Durchs Dröhnland
: Unheimlich sinnstiftend und unglaublich überfrachtet

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Die Vorurteile über das Land Schweiz sind Legion, sie hier alle aufzuzählen wäre ein müßiges Unterfangen. Daß gute Musik daher nicht kommen kann, ist eines davon und wird auch nicht allzu häufig wiederlegt. Hin und wieder doch, dafür sind Fleisch da. Der Name der Combo aus Zürich führt allerdings vehement in die Irre, denn keine NdW-Anklänge sind zu hören, erst recht keine kunsttheoretische Verquastheit. Fleisch spielen schlichten Punkrock, eher geradeaus denn Core, aber so ganz können auch sie nicht die Moderne verleugnen. Selten metallt es tödlich, meistens breakt es fröhlich und häufig, mal wird auch einfach nur geknüppelt. Die Texte sind mal deutsch, mal englisch, aber immer kurz. Fleisch nehmen sich nicht wichtig, spielen auch schon mal nur für Spesen oder gleich beim richtigen Anlaß. Eine Band, die einem die Schweiz wieder etwas sympathischer macht. Sleeper stammen aus Staten Island, New York, und spielen, auch wenn ihr Name anderes nahelegen würde, die etwas schnellere Hardcore-Variante. Hervorzuheben wäre noch ihr Hang zur hübschen Melodie samt mehrstimmigem Harmoniegesang aus jungenshaften Goldkehlen.

Mit Sharon Tate's Children am 20.11. um 21 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße157, Schöneberg

Wenn etwas stirbt oder etwas neu geboren wird, entstehen gerne Anthologien dazu. In der Musik nennt man das dann Sampler. Ob mit „Hallo 13“ Tod oder Wiederauferstehung gewürdigt werden soll, bleibt jedem selbst überlassen. Auf jeden Fall bieten sowohl Platte als auch Record Release Party die bisher beste Möglichkeit, einen halbwegs umfassenden Überblick über die musikalischen neuen Bundesländer zu bekommen. Mit dabei sind: D.O.D., Bobo In White Wooden Houses, Feeling B, AG Geige, Fluchtweg, Anoraks, Bombassa Beed, Messer Banzani, Ulrike am Nagel, Ich Funktion, Pizzabrain und Herr Blum.

Am 20.11. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108–114, Kreuzberg

Die britischen Co-Creators treten mit einem halben Dutzend Sänger auf, die auf einem recht spartanischen Funk-Untergrund die Möglichkeiten der Stimmen zwischen Experiment und Melodie, zwischen Sprech- und Harmoniegesang, zwischen Zwiegespräch und Chorus austesten, aber dabei immer tanzbar bleiben.

Am 21.11. um 21 Uhr im Schoko-Laden, Ackerstraße169/170, Mitte, und am 22.11. um 21 Uhr im K.O.B.

Begonnen wie ein Party-Projekt, sind die Lassie Singers inzwischen fast die einzige Berliner Hoffnung auf das Pop-Nirvana. Vom bloßen Nachträllern von Roten-Rosen-Schlagern sind sie beim fröhlichen deutschsprachigen Liedgut gelandet. Auf der neuesten LP namens „Sei Gogo“ bezaubern nicht nur die drei Stimmen von Katrin, Christiane und Almut, sondern auch das erstmals fette Beiwerk der beiden männlichen Mitmusikanten an Gitarre und Schlagzeug. Was früher schepperte und so den Abstand zum Normal-Schlager markierte, klingt jetzt schon annähernd wie Pop. Die für den Erfolg nötige Dreistigkeit haben die Lassie Singers eh schon immer besessen.

Mit Knochengirl am 21.11. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Stein ist ein Projekt des Klangwerkers der Einstürzenden Neubauten, FM Einheit. In den letzten Jahren hat er vermehrt Theatermusiken geschrieben und aufgeführt, nachdem Zadek die Neubauten für seine Inszenierung „Andi“ in Hamburg engagierte. An Stein beteiligt sind Ulrike Haage und Katharina Franck, die als Duo die Rainbirds bilden. Diese drei haben auf „Steinzeit“ einiges aus der fünfzehnmaligen Theatererfahrung von Einheit gepreßt und auch schon live aufgeführt. Das meiste davon ist dräuend und unheilvoll, unheimlich sinnstiftend und unglaublich überfrachtet. Aber die Sessel im Hebbel-Theater dürften weich genug sein.

