomen des Jahres“. Tausende likten, teilten und kommentierten bei Facebook. „Sie sprechen mir aus der Seele“, hieß es da, oder: „Ich dachte immer, ich sei die Einzige, die so denkt!“ Ja doch, die Sache nahm religiöse Züge an.

Leute fühlten sich erweckt, die sonst im Schmollwinkel verharren. An denen, so die Autorin, „die Schweigespirale ihre volle Wucht entfaltet“ hatte. Oder anders: Standpunkte, die kein Gehör fanden, hatten sich bis dato in ein Bauchgefühl umgewandelt. Nun könnte man meinen, Birgit Kelle bediene dieses Bauchgefühl im Stile einer Populistin. Ist sie also die Sarrazinin der Familiendebatte?

Die Zielgruppe: Hausfrauen, wütende Männer, Katholiken

Klar, dass sich das auch Verlage fragten und einen Bestseller witterten. Kelle gab dem adeo Verlag den Zuschlag. Dort erscheinen auch Margot Käßmanns Lebensweisheiten und eine Fußballerbibel. Die für das Kelle-Buch anvisierte Zielgruppe lässt sich bereits auf deren Facebookseite identifizieren: Hausfrauen, die ihr gern glauben, dass sie zufrieden sein dürfen, wütende Männer, die sich im Kampf um das Sorgerecht ihrer Kinder vom Staat verlassen sehen, – und Katholiken. Das erklärt dann leider auch das kurze Kapitel gegen Abtreibung in „Dann mach doch die Bluse zu“ (der Verlag entschied sich sicherheitshalber für den Titel der Erfolgskolumne), das aber zum Wenigen gehört, das man besser überblättert.

Nein, so flapsig-katholisch darf man den verlustreichen emanzipatorischen Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen 218, den Treibstoff des Feminismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht abwatschen, wenn man auch auf der Gegenseite ernst genommen werden will.

Verhandelt wird in Kelles Buch mit dem Untertitel „Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn“ die Sexismusdebatte, die „Diktatur des Feminismus“ mit seinem angeblichen Gender-Mainstreaming-Terror, den Kelle gegen eine schweigende Mehrheit tief in die Mitte der Gesellschaft installiert sieht. Es folgt eine Auseinandersetzung mit Kampfbegriffen wie „Mein Bauch gehört mir“, ein lupenreines Vater-Mutter-Kind-Familien-Plädoyer, eines für die traditionelle Elternerziehung und gegen staatliche Betreuung, eine Absage an die Frauenquote und eine bartpinselnde Ermunterung an alle Männer, endlich wieder richtige Männer zu sein, die Geld für die Familie verdienen, Frauen Komplimente machen und den Grill bedienen dürfen.

Das liest sich alles durchaus flott weg – auch wenn Vierfachmutti Kelle ihre individuellen Erfahrungen mitunter arg penetrant als Argumentationshilfe mit in die Waagschale wirft. Am „Mutti hat die Weisheit mit Löffeln gefressen“-Sound spürt man deutlich, dass Kelle auch anders kann, wenn man ihr nicht gehorchen mag: richtig giftig sein. Da möchte man als alleinerziehende Alternativmutti auf dem Kirchenbasar nicht mit dem Zucchini-Kuchenblech neben der sahneschweren Donauwelle von Kelle stehen und versehentlich ein Stück mehr an den Mann bringen. Aber überlässt man ihr am Kuchenstand die La-Ola-Welle der Väter, dann ist vorstellbar, dass man sogar in lila Latzhose ihre beste Freundin sein darf.

Als säße man mit ihr am Küchentisch

Aber „Vordenkerin einer neuen selbstbewussten Frauengeneration“? Versuche, eine konservative Haltung zum neuen Modernen zu erklären, sind noch selten überzeugend gelungen. Sicher, es mag heute Mut erfordern, sich zu konservativen Werten zu bekennen. Moderner werden sie dadurch aber noch lange nicht. Sie haben allenfalls das Potenzial, gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte eine überraschende Vitalität entgegenzusetzen. Und Birgit Kelle lässt uns ihre Vitalität spüren.

Man muss ihre Haltung nicht teilen. Aber für viele könnte der Mehrwert von „Dann mach doch die Bluse zu“ darin liegen, dass Kelle diesen Sack voller Missverständnisse und Zerwürfnisse zwischen den Geschlechtern röntgt, dabei auch klug argumentiert, akkurat zitiert und auf eine Weise verständlich bespricht, als säße man mit ihr gemeinsam in ihrer großen Küche beim Backen der Donauwelle. Wie sang Reinhard Mey noch? „Wie oft gingen die Wogen darin hoch zwischen uns zwei’n. Da sind Teller geflogen, wie kann so was befrei’n!“

Birgit Kelles Buch ist eine Tellerwurf-Gesprächseinladung. Über Gleichstellung und Frauenquote. Über Sexismus, Krippenplätze und – am rasantesten: über diese elende „Herdprämien“-Diskussion. Auch auf der Facebookseite der Autorin geht es mitunter laut zu. Aber dann haut Mutti kurz auf den Tisch, und Ruhe ist.

Gegen eingefahrene feministische Dialektik

„Dann mach doch die Bluse zu“ ist ein neues Plädoyer für die Anerkennung des Berufsbilds „Hausfrau“ geworden. Und eine Anleitung für Mütter, ihre Mutterschaft wieder ausgiebig zu genießen. Das Buch setzt eingefahrenen, oft nur noch zynisch und gebetsmühlenartig vorgetragenen feministischen Standpunkten etwas entgegen.

Kelle bittet mit ihrem sehr persönlich geschriebenen Buch jene Frauen und Männer wieder zurück an den Verhandlungstisch, die sich bisher überrollt fühlten von dieser oft nervenaufreibenden – auch von immer mehr Frauen als aggressiv empfundenen – eingefahrenen feministischen Dialektik.

„Dann mach doch die Bluse zu“ hat das Zeug, eine von Alice Schwarzer, Bascha Mika oder Elisabeth Badinter dominierte Debatte zu beleben – und tatsächlich zum Bestseller zu werden. Einem längst überfälligen.

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