Letzte Schüsse an der Drogenfront

■ Zur Strategie der Mafia in unserer Republik. Der Beelzebub Methadon wird zum Glück des Süchtigen

Hans-Georg Behr Sizilianische Eröffnung

In Catania redet niemand darüber, auch in Palermo wird sich das gemeine Volk hüten und in Corleone sowieso. Das sei doch kein Thema, nur „von denen im Norden hochgespielt“, und die hier davon reden, sind ja auch alle „von dort“, Ortsfremde, zugereiste Wichtigtuer, Journalisten, Unqualifizierte. Manchmal muß man einen aus diesem Gesocks umlegen, denn „unsere Sache“, cosa nostra, läuft am besten ohne Einmischung.

Ehrenwerte Herren sind sie, wir wissen es, und penetrant gutherzig. Stets haben sie nur das Beste im Sinn, und Moral führen sie im Mund wie Demosthenes seine Kiesel. Natürlich sind sie Fachleute. Das gemeine Volk versteht von ihren Geschäften nichts und soll sich auch hüten (s.o.). Selbstverständlich haben sie „beste Kontakte“ zu Regierungen und anderen Hebeln der Macht, das braucht man für seine Geschäfte.

Gelegentlich sieht man Leichen, sehr oft sogar. Zeugen, nein, gibt es nicht, und niemand würde es wagen, auf die ehrenwerten Herren zu zeigen. Niemand darf sagen, daß sie über Leichen gehen - hat sie jemand dabei gesehen? Wer gestorben ist, tat es selbst, und nur er könnte Zeugnis geben. So ist es. Daß sie vom Elend leben, ist eine gemeine Unterstellung. Das Elend gibt es, häufig mit dem Zusatz: leider, aber - fragen Sie die ehrenwerten Herren - es hat auch sein Gutes, als Leidensdruck, denn wo die Not am größten... Sie tun nur Gutes, und für alle Zweifler haben sie fallweise auch Gerettete bei sich, die ihnen mit Hundchenblick danken und ihre Güte bestätigen (kein Fernsehbeitrag ohne solche Hoffnungsträger). Ihre sozialen Leistungen lassen sich sehen und werden stets groß ins Bild gerückt. Und das übrige Elend, die Toten, die Kriminalität? Tja, das gibt es eben, nichts zu machen, damit haben die ehrenwerten Herren nichts zu tun.

So kennen wir Sizilien, und aus der sicheren Entfernung nennen wir die ehrenwerten Herren auch Drogenmafia.

Gibt es sowas auch in unserer Republik? Lange Jahre wurde dies beharrlich verneint, obwohl es stets einen enormen Drogenmarkt gab. Nun wird des öfteren von einer Drogenmafia gesprochen, und ab und zu werden uns Bösewichte gezeigt, Ausländer allesamt und angesichts des Marktes bedauernswerte kleine Fische. Ehrenwerte Herren, wie wir sie kennen, waren keine darunter. Die sitzen auch anderswo. Ein guter Mensch

Die ehrenwerten Herren haben Macht, gute Beziehungen und so Dagobert Lindlau bei seinen Recherchen als weiteres Kriterium: gute Anwälte. Wer ihren Namen eitel nennt, darf sich auf Schlimmes gefaßt machen, vor allem, wenn es um Geschäftsinteressen geht. So ließ zum Beispiel Dr. Wolfgang Heckmann jüngst und einstweilig verfügen und gegendarstellen: „Es ist unrichtig, daß ich Drogenberatungsstellen habe schließen lassen.“ Wenn das richtig ist und man beispielsweise dem 'Berliner Volksblatt‘ vom 13.12.83 glauben darf, „hatte der Drogenbeauftragte des Senats, Wolfgang Heckmann, den drei Beratungsstellen Arbeitsplätze gestrichen und diese anderen Stellen zugeordnet“, und was dann folgte, war sicherlich deren ganz freie Entscheidung. Und wir wollen Herrn Heckmann auch gerne glauben, wenn er am 2.6.88 an Eidesstatt erklärt: „Ich habe mich... noch als Berliner Landesdrogenbeauftragter für eine bessere Verfügbarkeit steriler Einwegspritzen für Drogenabhängige (...) eingesetzt. In den Gremien und Expertenkommissionen (...) bin ich für die Verfügbarkeit von Einmalspritzen als wichtiges Mittel der Prävention gegen HIV -Infektionen in der Drogenscene eingetreten.“ Ist er, hat er, beispielsweise bei der Öffentlichen Anhörung zu Maßnahmen gegen Aids vor dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit am 13.3.86 mit den schönen Worten: „Das aktive Verteilen von Spritzen an die Szenen halte ich nicht für sinnvoll (...) Das ist ähnlich, wie wenn man einem Alkoholiker einen Satz Likörgläser schenkt und sagt, er solle nicht mit anderen aus einer Flasche trinken.“

