Freizeichen für den illegalen Anrufbeantworter

Verboten, aber nicht mehr bestrafbar, ist seit kurzem der Anschluß von nicht-postzugelassenen Gerätschaften / Post darf nicht einmal mehr beschlagnahmen  ■  Von Friedhelm Wachs

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich zur Zeit unter den Computerfreaks und den Besitzern US-amerikanischer Anrufbeantworter eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Erst im Jahresbericht 1988 der Karlsruher Richter lasen staunende Juristen, daß schon Mitte letzten Jahres der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter seinem Vizepräsidenten Mahrenholz der Post das Recht weggenommen hat, das Anschließen von gestylten Telefonen made in Hongkong, Anrufbeantwortern made in Taiwan und auch von Modems und Telefaxen zu bestrafen.

Ganz nebenbei kassierte das höchste Gericht auch den Passus im Fernmeldeanlagengesetz (FmAnlG), auf den sich die Post bei ihrer Jagd auf BetreiberInnen solcher Geräte bislang stützte. Mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe droht § 15 (2a) FMAnlG dem, der die „genehmigungspflichtige Fernmeldeanlagen unter Verletzung von Verleihungsbedingungen errichtet, ändert oder betreibt“.

Der ist für die Post nun gestorben. Der Absatz verstößt gegen Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes, nachdem „eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“. Er verstößt dagegen, weil es nach dem Fernmeldegesetz bislang der Post überlassen war, in den Verleihbedingungen zu bestimmen, was strafbar ist und was nicht. Im Gesetz steht also nicht, daß der Anschluß eines 9600 Baud-Modems mit integriertem Fehlerprotokoll an der heimischen Telefonbuchse strafbar ist. Dort steht auch nicht, daß sich jemand gleich zweimal strafbar macht, wenn er im Kaufhaus ein Telefon in Form einer Banane, eines Klaviers oder im Italo-Design mit einem Aufkleber „Nur für den Export bestimmt“ erwirbt und es zu Hause anschließt: Erstens fehlt dem Gerät die Zulassungsnummer der Deutschen Bundespost, die berühmte FTZ -Nummer, und zweitens dürfen an der beigefarbenen Anschlußdose überhaupt nur von der Deutschen Bundespost autorisierte Monteure fummeln und basteln. Um also herauszufinden, was genau strafbar ist, mußte man bislang nicht ins Gesetz, sondern in diese Verleihbedingungen gucken.

Bislang konnte zudem die graue (Fernmelde-)Post am Gesetzgeber vorbei einfach ihre Verleihbedingungen ändern und damit alles unter Strafe stellen, was ihren Profitinteressen entgegenstand. So pauschal aber gehe das nicht, befanden die Richter: Was strafbar sei, müsse auch bei der Strafandrohung für das Nichtbefolgen eines Verwaltungsaktes im Gesetz stehen. Auf deutsch: Der Gesetzgeber kann nicht einfach das „Handeln ohne Genehmigung“ unter Strafe stellen, wie hier geschehen. Er muß schon sagen, welche Genehmigung im einzelnen gemeint ist. Mit dem Karlsruher Spruch ist eine Gesetzeslücke gerissen worden. Die Bundespost darf zwar weiterhin verlangen, daß die von ihr nichtzugelassene Geräte nicht an das Telefonnetz angeschlossen werden, kann aber keine juristische Schritte dagegen einleiten. Schon deshalb forderten die Richter neue gesetzliche Bestimmungen.

Doch die dürften auf sich warten lassen. Da die Weichen mit Blick auf den gemeinsammen Binnenmarkt der EG 1992 gestellt sind, muß die Post ohnehin von ihrem Monopol abspecken. Seit Jahren befindet sich die Deutsche Bundespost in Rückzugsgefechten gegen europäische Modem- und Telefaxhersteller, die wollen, daß das EG-Recht auch auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt gilt. Noch in diesem Jahr ist aus Brüssel eine Attacke gegen die engen Monopolbestimmungen der Bundespost zu erwarten. Es erscheint unwahrscheinlich, daß die Bundesregierung jetzt noch Strafen bei leichten Verstößen gegen das Fernmeldeanlagengesetz beschließt, die sie 1992 im Zuge der Harmonisierung ohnehin wieder streichen darf.

