Sehnsucht nach der schützenden Hand der Popen

■ Vehement fordert die serbisch-orthodoxe Kirche Milosevics Rücktritt. Plötzlich sind auch Oppositionelle Gottes Kinder. Zeiten, als die Kirche Nationalismus predigte, sind vergessen

Die Bischofskonferenz der Serbischen Orthodoxen Kirche verabschiedete kürzlich einen Aufruf, in dem es unter anderem heißt: „Wir erwarten von den Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien, dass, falls sie ihr Volk und ihren Staat nicht zu ihren Geiseln machen und in den sicheren Untergang führen wollen, sie so bald wie möglich anderen Personen ermöglichen, das Steuer zu übernehmen, um Volk und Staat aus der Sackgasse zu führen.“

Eine so direkte Einmischung der Kirchenführung in die Politik hat es hierzulande seit dem Mittelalter nicht mehr gegeben. Alle Oppositionspolitiker suchen beim greisen Patriarchen, Pavle, um Audienz nach und erbitten seinen Segen. Man flehte Pavle an, an der Protestkundgebung am 19. August teilzunehmen, aber das war für ihn dann doch zu viel. Kurzfristig sagte Pavle ab.

Obwohl Slobodan Miloševic aus seiner Ungläubigkeit nie einen Hehl machte, hatte ihn die orthodoxe Kirche zu Beginn seines politischen Aufstieges aktiv unterstützt. Den Geistlichen gefielen sein Nationalismus und sein Antieuropäismus. Für die Orthodoxie ist der Westen der Ursprung eines jeden Gräuels. Amerika ist das Sündenbabel an sich. Und besonders während des Bosnienkrieges waren einige Erzbischöfe, vor allem Erzbischof Atanasije, der sich selbst gerne lächelnd einen Zeloten nannte, in den Reihen der serbischen Soldateska zu finden.

In diese Zeit fällt sogar ein theologischer Streit zwischen dem jetzt auch weltlichen Anführer der im Kosovo verbliebenen Serben, Erzbischof Artemije, und dem Patriarchen.

Der etwas zwerghaft gewachsene und wohlbeleibte Artemije, der selbst mit dem hohen Bischofshut, der Kamilavka, seinem frischgebackenen Partner, dem UÇK-Führer Hashim Thaqui, kaum bis zum Knie reicht, versuchte sich als einer der schärfsten Nationalisten zu profilieren. Auf die Warnung des Patriarchen: „Alle Menschen, Christen und Muslime, sind Kinder Gottes!“ schrieb Artemije: „Seine Heiligkeit irren. Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes, aber nur gläubige, orthodoxe Christen sind Kinder Gottes!“ Damals schrieb der Patriarch zurück: „Ich habe dafür zu sorgen, dass mich eines Tages der Herr nicht wegschickt mit den Worten: Hinweg von mir, du bist verflucht!“

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Vuk Draškovic, Führer der stärksten Oppositionspartei, der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), der bisher stets darauf bedacht war, sich als gäubiger Mensch darzustellen und mit den Patriarchen auf gutem Fuß zu stehen, warnte unlängst: „Wir sind ein laizistischer Staat, bei uns können die Priester keine derartige Rolle spielen wie im Iran!“

Hingegen beobachteten Journalisten vor einigen Tagen Momcilo Perišic bei eher ungewöhnlichen Tätigkeiten. Der ehemalige jugoslawische Generalstabschef, der mit der „Bewegung für ein demokratisches Serbien“ eine eigene Oppositionspartei gegründet hat, stahl sich heimlich durch einen Nebenausgang aus dem Patriarchensitz.

In Serbien steht dieser Tage viel auf dem Spiel. Da sehnt sich ein jeder, wenn nicht nach dem Segen, so doch auch nach ein wenig politischer Unterstützung der Popen. Andrej Ivanji, Belgrad