Die heckmännische Eidesstattlichkeit hat, will man seinem Anwalt glauben, schlichte Gründe: Der gute Mensch hat sich aus dem Drogengeschäft zurückgezogen und eine Branche mit Zuwachs entdeckt: Aids. Bevor er's zum Bundesaidsbeauftragten geschafft hat, sammelt er Lorbeer auf dem holden Gebiet vorurteilsfreier Forschung, derzeit über die Frage, wie es denn bei den Junkies so schrecklich positiv gekommen ist. Da der gute Mann Charakter hat, verriet er das Ergebnis schon vorweg: Der böse Sex war's natürlich, nicht die vergifteten Spritzen. Nun ist aber lovely Rita auf drogenpolitischem Gebiet mittlerweile eine unsichere Kantonistin geworden, und da soll die neue Karriere von störend Vergangenem tunlichst entfleckt werden. Es geht ja, wie schon in der Drogenpolitik, um Macht und Mittel.

Geschichte wiederholt sich manchmal doch. In den frühen Siebzigern wurden von der Drogenmafia zunächst alle Einrichtungen akzeptierender Drogenarbeit abgewürgt und später auch jene, die den „Königsweg zur Abstinenz“ (Bundesdrogenbeauftragter Franke) mit etwas humaneren Schuhen gehen wollten. Dafür wurden schöne Einheitstherapien gebosselt und Bettenberge gehäuft, von denen sich mehr recht als schlecht leben läßt und bei denen nur ein kleiner Nachteil übersehen werden muß, daß sie nämlich für höchstens zehn Prozent der Abhängigen irgendwie taugen. Nun geht's der Deutschen Aids-Hilfe an den Kragen, vor allem, seit sie sich auf die Seite der akzeptierenden Drogenhilfe schlug, und Herr Kindermann als Herr eines hessischen Bettenberges gründete mit Bundesmitteln eine neue Firma. „Positiv leben“ heißt sie. Na denn. Hammer Paten

Macht, Mittel, Monopole und - wie könnte es in Deutschland anders sein - abstruse Vereinsgeschichte haben unsere Drogenmafia geprägt. Ihre geistige Zentrale liegt in Hamm, bei der aus kirchlichen und sonstwie rührenden Antialkoholverbänden hervorgegangenen deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren. Was wir an Drogenarbeit zu erwarten hatten, war von Anfang an klar: Wenn schon nicht beim Volksgift Nr. 1, dann sollte wenigstens hier das pietistische Ideal einer drogenfreien Gesellschaft verwirklicht werden, koste es, was es wolle. Seither, und weil's für die Volksvertreter stets bequem war, nur eine Adresse für ein Problem zu kennen, gestalten und verwalten die edlen Hammer unser Elend, bestücken die parlamentarischen Hearings mit ihren Leuten, drücken ihre Drogenbeauftragten den jeweiligen Ministern ans Herz und befestigen den Königsweg, den der Bundesdrogenbeauftragte Manfred Franke 1979 so schön definierte: „Wir haben lange gebraucht, eine gemeinsame Linie zu finden. Sie ist zwar hart, aber gerade, und da dürfen wir keinerlei Abweichungen dulden.“ Askese, Knast oder Tod - mehr darf nach Ansicht der DHS nicht zur Wahl stehen, und dementsprechend haben sich die Leichen auf dem Königsweg gehäuft, sind die Knäste gefüllt und die Hammer Moral in Ordnung.

