Die Berliner Freiwillige Polizeireserve (FPR), in den Zeiten des Kalten Krieges als Speerspitze der wehrhaften Demokratie gehätschelt, ist nach aktuellen Berichten über Neonazis und Waffenschieber in ihrer Mitte endgültig diskreditiert. Die Polizeigewerkschaft fordert die Abschaffung der unterwanderten Hilfspolizei. Aus Berlin Gerd Nowakowski

Feierabendsheriffs als Sicherheitsrisiko

„Hier und da hat sich das durchaus gelohnt“, daß eine „Handvoll“ Mitglieder in der Freiwilligen Polizeireserve (FPR) dienten. Damit habe man sich in den Polizeiapparat hinein „bestimmte Kanäle erschlossen“, gibt Thomas Salomon, der Berliner Sprecher der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei (NPD), unumwunden zu. Eine „gezielte Einschleusung“ in die Polizeireserve aber habe es von seiten der NPD nicht gegeben. Das sei auch gar nicht nötig gewesen, so Salomon gegenüber der taz, „die waren alle schon vorher drin“. Welcher Geist in der Truppe herrscht, die Ende Januar 93 nach der Entlarvung von acht Reservisten als Rechtsextreme und internationale Waffenschieber wieder einmal ins Gerede kam, wußten auch die „Republikaner“. Im Berliner Wahlkampf 1989 hielten die Reps jedenfalls eine ganzseitige Anzeige im FPR-Kurier für eine gute Geldanlage.

In welchem Umfang die Freiwillige Polizeireserve, diese in der BRD einmalige Truppe von Feierabend-Sheriffs, unterwandert ist, offenbarte sich allerdings erst jetzt. Nach Überprüfung von 200 der über 2.500 Angehörigen hat sich der Verdacht erhärtet, daß 89 entweder aus der neonazistischen Szene kommen oder schwerer Straftaten verdächtigt sind. Dies bestätigte am Wochenende der Berliner Innenstaatssekretär Jäger nach Berichten des Magazins Focus. Den bislang überprüften Reservepolizisten, die in Berlin Uniform und Waffen tragen, Autofahrer kontrollieren und Ausländerheime schützen dürfen, werden bislang rund 250 Straftaten vorgeworfen. Focus berichtet, daß 16 Hilfspolizisten Mitglied von Wehrsportgruppen seien, die im Harz schwerbewaffnet militärische Einsätze trainiert hätten.

Eine Sonderkommission von 40 Beamten soll nun sämtliche Mitglieder durchleuchten. Bislang lägen aber keine Hinweise auf eine gezielte rechte Unterwanderung vor, betonten Staatsschutz und der Berliner Polizeipräsident Saberschinsky. Welche Versäumnisse es freilich bei der Einstellung gegeben hat, darüber gibt die Rekrutierung der jetzt aufgeflogenen Waffenhändler Aufschluß; eine Überprüfung der Männer hat nicht stattgefunden. Dabei war dem Staatsschutz durchaus bekannt, daß einige Mitglieder der Bande an Wehrsportübungen und der Gründung der rechtsextremen „Freiheitlichen Deutsche Arbeiter Partei“ (FAP) teilgenommen hatten.

Die Laxheit gegenüber der Reservisten-Einheit erklärt sich aus der Geschichte. Die FPR ist ein Fossil aus den Hochzeiten des Kalten Krieges. An ihrer Wiege stand die Angst der „Frontstadt“ Pate, die fünfte Kolonne Ulbrichts könnte über die noch offene Grenze nach Westberlin einsickern, Sabotageakte verüben oder im Handstreich Rathäuser, öffentliche Einrichtungen oder die Rundfunksender besetzen. Die flugs gegründete Freiwillige Polizeireserve, ein Plagiat der DDR- Betriebskampfgruppen, sollte im Krisenfall die Postämter wie auch die Druckerei des Springer-Verlags schützen. Doch dazu kam es nie. Wenige Monate nach der Gründung machte der Mauerbau im August 1961 die Truppe arbeitslos. Den Senat focht das nicht an – er baute die nutzlos gewordene Reservearmee dennoch auf über 6.000 Mann aus. Die Polizeireserve wurde hinfort als Speerspitze der wehrhaften Demokratie gehätschelt. Der damalige Senator für Sicherheit und Ordnung, Heinrich Albertz, eilte gar zu den Studenten der Freien Universität – von denen nicht wenige als Fluchthelfer und Tunnelbauer tätig waren – und beschwor sie, die Reihen der Polizeireserve zu wählen.