Am 21.11. um 20 Uhr im Hebbel-Theater, Stresemannstraße29, Kreuzberg

Obwohl schon seit 1984 existent, sind Bap hier kaum bekannt. Hä? Nein, nicht die kölschen, von den baskischen Bap ist hier die Rede. Daß ihr Bekanntheitsgrad so eklatant hinter dem ihrer Kölner Namensvetter zurückbleibt, liegt sicher nicht am Baskisch, in dem sie singen, denn das ist genauso unverständlich wie Kölsch, sondern vor allem daran, daß sie kaum außerhalb von Euskadi gespielt haben. Diese Auslandstournee ist ihre faktisch erste, auf der sie ihren Highspeed-Punkrock ohne großen Firlefanz und mit den aus der Region gewohnten Einpeitscher- Refrains zum besten geben. Für Freunde des Name-Dropping: Trommler Mikel geht derselben Beschäftigung auch bei Negu Gorriak nach, und die sind nun wirklich berühmter als beide Baps zusammen.

Mit Blumen am Arsch der Hölle am 21.11. um 22 Uhr im K.O.B.

HipHop ist schon längst nicht mehr schlicht durch das Wort HipHop beschrieben. Zwischen Gangstertum, Spaßhaben und Blumen-Träumereien sind noch reichlich Sparten entstanden. Die Disposable Heroes Of Hiphoprisy, hervorgegangen aus den legendären Beatniggs, benutzen die Sounds des HipHop ausschließlich zur politischen Propaganda. Dabei war ihnen immer klar, daß vor der Information erst der gute Beat kommen muß, weil sonst die Aufklärung mit dem Rhythmus weit hinten im Regal landet. Beides beherrschen sie perfekt. So wie die Disposable Heroes Of Hiphoprisy eine neue politische Dimension jenseits der blanken Provokation eines Ice-T in den Rap einfügten, erlauben sich DC Basehead die Erweiterung der musikalischen Struktur. Anstatt sich am Hochgeschwindigkeits- Silbenspucken mancher Kollegen zu beteiligen oder das dauergeile Gewinsel anderer zu imitieren, versucht Michael Ivey Musik wie Rapstil ganz ganz ganz dolle zu verlangsamen. Seine Band und sein DJ spielen ein krude Mischung aus schwülstiger 70er Soul-Mansche, Folkgeklimpere und Hardcore-Gescratche. Sehr, sehr oft spricht Ivey nicht mehr, sondern singt leise verträumt wie für sich selbst vor sich hin. Dann werden DC Basehead Rock, wenn auch noch eindeutig aus einem HipHop-Background stammend. Mit das Krudeste seit der Erfindung des elektrischen Korkenziehers.

Am 22.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Es war einmal eine Band. Die liebte Ennio Morricone über alles und führte auf ihrer Catering-Liste ein Pfund Mehl, mit dem vor den Auftritten die Staubmäntel und die breitkrempigen Hüte eingepudert wurden. Und wer auf der Bühne lächelte, mußte einen nicht unbeträchtlichen Betrag in die Bandkasse zahlen. Sie nannten sich Fields Of The Nephilim und waren das Lächerlichste, was die an Lächerlichem nicht arme Gothic-Szene so zu bieten hatte. Als Sänger Carl McCoy die Band verließ, suchte sich der Rest einen neuen Vokalakrobaten und einen neuen Namen. Fortan hieß man Rubicon nach jenem Flüßchen, durch das Julius Cäsar tapste, und hier ist die Geschichte auch schon fast zu Ende. Denn Rubicon spielen einen überaus langweiligen Durchschnitts-Hardrock, der nur gelinde versucht, die eigene Vergangenheit noch miteinzubeziehen. Es gibt zwar Schlimmeres, aber auch viel Besseres. Früher waren sie wenigstens noch lustig.

Am 24.11. um 20 Uhr im Metropol, Nollendorfplatz, Schöneberg

Thomas Winkler