Im Aachener Rathaus: Rot gegen Grün

Aachens SPD sträubt sich gegen grünen Wirtschaftsdezernenten/ SPD scheint generell mit den grünen KandidatInnen nicht zufrieden zu sein/ Erneute Bewährungsprobe für rot-grünes Bündnis  ■ Von Bernd Schäfer-Zurhelle

Seit Ende 1989 gibt es im Aachener Rathaus eine rot-grüne Mehrheit. Schon bei Verkehrsberuhigungen und Bibliotheksbenutzungsgebühren gab es lange Debatten, doch jetzt wird es ernst: Ein Grüner soll Wirtschaftsdezernent werden; denn für das nächste freiwerdende Dezernat wurde den Grünen das Vorschlagsrecht versprochen.

Es geht um Heiner Jüttner, 48, Doktor der Ökonomie an der TH Aachen, grüner Ratsherr, früher FDP, seit 19 Jahren Kommunalpolitiker und viele Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion. Er ist der Kandidat für das Dezernat Wirtschaftsförderung, Bauordnung, Liegenschaften und Wohnungswesen. Eine Schlüsselposition in jeder Kommunalverwaltung, denn hier geht es um Gewerbesteuern, Beschäftigungspolitik, Bestandspflege der bereits existierenden Firmen — eben um viel Geld.

„Pöstchengeile SPD ohne Anstand“

Schon vor Jüttner hatten die Sozis zwei andere grüne KandidatInnen, denen das Amt ebenfalls auf die Brust geschrieben war, entweder weggelobt oder zum Handtuchwerfen provoziert. Was die SPD an den BewerberInnen auszusetzen hat, sagt sie jedoch seit Monaten nicht. Von „pöstchengeiler SPD ohne politischen Anstand“ ist selbst in der sonst so vorsichtigen Lokalpresse die Rede, und die anschließende Erklärung für die ablehnende Haltung der SPD ist ebenfalls einleuchtend: „Jüttner hat einen Nachteil, für Sozialdemokraten schierer Greuel: Er ist intelligent.“

SPD setzt auf Verzögerungstaktik

Die SPD gibt sich weiterhin zugeknöpft: Sie verhandele noch mit den Grünen und auch mit anderen, war die spärliche und abweisende Information in der Geschäftsstelle. Besondere Eile scheint nicht geboten, denn der bereits pensionierte bisherige Amtsinhaber arbeitet mit einem Angestelltenvertrag weiter, und die angekündigte Abstimmung der SPDler über Jüttner wurde diese Woche kurzer Hand auf einen unbestimmten Termin verschoben.

Damit verstärkt die SPD eher ihre Bemühungen in Richtung Deckelei des bislang treu gebliebenen Koalitionspartners, um in der Stadt zu zeigen, wer hier eigentlich die Hosen an hat.

Der sachverständige Realo Jüttner zeigt, daß er mehr drauf hat, als sich mit dem Umweltamt, das gewöhnlich den Grünen in Koalitionen mit den Genossen zufällt, zufriedenzugeben. Das Amt für Wirtschaftsförderung wurde Jüttner bislang zu traditionell geführt. Neben Kredit- und Grundstücksvermittlung für GewerbeinteressentInnen soll der Schwerpunkt auf Firmenberatungen im Bereich Abfallentsorgung, Energieversorgung und Umwelttechniken gelegt werden. Das katastrophal arbeitende Bauordnungsamt leidet unter Personalmangel — und Fluktuation, hier will Jüttner erstmal EDV einführen. Aus Mangel an Grundstücken im zugebauten Aachen sollen, wie er sagt, qualitative Aspekte des Wohnens und altengerechtes Wohnen stärker berücksichtigt werden.

CDU will die Wahl des Grünen unterstützen

In vielen dieser Punkte gibt es einen allgemeinpolitischen Konsens aller Fraktionen im Rat, denn um Dachböden und leerstehende Fabrikgebäude in Wohnraum umzuwandeln, braucht man keinen grünen Dezernenten mehr — das kann heutzutage jede Partei. Jüttner sieht sich eher als Vertrauensperson der Grünen in hohen Verwaltungsrängen, was ihn ehrt und seine Bescheidenheit unterstreicht, auch wenn er weiß, daß Kontrolle von Beamten und anderen Beigeordneten sicherlich besser wäre.

Die SPD plant jetzt einen für sie typischen Clou: Sie will das Amt für Wirtschaftsförderung dem neu zu besetzenden Dezernat ausgliedern und es einem anderen Dezernat, vermutlich unter SPD-Führung, zuschieben. Damit wäre der Bewerbung Jüttners die Grundlage entzogen, bezieht er seine exzellente Qualifikation doch aus seiner Promotion — ausgerechnet über Wirtschaftsförderung. Schließlich weiß die SPD, daß in ihrer Amtszeit noch drei weitere Dezernenten zur Wahl stehen, die turnusgemäß wieder von Genossen besetzt werden.

Aber Jüttner ist zuversichtlich, daß man die Grünen nicht über den Tisch ziehen wird: Man hätte inzwischen genügend Erfahrung in diesen Dingen. Zweifel mögen berechtigt bleiben.

Eine besondere Pikanterie ergibt sich zudem aus den knappen Mehrheitsverhältnissen im Aachener Rat — Rot-Grün hat eine Stimme Vorsprung — für Jüttner persönlich eine Art Alles-oder-nichts-Spiel: Als Ratsherr darf er sich nicht selbst zum Beigeordneten wählen; will er gewählt werden, muß er vorher sein Mandat niederlegen, damit der/die nachrückende Grüne für ihn votieren kann. Unterstützt ihn die SPD dann nicht, ist Jüttner ganz draußen und steht mit leeren Händen da. Aber hier will die CDU möglicherweise einlenken, indem sie am Tag der Wahl mit einem Mandatsträger weniger in den Rat kommt.

So könnte ein grüner Fachmann mit Hilfe der Union, die Jüttners Qualitäten wohl eher zu würdigen weiß, oberster Wirtschaftsförderer in Aachen werden.

Die Politik der Basisgrünen ist vielerorts besser als das, was z.B. aus Neumünster über die Mattscheibe flimmerte. Wahrscheinlich ist es einfacher, Kommunalpolitik zu machen, als über innerparteiliche Strukturpolitik zu reden. Die SPD täte generell gut daran, grüne Kompetenz zu akzeptieren, statt schwarz-gelbe Opposition zu involvieren. Wenn die Kandidatur Jüttners platzt, könnte wieder ein rot-grünes Bündnis platzen. Die Genossen halten es damit wohl wie mit der Ehe: Man kann alle Probleme zu zweit besprechen, die man alleine nicht hat. Bernd Schäfer-Zurhelle