■ Das Überraschungsei – die Briefmarke von heute
: Schokolade ist bloß Nebensache

Berlin (taz) – Letzte Woche im Supermarkt. Ein schon etwas angegrauter Mittvierziger steuert zielsicher die Süßigkeitenabteilung an und füllt seinen Einkaufswagen mit Paletten und Produkten aus dem Hause Ferrero. Doch nicht jedes Überraschungsei findet seinen Gefallen: Nach kurzem Schütteln werden die uninteressanten Exemplare aussortiert. Nur etwa 40 Eier sind in seine Vorauswahl gelangt. Nun zieht es ihn an die Gemüsetheke zur Elektronikwaage.

Seine Hände werden langsam feucht, denn jetzt folgt die Entscheidung. 30 oder 31 Gramm wiegen die Volltreffer. Alles, was darüber- oder darunterliegt, ist Ausschußware und wandert zurück ins Regal. Solche Szenen sind für Norbert Spiechowiecs längst zum Alltag geworden. Seit er 1992 in den Ü-Eier-Markt eingestiegen ist, hat er sämtliche Supermärkte in der Gegend seiner Heimatstadt Wetzlar abgegrast. Spiechowiecs hatte den Markt als einer der ersten entdeckt und bietet schon länger auf verschiedenen Messen und Flohmärkten seine Ware zum Verkauf oder Tausch an.

Herbert Müller kann über solche Einkaufsstrategien nur lachen. „Das wäre mir dann doch zu peinlich.“ Müller, der Anfang des Jahres die erste hessische Ü-Eier- Messe veranstaltet hat, kauft nur noch in großen Mengen ein. Zusammen mit einem befreundeten Sammler legt er schon ein bißchen mehr Cash auf den Händlertisch. Von regelmäßigen Aufenthalten im Eier-Zentrum Italien bringen sie schon einmal bis zu 3.000 Exemplare mit nach Hause.

Zu seinem früher oft belächelten Hobby ist er vor knapp drei Jahren über seine Kinder gekommen. „Ich hab' meinem Sohn früher ein paar Eier gekauft und die Figuren einfach behalten.“ Zu den paar Figuren kamen schnell ein paar mehr, und bald reiste Müller zu Veranstaltungen in ganz Deutschland. Damals konnte er noch über Flohmärkte streifen und Figuren für 20 Pfennige erstehen. „Schließlich wollte die Dinger niemand haben.“ So konnte er unter anderem den äußerst raren „Eierlaufschlumpf“ für gerade einmal 50 Pfennige einkaufen, der heute bereits einen Sammlerwert von satten 500 Mark vorweisen kann. Diese Zeiten sind jedoch spätestens seit dem letzten Jahr vorbei.

Thomas Lux, ebenfalls begeisterter Eierfan, war nämlich auf die Idee gekommen, ganz nach Vorbild der Briefmarkensammler- Gemeinde einen Katalog herauszugeben, um jedem Fan die Möglichkeit zu geben, seine Sammlung zu komplettieren. „Seitdem sind die Preise enorm explodiert“, weiß Müller, der nebenbei noch ausgestopfte Adler sammelt. Doch kaum war die Erstauflage von immerhin 24.000 Stück vergriffen, gab's schon den ersten Ärger. Der Hersteller der Süßigkeit verbot ihm, das dem Originaldesign der Eier nachempfundene Cover seines Nachschlagewerks zu verwenden. Überhaupt blockt Ferrero sämtliche Kontaktversuche der Sammler ab, obwohl der Umsatz seit dem Ü-Eier-Boom nicht gerade gelitten haben dürfte. Herbert Müller glaubt, die Hintergründe dafür zu kennen. Bislang versteuerte die Firma die Figuren als Lebensmittelbeilage mit 7 Prozent Mehrwert. Würde man den Sammlerstatus der Plastikgüsse anerkennen, wären sofort 15 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Dann nämlich würde die schwarz-weiß- gestreifte Schokolade als Beilage zum Spielzeug gelten.

Auf seiner zweiten Tauschbörse Mitte Juni traf er dann auch seine Freunde von der Fachpresse. Das Hausorgan der Eierfetischisten Das Ei versorgt alle Sammler bundesweit regelmäßig mit Informationen und aktuellen Hitparaden der zur Zeit beliebtesten Figuren. Schließlich ist es nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten. Über 100 neue Sammlerstücke, egal ob Puzzles, Dioramen, Metall- oder Hartplastikfiguren, werden jedes Jahr in Deutschland auf den Markt geworfen. Dieses Jahr erscheint die neue Kollektion der „Happy Hippos“, die Müller schon vorab über dunkle Kanäle erworben hat. „Mein Kontaktmann sagte mir, die Figuren kommen aus einer kroatischen Fabrik“, zweifelt Müller aber ein wenig an dieser Aussage: „Von einhundert Sammlern kannst du vielleicht zweien trauen.“

Doch nicht nur in Deutschland werden Kollektionen herausgegeben. Manche Serie ist sogar ausschließlich im Ausland erhältlich. Die heiß begehrten „Maxi-Eier“ kann man gar nur in Ländern wie England oder eben Italien kaufen und dort auch lediglich in der Zeit vor Ostern.

Die treuen Sammler begehren aber mehr. Die sogenannten Dioramen, eigentlich nur Pappkartons für Werbezwecke, sind zu horrenden Schwarzmarktpreisen erhältlich. Ergebnis: Da Dioramen nur an Vertreter abgegeben werden, besserten diese jahrelang mit Verkäufen der Schachteln ihre Gehälter auf. Dem munteren Treiben hat der Hersteller jedoch mittlerweile einen (Schoko-)Riegel vorgeschoben. Alle Stücke werden durchgehend numeriert und nur kontrolliert verteilt. Einige Vertreter wurden deshalb, so berichtet Müller, mittlerweile entlassen.

Den Sammler beschäftigt allerdings ein weiteres Problem: Die Entsorgung der riesigen Mengen an Schokolade, die in seinem Haushalt zwangsläufig anfällt. Seine Bekannten und Freunde können davon schon mehr als ein Lied singen. Die von seiner Frau eingefrorene Schokolade wird jedem in die Hand gedrückt, der das Müllersche Haus verläßt. Der Messeveranstalter selbst hält davon übrigens herzlich wenig. Er bevorzugt seit Jahren Produkte der Marke Sarotti. Christoph Amend