Natürlich gab es gelegentlich schüchterne Fragen, ob angesichts des Elends die Hammer Gangart wirklich die einzige sein dürfte, aber da gibt es den smarten Dr. Kleiner von „Bonnis Ranch“, der mit seinem „Informationskreis Drogenprobleme e.V.“ auch der wichtigste Multiplikator der Hammer Lehre ist. Ein Beispiel aus der Anhörung des Bundestages zum unseligen BtMG, am 21.4.80:

„Dr. Kleiner: (...) Ich bin nach dem Methadon-Problem gefragt worden. Methadon und kein Ende! Ich möchte den Frager doch fragen, warum er nicht gleich Heroin verordneten möchte? Das ist doch ehrlicher. Es ist im übrigen ein körperlich recht verträglicher Stoff, viel verträglicher als Alkohol. (...) Für mich ist die Frage nach Methadon ein Kriterium für den Informationsstand des Fragenden. (...) Das ist also eine ganz mißliche Frage. Wir haben viel Literatur darüber. Sie brauchen mir nur eine Postkarte zu schreiben, dann bekommen Sie ein Bündel Literatur. Wenn Sie das gelesen haben, werden Sie das Wort Methadon vielleicht nicht mehr in den Mund nehmen. (...)

Vorsitzender Hauck: Herr Dr.Kleiner, der Sinn einer Anhörung besteht natürlich darin, uns sachkundig zu machen. Manche Frage ist nicht so präzise. Wir sind Parlamentarier, die entscheiden müssen. Ich darf hier einmal für meinen Kollegen eintreten, der diese Frage gestellt hat. Es traut sich ja gar keiner mehr, eine Frage zu stellen, wenn er von einem Chefarzt gleich so zurechtgewiesen wird.“

Unmittelbar darauf:

„Dr. Becker: Zur Frage der Methadonbehandlung: Ich glaube, das Thema haben wir abgeschlossen.

Vorsitzender Hauck: Das nehmen wir nicht mehr in den Mund, haben wir gesagt.“

Nicht alle deutschen Parlamentarier hängen sich selbst so freiwillig einen Maulkorb um, und so wurde Anno 1984 in Wiesbaden ein Methadon-Hearing abgehalten. Die Mafia schickte ihren alten Paten Prof. Keup ins Rennen, seit gut 20 Jahren berühmt für seine stets einsamen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Originell wie immer, warnte er vor „neu begonnenen Alkoholikerkarrieren mit allen, bekanntlich oft ernsten, körperlichen Sekundärschäden“, als sei das Scene-Heroin der unschuldigste Stoff. „Hinzu kommen immer wieder tragische Todesfälle von Kindern, denen Erhaltungsmethadon (in Orangensaft) in die Hände fällt.“ Daß es keinen einzigen gibt, sollte bei so viel Rührkraft nicht stören. Das Glanzlicht aber lieferte wieder einmal Heckmann, der's ja immer so mit Moral hält: „Ich bin gegen den Einsatz von Methadon... aus ethisch-moralischen Gründen. Ich bin überzeugt, daß es zutieft inhuman ist, Leuten, die Probleme mit Drogen haben, Drogen zu geben.“

Wie klar und edel. Für unseren Ethomoralisten ist eben eine Droge eine Droge, und da darf der kleine Unterschied keine Rolle spielen, daß die eine ein legales Pharmakon ist und die andere ein Produkt organisierter Kriminalität mit allen möglichen gefährlichen Zusätzen. Und erst recht nicht zählen darf, daß Substitutionsprogramme, von Aids einmal abgesehen, auch eine gewisse Entkriminalisierung bedeuten.

