Folgen der Finanzkrise: Sammler räumt Museum leer

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe muss wertvolles Meißner Porzellan aus den Vitrinen räumen. Die Sammlung war geliehen, und die Leihgeber müssen die Preziosen verkaufen. Von einem Präzedenzfall aber mag niemand sprechen.

Der Abschied ist nah: Meißner Porzellantasse der Hamburger Sammlung Hoffmeister. Bild: MKG

So hatte sich Sabine Schulze das nicht vorgestellt. Dass ausgerechnet ihr Haus das erste prominente Opfer von Finanz- und Wirtschaftskrise würde - das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das sie seit Juni vergangenen Jahres leitet. Es trägt nicht nur einen sperrigen, merkwürdig reformresistenten Namen. Es enthält auch ein sehr facettenreiches Sammelsurium: von antiken Skulpturen über ostasiatische Kunst, von Jugendstil-Möbeln bis zu Fotos, Musikinstrumenten und hochkarätigem Porzellan.

Die Sammlung, die seit 1999 in zwei von den Hoffmeister-Brüdern bezahlten und mitgestalteten Räumen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert wird, umfasst Exponate aus der Zeit zwischen 1710 und 1760:

- Böttgersteinzeug und Böttgerporzellan aus der frühen, experimentellen Phase der Porzellanherstellung

- echtes weißes Porzellan nach ostasiatischen Vorbildern, teils direkt für König August den Starken gefertigt

- Geschirre mit Fondfarben und Rokoko-Dekormotiven

- mit Wappen dekorierte Geschirre, gedacht als diplomatische Geschenke

Um letzteres geht es nun auch: 400 wertvolle Stücke Meißner Porzellans - seit 1999 im Haus - werden in den kommenden drei Monaten aus den Vitrinen geräumt. Zwei ganze Räume wird das leeren. Die Leihgeber - Horst und Dieter Hoffmeister - brauchen Geld.

Den betagten Brüdern, die sich dazu nicht äußerten, fällt das wohl nicht leicht: 30 Jahre lang hatten sie Meißner Porzellan zu einer weltweit einzigartigen Sammlung vereint. Sie sollte nach dem Tod der Brüder an das Museum gehen. Dann kam die Krise. "Die beiden haben viel Geld verloren", sagt nun Museumsleiterin Schulze, "und sich deshalb entschlossen, die auf 14 Millionen Euro geschätzte Sammlung zu verkaufen."

Für das Museum ist das ein schwerer Schlag. Da hilft es wenig, dass Schulze tapfer leugnet: "Auch ohne die Hoffmeister-Sammlung haben wir sehr wertvolle Bestände." Was bleibt, ist ein strukturelles Problem des Museums: dass man sich so massiv auf einen einzigen Leihgeber stützte. Denn was verdienstvoll schien - eine so wertvolle Sammlung ins Haus zu holen -, erwies sich nun als Abhängigkeit.

Die andere Häuser im Norden zu vermeiden wussten: Kein anderes kulturhistorisches Museum in Norddeutschland hat eine so große Sammlung geliehen. "Dauerleihgaben sind bei Museen nicht beliebt", sagt etwa Ernst Böhme, Leiter des Städtischen Museums Göttingen. Denn zwar erhöhen wertvolle Dauerleihgaben den Ruf eines Museums, aber sie ersparen dem, der da verleiht, auch enorme Kosten: Es sind die Museen, die die Exponate versichern, pflegen und sichern müssen. Dass eine Sammlung ausgestellt wird, erhöht wiederum den Erlös, der später im Falle einer Veräußerung erzielt werden kann. "Die Museen", sagt Wolfgang Schepers vom Kestner Museum in Hannover, "werden oft als Durchlauferhitzer genutzt."

Ein ambivalentes Prozedere also, das für die Museen immer mit der Versuchung verbunden ist, wenigstens vorübergehend zu präsentieren, was sie selbst nie kaufen könnten. Meistens gehen solche Deals gut; oft münden Dauerleihgaben in Erbschaft oder Schenkung. Aber eben nicht immer - und die Frage ist, ob in Hamburg gerade ein Präzedenzfall entsteht: Mit der Hoffmeisterschen Sammlung lassen sich sechsstellige Preise erzielen; die Kunden kommen aus Japan, zunehmend auch aus Russland.

Ob Kunsthandwerk generell anfälliger für solche Verkaufspläne ist als Gemälde, ob sich die Direktoren stadthistorischer Museen also stärker ängstigen müssen als Kunstmuseen? Zwar stammt Kunstgewerbliches meist aus serieller Fertigung, was Exponate grundsätzlich günstiger macht als die in Kunstmuseen. Das gilt aber nicht für solche Unikate, wie sie etwa die Hoffmeistersche Sammlung enthält.

Dass die Krise weitere Panikverkäufe und Rückholaktionen nach sich zieht, fürchten Norddeutschlands Museumsleiter so angeblich nicht. Die meisten Häuser haben nach eigenen Angaben ohnehin nur einzelne Exponate dauergeliehen. Einige wenige allerdings beherbergen mittelgroße Sammlungen - geliehen vom jeweiligen Land, der Kirche oder Privatleuten. Und ob es nun Kalkül, Blauäugigkeit oder Pragmatismus ist: Alarm schlagen mag derzeit niemand. "Noch ist alles entspannt", sagt Wolfgang Schepers vom Kestner-Museum Hannover, das eine 120-teilige Sammlung mit Altargerät lieh. "Ich fürchte nichts", sagt auch Ernst Böhme vom Göttinger Städtischen Museum, wo die Glaskunstsammlung Kirchhoff weilt. Er habe keine Hinweise auf Rückhol-Absichten.

Kurzfristig ist das ohnehin selten möglich, wobei die Vertragslaufzeit variiert: Von einem bis zu zehn Jahren reicht die Spanne der Verträge, die manchmal auch die Verpflichtung zu Sonderausstellung und Katalog enthalten. Man könnte sie Knebelverträge nennen, und genau deshalb sind sie im kunstgewerblichen Bereich selten.

Dass die wenigen, die es dennoch gibt, bald aufgelöst werden, steht wohl nicht zu befürchten. "Das ist Hysterie", sagt ein Auktionator. "Ein Einzelfall und Schicksalsschlag", findet auch die Hamburger Museumsleiterin Sabine Schulze. Den weder die Kulturbehörde noch Schulzes Vorgänger Wilhelm Hornbostel, der die Leihgabe einst akquirierte, nicht abwenden konnten: Ein Mäzen, der das Porzellan für das Museum gekauft hätte, ließ sich nicht auftreiben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.