Die Auswirkungen des so entstandenen rechtsfreien Raums sind vielfältig. Einerseits bietet sich so viel Platz für Experimente mit den neuen Medien, andererseits geraten die Hersteller von postzugelassenen Geräten zunehmend unter Preisdruck. Ihre Anlagen sind aufgrund der Auflagen der Bundespost im Schnitt viermal so teuer wie gleichwertige Anlagen ohne FTZ-Nummer. Der Anteil solcher irregulären Einrichtungen in bundesdeutschen Wohnzimmern und Gemeinschaftsräumen wird auf 30 Prozent geschätzt.

Und er wird weiter wachsen. Wenn sich das Urteil erst in allen Oberpostdirektionen auch bei der Anwendung durchgesetzt hat, wird die Bundespost nichts mehr gegen die Importflut unternehmen. Der Spruch aus Karlsruhe befreit sie auch von der bislang lästigen Pflicht, bei Beschwerden oder Denunziationen gegen Betreiber von illegalen Anlagen vorgehen zu müssen. Letztlich tat sie sich damit ohnehin keinen Gefallen. Nimmt man nur die Modems, von denen es mindestens 100.000 nichtzugelassene am Netz der Bundespost gibt, und rechnet pro Modem täglich nur eine Einheit im Ortsgespräch, dann gewinnt die Post dadurch im Monat 700.000 Mark - eine stattliche Summe.

Doch noch spielen die Oberpostdirektionen nicht ganz mit. Das jetzt gekappte Recht der Bundespost hat Historie. Der Staatsmonopolist Bundespost hatte nämlich bei der Gründung der Bundesrepublik das Privileg der Reichspost geerbt, strafrechtliche Sanktionen gegen den Verstoß der nicht näher bestimmten „Verleihungsbedingungen“ festzulegen. Entsprechend schwer fällt der Post auch der Abschied; die Schwerfälligkeit des Telekommunikationskolosses wird hier sehr deutlich.

Das Vorgehen gegen Anlagen, die gegen Postvorschriften verstoßen, ist Sache der jeweiligen Oberpostdirektionen, die sich in dieser Frage ungern von Bonn reinreden lassen. Laienjurist Andreas Winkelmann, Pressesprecher der Landespostdirektion Berlin, versucht es zunächst immer wieder mit dem Hinweis auf den einkassierten Paragraphen, vertut sich da auch noch: „Denen, die ertappt werden, wird das nichtzugelassene Gerät eingezogen, sie müssen die Kosten tragen und mit einer Anzeige rechnen, denn nach Paragraph 15 Absatz 2a des Fernmeldegesetzes können sie mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldbuße bis zu 10.000 DM bestraft werden.“ Daß so drastische Strafen noch nie verhängt wurden, gibt er etwas leiser zu, bis zu 3.000 Mark habe die Post aber schon kassiert. Daß diese Strafandrohung der Post verfassungswidrig sei, will der Pressemann der Post nicht gelten lassen. Schließlich bezog sich das Urteil auf einen CB-Funker, und das sei ja nun nicht mit einem Anrufbeantworter oder Telefaxgerät zu vergleichen, der an einem Telefondraht hänge. Daß es in dem Urteil aber um Fernmeldeanlagen an sich ging, zu denen nun einmal auch die Telefaxe, Anrufbeantworter und Modems gehören, war Winkelmann neu.

Micheal Laudahn, der mit seiner Firma Telefon & Funk seit einem Jahr amerikanische Telefonanlagen und Telefaxe vertreibt, kennt diese Haltung sehr gut. Trotz des Urteils ermittelt der Staatsanwalt aufgrund des inkrimminierten Paragraphen gegen ihn. „Bei meinen Kunden fand die Post Telefaxe und Nebenstellenanlagen, die nicht nach den Postvorschriften angeschlossen waren. Die wurden einfach einkassiert. Es ist einfach albern, daß die Geräte aus Fernost und den USA nicht unserem technischen Standard angepaßt sein sollen. Die sind doppelt so gut und halb so teuer, und deshalb will die Post ihr Monopol solange wie möglich erhalten. Für sie brechen im Anlagenbereich doch die Märkte zusammen, wenn erst mal öffentlich wird, daß der Anschluß solcher Geräte nicht mehr strafbar ist.“

Noch immer versuchen Postler, illegal angeschlossene Geräte einzukassieren. Wer sich vor dem Übereifer solch unangenehmer Außendienstler schützen will, sollte sie zunächst nicht in die Wohnung lassen und sich weiterhin einfach das Urteil vom 22. Juni 1988 des Bundesverfassungsgerichts zu den Vergassungsbeschwerden 2 BvR 1154/86 und 2 BvR 234/87 in Griffnähe legen, damit es im Bedarfsfall zu Hand ist.