Monopoly

Gelegentlich, sehr selten, hören wir von Kämpfen rivalisierender Banden um den Drogenmarkt. Der ist, auch nach Ansicht seiner Verfolgungsbehörden, zwar fest in der Hand etablierter Syndikate - und gegen die kann man leider nichts machen -, doch gibt es gelegentlich ja auch Außenseiter, und dann hilft nur Blei oder (daher polizeiliche Erfolge) Denuntiation.

Auch die weiße Mafia (um sie mal formal von der bösen, schwarzen zu unterscheiden) hält es nicht anders, wenn sie um ihr Monopol fürchtet, nur ein bißchen feiner: Blei und Denuntiation vereinigen sich auf Papier, und im übrigen geht's fein zu. Der Kampf um jeden einzelnen Junkie dient ja auch einem edlen Geschäftszweck. Zumindest vorübergehend, denn wenn man ihn dreimal gehabt hat, gilt er als therapieresistent und wird dem Schwarzmarkt zurückgegeben und Knast bzw. Friedhof überlassen.

Das gibt eine schöne Symbiose. Man hilft einander, wo man kann, nach der Devise: „Nur ja keinen Junkie verlieren.“ So erhält die weiße der schwarzen Mafia die Geschäftsgrundlage, und die per Elend ( Leidensdruck) der weißen.

Beispiele gefällig?

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung Baden-Württemberg in einem „Positionspapier“, April 1987: „Mit einer Verschreibung von Ersatzstoffen könnte keine Verringerung der Ausbreitung von Aids erreicht werden, aber alle Hilfen für HIV-positive Abhängige würden verspielt, weil sie kaum noch bereit wären, sich angesichts der bequemen Möglichkeit der Einnahme eines Ersatzstoffes - einer mit persönlichen Anstrengungen und Versagungen verbundenen stationären Entwöhnung zu unterziehen. (...) Der erforderliche Einstellungswandel gegenüber dem Drogenmißbrauch und die Motivation zur Verhaltensänderung setzen voraus, daß die Folgen der Sucht als belastend erlebt und bewußt wahrgenommen werden. Die Verabreichung von Ersatzstoffen behindert diesen therapeutisch relevanten Prozeß.“

Also brauchen wir Aids, um von den Drogen genesen zu können, als therapeutisch relevantes Treibmittel, und das Elend der Abhängigen ist, ethisch-moralisch gesehen, das Wünschenswerteste, da es sie in unsere Helferhand treibt. Nun gut, vielleicht nicht alle, aber wo gehobelt wird, dürfen ja auch Späne fallen, und es wäre zutiefst inhuman, es Todeskandidaten auch noch bequem zu machen.

Der Hessische Sozialminister (Landesdrogenbeauftragter Dr.Winckler) an Jugendhilfe e.V. am 29.10.87: „Die begründete Ablehnung von Substitutionsprogrammen ist derzeit gerade Beratungsgegenstand im Sozialpolitischen Ausschuß des Hessischen Landtags. Es ist davon auszugehen, daß der Sozialpolitische Ausschuß die Ablehnung von Substitutionsprogrammen durch den Hessischen Sozialminister mit überwältigender Mehrheit bestätigen wird.“

Lucky Luciano sagte einmal mit ähnlichem Selbstbewußtsein: „Was Regierung und Parlament beschließen dürfen, habe ich schon veranlaßt.“ Fliegenschisse, Riesenfurze

Und nun? Immer mehr Bundesländer versuchen sich in diesem Sommer unseres Mißvergnügens mit der zögerlichen Einführung von Methadonprogrämmchen. Schließlich starben noch nie so viele Abhängige wie in diesem Jahr, und die Durchseuchung mit HIV hat, laut Prof. Bschor, „allmählich ihre Sättigungsgrenze erreicht“, während unsere Mafia eine solche Gefahr noch 1985 kategorisch bestritt. Und dann gibt es noch das Phänomen „Beschaffungskriminalität“. Volkswirtschaftlich mag sie ja einen gewissen Wert haben, denn die gestohlenden Güter werden durch neue ersetzt, und die Sore landet auf einem Markt, wo Neues kaum abzusetzen wäre, doch dem Bürger wird sie allmählich lästig.