Zu tun aber gab es wenig mehr, als neben einer 14tägigen Grundausbildung in regelmäßigen Übungen zu lernen, wie beispielsweise der zentrale Fleischgroßmarkt geschützt oder kommunistische „Störer“ auf der Straße unschädlich gemacht werden. Dennoch wurde die Truppe zum Sammelbecken für Waffennarren und Ordnungsrambos. Schließlich bot die FPR im bundeswehrlosen Berlin die einzige Möglichkeit zu einer legalen paramilitärischen Ausbildung.

Ohne rechte Beschäftigung durften die Mitglieder höchstens mal von Wasser bedrohte Bücher der Staatsbibliothek auslagern, bei der „Aktion Borkenkäfer“ den Wald fegen oder 1967 gemeinsam mit den „Jubelpersern“ Spalier für den Schah stehen, während hinter der Oper Benno Ohnesorg erschossen wurde. Dennoch gab es Ärger mit übertragenen Aufgaben. Reservisten, eigentlich zum Schutz für die Jüdische Gemeinde abgestellt, funktionierten dies beispielsweise zu einer rabiaten Durchsuchung um. Auch früher kamen Reservisten schon mal auf Ideen, was mit ihrer Ausbildung anzufangen wäre. Die bei der FPR ausgebildeten Mitglieder der „Hammer-Bande“ etwa befreiten Ende der siebziger Jahre die Berliner Juweliere von teurem Schmuck. Mehrfach gab es auch Anlaß für den Verdacht, die Reservisten seien anfällig für rechtes Gedankengut.

Überlebt hat die Geisterarmee vor allem durch ihren Förderer Heinrich Lummer (CDU). Frustriert vom Nichtstun und überflüssig geworden durch die neue Ostpolitik Willy Brandts, litt die Polizeireserve Ende der siebziger Jahre unter Auszehrung. Der damalige Innensenator Lummer, der bereits damals Kontakte zur NPD unterhielt, setzte seine „liebste Selbsthilfegruppe“ als Objektschützer ein. Auch auf Demos gegen Hausbesetzer durften die Reservisten zulangen – zu kräftig, wie Gerichte später meinten. Reservisten sicherten seitdem den Reagan-Besuch ebenso wie den IWF- Gipfel 1988 oder das KSZE-Treffen vor zwei Jahren.

Dieser Kreation des Kalten Kriegs endgültig den Garaus machen wollte die Alternative Liste 1989, nachdem die Reservistenarmee bereits vorher entsprechende Forderungen überlebt hatte. Die Auflösung der FPR stand zwar in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung, doch die SPD verhinderte die Umsetzung und ließ sich 1992 in der Großen Koalition sogar dazu breitschlagen, der FPR erweiterte Aufgaben zu übertragen.

Auch nach den jetzt bekanntgewordenen Vorgängen hält der Senat an der Truppe fest, die Berlin nach Schätzungen der Polizeigewerkschaft jährlich zehn Millionen Mark kostet. Innensenator Heckelmann (CDU) räumt zwar „Mißgriffe“ bei der Rekrutierung ein, sieht aber nur einige wenige schwarze Schafe. Eine „pauschale Diffamierung“, so der Innensenator, sei ein „ungerechtfertigter Angriff“ auf die Einrichtung. Gegen zwei Beamte, die für sämtliche Bewerbungen zuständig sind, läuft inzwischen ein Ermittlungsverfahren. Politisch verantwortlich aber, so ließ Heckelmann bereits vorsorglich wissen, sei er nicht. Eingetreten in die Truppe seien die nun entlarvten Reservisten nämlich in der Zeit der rot-grünen Koalition.