MRSA-Prophylaxe in Bremen: Kein Keim darf rein

Das Rote-Kreuz-Krankenhaus testet potenzielle Patienten auf MRSA. Aufgenommen werden KeimträgerInnen erst nach erfolgreicher „Eigensanierung“.

Ein Abstrich bringt Klarheit darüber, ob diese PatientIn mit MRSA besiedelt ist. Bild: Rotes-Kreuz-Krankenhaus Bremen

Während ab Januar im Bremerhavener Klinikum Reinkenheide ein neues Verfahren zur Feststellung des Krankenhauskeims MRSA getestet wird, setzt das Rote-Kreuz-Krankenhaus (RKK) Bremen auf Prophylaxe: Um zu verhindern, dass MRSA überhaupt ins Krankenhaus „mitgebracht“ wird, testet es im Rahmen eines Pilotprojekts ambulant alle PatientInnen, die eine Gelenks- oder Gefäßprothese bekommen sollen. Wer positiv gestestet wird, erhält ein „Sanierungs-Kit“, um sich vor dem Krankenhausaufenthalt vom Keim zu befreien.

Die TeilnehmerInnen des Projekts müssen allerdings bei der AOK Bremen krankenversichert sein, denn nur sie ist Projektpartnerin und übernimmt die anfallenden Screenings- und Sanierungskosten. Dritter Partner ist ein Pharmaunternehmen, das MRSA-Sanierungskits herstellt. Die bestehen aus antiseptischen Mundspülungen, Nasensalben und Reinigungsmitteln für Körper und Haar. „Normalerweise müssen die von den Patienten selber bezahlt werden“, sagt AOK-Sprecher Jörn Hons, „selbst von denen, die ganz eindeutig in die Kategorie Risikopatienten gehören.“

Und normalerweise werden auch nur diese sogenannten RisikopatientInnen vor ihrem Krankenhausaufenthalt überhaupt getestet. Für die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gehören dazu jene Menschen, die in den vergangenen sechs Monaten stationär behandelt worden sind und zusätzlich zwei oder mehr von insgesamt fünf Risikofaktoren aufweisen, zu denen unter anderem eine Antibiotikatherapie in den vergangenen sechs Monaten, schwere Pflegebedürftigkeit oder eine Dialysepflicht gehören. Gesunde Menschen gehören nicht zur Risikogruppe.

Aber auch die können durchaus TrägerInnen des gegen die meisten Antibiotika resistenten MRSA sein; fast jeder dritte Mensch trägt die Keime auf seiner Nasenschleimhaut. Ist sein Immunsystem intakt, macht ihm das nichts aus. Im Falle eines Krankenhausaufenthaltes können die KeimträgerInnen jedoch MitpatientInnen anstecken oder sich selbst infizieren – mit oft schwerwiegenden Folgen: MRSA verursacht in Operationswunden schlecht heilende Entzündungen und lebensgefährliche Blutvergiftungen. Die Entzündungen können auf nahezu jedes Organ überspringen, also auch auf das Herz oder die Lunge.

Deswegen wäre es eigentlich sinnvoll, jeden potenziellen Krankenhauspatienten zu testen, räumt Hons ein. Allerdings finanziere die AOK mit dem Screening und der Sanierung, zu der neben dem Kit eine ausführliche Beratung durch einen „Case Manager“ gehört – der Besiedelte muss zuhause gut fünf Tage lang Zahnbürste, Bettwäsche, Kamm und andere potenzielle Keimträger täglich austauschen – den späteren RKK-OP-PatientInnen ohnehin bereits weitaus mehr als andere Krankenkassen. „Im Vordergrund steht für uns die Frage, ob MRSA-Infektionen nach Operationen dadurch wirklich vermieden werden können“, sagt Hons.

Können sie, sagt Projektleiter Stefan Herget-Rosenthal, Chefarzt und ärztlicher Geschäftsführer des RKK. Bei knapp vier Prozent der ProjektteilnehmerInnen wurde MRSA identifiziert: „Auch wenn das nicht viel klingt: Gerade bei denjenigen, die eine Prothese bekommen, ist eine Infektion katastrophal“, sagt Herget-Rosenthal. „MRSA bildet einen Biofilm auf den Prothesen, durch das kein Antibiotikum hindurchpasst.“ Bei einer Infektion gebe es keine Alternative zur erneuten Operation, der Entfernung der Prothese und der langwierigen Nachbehandlung der Infektion: „Das alles ist nicht nur lebensgefährlich, sondern auch sehr, sehr teuer.“

Die Zahl der MRSA-Infektionen sind in Bremen mittlerweile vergleichsweise gering: Waren bundesweit von 100.000 Menschen im Jahr 2013 fünf infiziert, waren es in Bremen nur zwei – einer weniger als in den beiden Vorjahren. Für Sylvia Offenhäuser, Expertin für Infektionskrankheiten in der Bremer Gesundheitsbehörde, haben die niedrigen Zahlen vor allem mit dem 2009 gegründeten Bremer „MRSA-Netzwerk“ zu tun. Das hat sich in diesem Jahr in „MRE-Netzwerk“ umbenannt, weil mittlerweile auch andere multiresistente Erreger (MRE) in den Fokus gerückt sind – so zum Beispiel auch die ESBL-Keime, die für den Tod von drei Frühgeborenen im Klinikum Bremen Mitte verantwortlich waren.

Sämtliche Bremer Krankenhäuser und Gesundheitsämter, viele Laboratorien, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen sind Mitglieder im Netzwerk. „Wir können hier permanent Schwachstellen ausmachen und Hygienestandards weiterentwickeln“, sagt Offenhäuser. „Unsere MRSA-Screening-Anforderungen sind höher als die vom Robert-Koch-Institut empfohlenen.“ Trotzdem: Von Maßnahmen wie in den Niederlanden, wo alle PatientInnen routinemäßig auf MRSA getestet werden, ist das weit entfernt.

Ein Screening aller PatientInnen hält Herget-Rosenthal freilich auch für unnötig: „MRSA wird erst dann zum Problem, wenn es in die Tiefe des Körpers gelangt – bei offenen Wunden also oder während einer Operation.“ Zu Operierende seien die wahren „Risikopatienten“ – unabhängig von den Kriterien der KBV. „Bei den meisten MRSA-Trägern ist vor allem eine vernünftige Händedesinfektion im Krankenhaus wichtig und auch ausreichend, um den Keim nicht von einem zum anderen Patienten zu tragen.“ Ohnehin werde MRSA zu viel Gewicht verliehen: „Viele Standards sind inzwischen ja auch wieder aufgehoben worden.“ So würden MRSA-besiedelte AltenheimbewohnerInnen mittlerweile nicht mehr von ihren MitbewohnerInnen isoliert. „ESBL ist viel gefährlicher“, sagt Herget-Rosenthal.

Einen Schwachpunkt sieht er freilich nach wie vor in der Vergabepraxis von Antibiotika: „Die muss rationaler werden: gezielter, kürzer, restriktiver. Da müssen wir sowohl im klinischen als auch im ambulanten Bereich noch besser werden.“

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