Also treten Minister vor, verkünden mannhaft und tapfer, sie würden vorsichtig und selbstverständlich nur in kleinstem Rahmen erproben, was sich überall sonst in der Welt schon bewährt hat, und selbst lovely Rita hört nicht mehr auf ihren Franke („Solange ich hier etwas zu sagen habe, wird es keine Methadonprogramme geben“), sondern verlautbart nachzudenken.

Natürlich wäre einiges zu Methadonprogrammen anzumerken, denn sie sind im Wortsinn Ersatz. Die Abhängigkeit wird von einem illegalen auf ein legales Mittel velagert, außerdem in eine gewisse gesellschaftliche Kontrolle. Außerdem, machen wir uns da nichts vor, kommen sie auch nur für einen Bruchteil der Abhängigen in Frage, schon aufgrund ihrer restriktiven Konstruktion, und deren Zahl wird nicht viel größer als jene, bei der optimistische Schätzungen für die Abstinenztherapie liegen.

An diesem Punkt setzen unsere ehrenwerten Herren ein, und nach gewohnter Weise wird ihnen breiter öffentlicher Raum gewährt. In „III nach 9“ durften wir's wieder erleben: Ingo Warnke, Heckmann-Spezi und Abt des Synanon-Klosters, ließ den coolen Ex-Junkie raushängen und meinte, zunächst einmal müsse das ganze BtMG abgeschafft und die Gesellschaft radikal verändert werden, und bis dorthin seien Ersatzprogramme nur hinderlich und ab dann nicht mehr nötig (Beifall der mitgebrachten Claque). Ein Herr von der therapeutischen Marktwirtschaft („Markt“ sagte er selbst) befürchtete, den derzeitigen Monopolisten könnten Mittel entzogen werden, was natürlich Unsinn ist, denn in keinem Land mit Ersatzprogrammen wurden Mittel für Langzeittherapie auch nur eingefroren, doch das Arbeitsplatzargument kennen wir ja.

Dazwischen saß eine stille, tapfere Frau. Dorothea Klieber hatte an und später mit ihrem Sohn die Hölle durchlebt, bis er eine Weile Polamidon bekam. Sie konnte seine Moralisierung erleben und sich freuen, bis ihre Hoffnungen mit einem im Wortsinn schrecklichen Sturz endeten: Als Dr. Kapuste verhaftet wurde, beging ihr Sohn Selbstmord. Nun kämpft sie mit einer Handvoll Leidensgenossen dafür, das Elend der Abhängigkeit etwas menschlicher zu sehen. Sie hat in solch dröhnenden Moralistenrunden nichts verloren, und der moderierende Geyer ließ daher auch zu, daß sie keinen Satz zu Ende sprechen konnte.

Warum aber auch sollen die Methoden der Mafia fein sein, wenn's um ihr Monopol geht? Wie die eine, die schwarze, arbeitet, wissen wir. Die andere, die weiße, hat auch ihre Lupara, diesfalls Maulkorberlässe und Abmahnungen. Wer einer größeren Bandbreite von Hilfsangeboten auch nur ein Wörtchen redet, Enno Lücht in Frankfurt beispielsweise, wird massiv bedroht. „Ich würde es außerordentlich bedauern“, schrieb der Landesdrogenbeauftagte Dr. Winckler an Lüchts Arbeitsgeber, „wenn die offenkundige Fehleinschätzung, der Herr Lücht zunehmend unterliegt, die künftige Mitfinanzierung der M41 mit Landesmitteln in Gefahr bringen würde.“ Schöne, klare Worte, auch aus Bremen, Baden-Württemberg usw. zu vernehmen: Die Mafia hat das Monopol, und wer mit Abhängigen arbeiten will, ist auf sie angewiesen. Wer trotzdem redet, endet mit einem Stein im Mund.

