Pleitegeier trotz Bundesadler

Die Handballerin Anika Schafferus profitiert vom Generationswechsel, leidet aber unter den begrenzten Möglichkeiten ihres Sports  ■ Von Jörg Winterfeldt

Die Worte sprudeln, die Augen funkeln unter dem blondgefärbten Schopf, als Anika Schafferus zu später Stunde inmitten von Fans und Kolleginnen auf dem Garderobentresen der Kreissporthalle Minden hockt. Zwischen der Bierflasche in der Linken und der Zigarette in der Rechten sitzt frischgeduscht eine zierliche Handballspielerin, besonders glückselig, weil ihre SG Minden eben nach ausgedehntem Zittern einen wichtigen Bundesligasieg geschafft hat.

Schafferus (23), die einst in Böblingen das Handballspiel erlernte und sich anschließend über Sindelfingen und Mainzlar erst vor dieser Saison in das westfälische Minden transferieren ließ, erlebt eine kuriose Spielzeit: Einerseits pflegen die Spiele ihres neuen Teams stets einen dramatischen Verlauf zu nehmen – bislang häufiger mit dem besseren Ende für die Gegner. Der Klub liegt in der Bundesliga-Tabelle auf Rang 8, nicht allzuweit von den Regionen entfernt, die den Abstieg bedeuten können. Trainer Phillip Koch mahnt deshalb bereits bei Gelegenheit, es gehe „um die Existenz des Vereins“.

Andererseits darf die quirlige Außenspielerin alle paar Wochen ihre Tasche packen und unbeschwerte Ausflüge unternehmen, während die Vereinskolleginnen wacker trainieren müssen, um auch in der kommenden Spielzeit gegen die besten Mannschaften Deutschlands spielen zu dürfen: Seit Anika Schafferus am 28. Oktober 1996 in Freudenstadt gegen Chinas Juniorinnen ihr Debüt im Nationalteam gegeben hat, ist sie regelmäßig dabei, wenn die deutsche Frauenauswahl zu ihren Länderspielen antritt.

In Ekke Hoffmanns Team steht die Böblingerin für den schleichenden Generationswechsel seit dem enttäuschenden 6. Platz bei den Olympischen Sommerspielen in Atlanta und den Rücktritten von Leistungsträgerinnen wie Bianca Urbanke (Frankfurt/Oder) und Csilla Elekes (Baunatal). Im Dezember ist Schafferus so Vierte geworden bei der EM in Dänemark. Nur zögerlich gewöhnt sich die Sportstudentin der Universität Bielefeld an den Aufstieg vom abstiegsgefährdeten Dasein in Minden in die nationale Elite ihres Sports. Als die Leserinnen und Leser des Fachmagazins Handball- Woche sie neulich auf Position 5 einstuften bei der Wahl zur Handballerin des Jahres, war der bescheidenen Schafferus die Ehre abends beim Training mit den Vereinsfrauen „fast peinlich“.

Obwohl sie im Nationalteam nun regelmäßig auflaufen darf, sei sie sich „auch jetzt des Stammplatzes nie sicher“. Unverhohlenes Unverständnis schließlich zollte die flinke Außenspielerin der Journalistenschar, die ihre vorweihnachtlichen Skandinavienauftritte durchweg lobend kommentierte. Auf dem Feld überzeugt die dialektfreie Schwäbin mit Tempo und Toren – 60 in 18 Länderspielen sowie 37 in dieser Saison in der Liga bislang –, außerhalb mit Natürlichkeit und Humor. So eine findet zügig Freunde und Anerkennung, auch bei den Medien. „lch leg' mich mit niemand groß an“, gesteht sie, „und ich setz' mich nicht still in die Ecke.“ Schafferus, mit der Betonung auf dem „e“, die sie im Nationalteam kurz „Floh“ rufen, sagt, was sie denkt. Sofort und unverblümt. „Frauen-Handball“, gibt sie zu, sei manchmal „'n ziemliches Gegurke“. Zudem mag in der Bundesliga nicht so recht Kontinuität aufkommen, weil der Spielbetrieb während der häufigen Turnierausflüge des Nationalteams immer wieder für einige Wochen unterbrochen wird. Schafferus Team hat zu den Heimspielen in Minden daher selten mehr als 400 Zuschauerinnen und Zuschauer.

In der Kreissporthalle, die die Weltauswahl der maskulinen Konkurrenz Grün-Weiß Dankersen in ihrer 2.500-Sitze-Kapazität dauerausverkauft, läßt der Frauenverein daher oft die Trennwand hinter dem ersten Drittel des Zuschauerblocks herunter, um eine ansprechendere Publikumsdichte zu simulieren. Obwohl Schafferus selbst das Zuschauen bei Herrenspielen zumeist vorziehen würde, mag sie die Ungleichbehandlung nicht tolerieren: Ein ähnlicher Trainings- und Spielaufwand, aber keine korrespondierende Bezahlung, weshalb die lebenslustige Frau mit dem großen Ehrgeiz chronisch pleite ist, trotz 2.400 Mark von der Sporthilfe für den EM-Erfolg, trotz Vereinsbezahlung und trotz Übernahme der Autounterhaltungskosten durch die Eltern.

Dabei hält das Leben zwischen Studium, Verein und Nationalmannschaft sie so in Atem, daß sich die Zeit zum Geldausgeben wie zum Elternbesuch in Böblingen mächtig reduziert: Zehn Tage Urlaub bleiben ihr im Sommer, schon im Januar ist das ganze Jahr verplant. „Spontan sein“, seufzt Perspektivstar Schafferus, „kann ich nie.“