Für die Öffentlichkeit werden derweil die alten Zweckwahrheiten ausgepackt, an denen die ehrenwerten Herren schlimmer zu hängen scheinen als die Fixer an der Nadel. Die Deutsche Presseagentur meldete am 9.8. dieses Jahres:

„Stuttgart - Die suchterzeugende Wirkung von Methadon ist nach Angaben des baden-württembergischen Gesundheitsministeriums doppelt so stark wie die von reinem Heroin. Ein Methadonentzug sei überdies wesentlich 'schwerer und risikoreicher als ein Heroinentzug‘, heißt es in einem der dpa vorliegenden 'Argumentationspapier zum Thema Substitutionsbehandlung‘, das vom Ministerium gemeinsam mit der Landesstelle gegen die Suchtgefahren und dem Tübinger Psychiater und Neurologen Hans-Werner Schied erarbeitet worden ist.“

Wie bitte? Abgesehen davon, daß derlei von Dr.Kleiner und Konsorten schon stets behauptet wurde, um Parlamentarier und Öffentlichkeit mit dem Horrorwort Heroin zu verschrecken, wirft hier ein Ministerium sich selbst einen gesundheitspolitischen Riesenskandal vor. Es geht nämlich um L-Polamidon, um das schreckliche Kind endlich einmal bei seinem Markennamen zu nennen (Produzent Hoechst). L -Polamidon ist, vor allem in Krankenhäusern, eines der meistverordneten Schmerzmittel und hat nur eine einzige Verschreibungsbeschränkung: „Nicht an Süchtige“. (Daß sich manche Ärzte nicht daran halten, aus welchen Gründen auch immer, hat unserer Republik seit langem einen mehr oder minder funktionierenden Methadonmarkt beschert). Seit vielen Jahren wird L-Polamidon als angeblich wenig bedenklicher Opiatersatz auch dort verschrieben, wo Morphin besser indiziert wäre.

Und nun dies! Da reden wir über das Grauen der Fixer, und derweil produziert unser staatliches Gesundheitswesen jahrelang und tagtäglich Doppeljunkies! Wird künftig wenigstens das dann doch nur halb so gefährliche Heroin abgegeben, das notabene seine legale Karriere als Heilmittel gegen Morphinismus machte? Und dürfen mit L-Polamidon Behandelte wegen gefährlicher Körperverletzung auf Schadensersatz klagen (Rechtshilfe durch das Ministerium)?

Aber so war das wohl nicht gemeint, auch nicht als Illustration für die Ambivalenz von Zweckwahrheiten oder dafür, wie sehr Gesundheits- und Drogenpolitik, vom selben Ministerium verwaltet, einander widersprechen. Interessant wäre nur, wie der beflissene Schied herausgefunden haben will, L-Polamidon sei exakt doppelt so suchtpotent wie Heroin. Seriöse Wissenschaftler haben sich solchen Rechenspielereien stets und strikt verweigert - da Sucht eine höchst individuelle Erkrankung ist, kann die Suchtpotenz eines Mittels nie haltbar präzisiert werden. Auch das Risiko bei einem „Methadonentzug“ könnte nur darin bestehen, daß L-Polamidon eben leichter erhältlich ist als „reines“ Heroin. Vorschläge zur Güte

An diesem Punkt könnten wir die polemische Ebene verlassen und die ehrenwerten Herren samt ihren Wahrheiten kurzfristig vergessen. Wir könnten zu etwas Vernunft auffordern, obwohl die bei Drogen (auch als Thema) so gerne ausklinkt.

Ausgehend von der Tatsache, daß es den Normjunkie nicht gibt, und daher auch keine normativen Einheitsregelungen der Drogenprobleme, könnten wir schon aus Gründen des Selbstschutzes für eine Pluralität von Hilfsangeboten plädieren, von den existierenden Therapieprogrammen angefangen über eine möglichst breit gefächerte Palette von Ersatzprogrammen bis hin zu - ja, es muß gesagt werden Erhaltungsprogrammen.

Nirgendwo besteht Zweifel darüber, daß das Elend der Abhängigen (das ja mit einigem Zynismus als ihre Angelegenheit bezeichnet werden könnte) und seine sozial unerwünschten Begleiterscheinungen (Stichwort: Beschaffungskriminalität) eine Folge der Illegalität und der ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten sind. Da aber unser (Herr) Gesetzgeber gerade daran nichts ändern will und wird (vor einem neuen BtMG kann uns nur grauen), obwohl alle illegalen Gifte ganz legal in Apotheken begannen und der gesetzliche Bannfluch das Elend nur vergrößert hat, müssen wir für alle Möglichkeiten plädieren, die zumindest eine Scheinentkriminalisierung mit sich bringen. (Wer da wie Warnke zetert, das Problem würde nur von der Justiz zu den Ärzten verlagert, möge bedenken, daß Ärzte - noch - keine Knäste haben und das Zeug auf Rezept allemal billiger bekommt als auf dem Schwarzmarkt.) Und wenn eine solche de -facto-Entkriminalisierung auch nur eine Atempause für den Abhängigen und uns sein sollte - wir alle können sie brauchen, und sollte sie uns auch nur einen einzigen Toten ersparen.

Wir sollten zugeben, daß sämtliche bisherigen Lösungsversuche angesichts des Problems gescheitert sind. Wir haben nichts zu verlieren und - zugegebenermaßen - nur sehr wenig zu gewinnen, aber wir sollten jeden Spatzen anfassen, denn die reine Taube einer drogenfreien Gesellschaft ist eine mörderische Utopie.

Ach, jetzt rede ich selbst von einer, denn die Verhältnisse, sie sind nicht so. Aus Hamm wird flehentlich vor „Aufweichungstendenzen“ gewarnt, begleitet von einem Trommelfeuer „wissenschaftlicher Erkenntnisse“, die rechterdings unter der Ortsangabe Münchhausen publiziert werden sollten.

Wir sollten vielleicht die ehrenwerten Herren zu nicht noch Schlimmerem reizen, sondern Herrn Franke bitten, endlich in die Zielgerade des Königswegs zu schießen, in die letzte Härte und Geradheit. Da es so, wie es ist, schon richtig ist, könnte es nur richtiger werden, wenn man endlich (auch aus konjunkturellem Interesse, Stichwort: Beschaffungskriminalität) die schwarze und die weiße Mafia einander zuführte.

Da dies anfangs nicht ohne Berührungsängste abgehen wird, ist hier der Staat gefordert, und die ersten Schritte in die richtige Richtung sind auch schon geplant. Künftig sollen den bösen Drogenhändlern die Gelder, so man sie bei ihnen findet, abgenommen werden. Man bräuchte sie nur nach Hamm zu transferieren, mit therapeutischer Widmung nach dem Verursacherprinzip, und anschließend diesen Verwaltungsweg etwa rationalisieren.

Kohle bringt Menschen einander näher, und so könnten die ehrenwerten Herren beider Fraktionen ihr Gemeinsames entdecken: Das Elend des Schwarzmarktes ist doch jener Leidensdruck, der zur Therapie motiviert (man könnte sich über nützliche Beimischungen verständigen), und die Resultate aller derzeitigen Hilfsangebote sind eine solide Geschäftsgrundlage für den Schwarzmarkt. So läuft's doch schon seit Jahren, und der Rubel rollt hier wie da.

Man müßte sich nur besser verständigen und die Geschäftsinteressen gemeinsam wahren. Keine neuen Gedanken wären nötig, schon gar keine Experimente, nur etwas Koordination:

Wer der Mafia durch Ersatzprogramme einen Kunden wegzunehmen droht, vom Schwarzmarkt oder dem der Abstinenz, ist mit Hammer Moral weniger sicher auszuschalten als mit einer Knarre.