„Reden. Das habe ich gelernt.“

Was macht eigentlich … Antje Radcke? Teil 1 der taz-Serie über das Leben norddeutscher PolitikerInnen nach der Politik. Die ehemalige Vorsitzende der Grünen in Hamburg und im Bund arbeitet freiberuflich als Kommunikationstrainerin. Ein Porträt

Von Sven-Michael Veit

Eines vermisse sie auf keinen Fall – spontan in Kameras und Mikrofone reden zu müssen, „ohne groß nachdenken zu können und ohne eine Ungenauigkeit begehen zu dürfen“. Einmal ist Antje Radcke eine unterlaufen, damals in Berlin, als sie eine der beiden VorstandssprecherInnen der Bündnisgrünen war. „Radcke fordert Sonderparteitag“ lautete am nächsten Tag die Schlagzeile, die für Aufregung bei den Grünen und in der rot-grünen Koalition sorgte. Dabei habe sie „nur ein Signal“ in die Partei geben wollen, dass nicht über deren Köpfe hinweg entschieden würde. Das Thema weiß Antje Radcke nicht mehr, aber sie weiß, „dass ich da wohl unpräzise formuliert habe“.

Sie hat ihn hinter sich gelassen, den Politikbetrieb, den Hamburger und den in Berlin erst recht. „Ich weine dem nicht hinterher, und ich sehne mich auch nicht dahin zurück“, sagt Antje Radcke. „Spannend“ sei es gewesen, wenn auch „nicht immer schön.“ Vieles habe sie genossen und noch mehr gelernt: „Es war ein Kapitel in meinem Leben, das ich nicht missen möchte. Aber jetzt lebe ich in einer neuen Phase.“

Mit ihren beiden Kindern nämlich in einer lichten Eigentumswohnung in Hamburg-Winterhude. Außenwirtschaft studiert ihr 21-jähriger Sohn, die 18-jährige Tochter hat soeben das Abitur bestanden. Und mit ihrem Freund Carsten Kuhlmann, den sie bei Hamburgs Grün-Alternativer Liste (GAL) kennen lernte, wo er als Landesschatzmeister Vorstandsmitglied war. Seit acht Jahren sind Antje Radcke und er ein Paar, seit dreieinhalb Jahren wohnen sie zusammen. „Dabei“, lacht sie, „wollte ich nie wieder mit einem Mann zusammenziehen.“

Freiberuflich arbeitet die 46-Jährige jetzt als Kommunikationstrainerin. Seminare und Coaching bietet sie an, vor allem im technischen Bereich für Ingenieure, Handwerker, Klein- und Mittelbetriebe. Denn da hätten viele inzwischen „erkannt, dass professionelle Kommunikation ein echter Wettbewerbsvorteil ist“. Quer durchs Land reist Antje Radcke zu ihren Workshops, denn „reden“, sagt sie, „das habe ich wirklich gelernt“. In Hinterzimmern und Festsälen, auf Bühnen und Podien, in Funk und Fernsehen, vor Augen immer das eine Ziel: „Wie bringe ich meine Botschaft rüber?“

Von der politischen Arbeit hat sie nicht völlig gelassen, aber sie beschränkt sie auf den Berufsverband, die Deutsche Public Relations Gesellschaft. „Ein bisschen“ wirke sie da mit, „inhaltlich und konzeptionell“, ohne eine herausgehobene Funktion zu haben. Schwierigkeiten wegen ihrer politischen Vergangenheit habe es nie gegeben, nicht bei konservativen Handwerksmeistern aus der Provinz, nicht mit Organisationen wie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. „Meine Erfahrungen als Politikerin sind gefragt“, sagt Antje Radcke, „meine Parteizugehörigkeit ist da nebensächlich.“

Mitglied der Grünen ist sie immer noch, passiv. Auf eine Mitgliederversammlung aber ist sie nie wieder gegangen, seit die Partei ihr das Vertrauen entzog. Nach der Bürgerschaftswahl 2001 war das. Die rot-grüne Koalition in Hamburg war abgewählt worden, Schwarz-Schill an die Macht gekommen, und die GAL setzte ihren siebenköpfigen Parteivorstand und damit auch die Vorstandssprecherin Antje Radcke vor die Tür. Jemand musste ja Schuld sein.

Anderthalb Jahre zuvor war sie in Berlin gescheitert, an Joschka Fischer, dem grünen Übervater. Antje Radcke und ihre Co-Sprecherin Gunda Röstel mussten Platz machen für Renate Künast und Fritz Kuhn als Parteivorsitzende. „Regierungsverkäufer“, sagt Antje Radcke, hatte der heimliche Parteichef haben wollen, nicht Leute wie Röstel und sie, die mit Amt, aber ohne Mandat, ihre Unabhängigkeit vom rot-grünen Regierungsgeschäft bewahren wollten.

Nach ihrer Rückkehr aus Berlin wurde sie, die Linke, wieder Sprecherin der GAL, zusammen mit Kurt Edler, dem Realo. Gegen den heftigen Widerstand von Krista Sager, der Zweiten Bürgermeisterin, die damals in der GAL die Joschka für Hamburg war. Gerade mal elf Monate amtierte das Duo, dann kam Schill und beendete indirekt auch die politische Karriere der Antje Radcke.

Die GAL hat sich danach von der Links-Rechts-Doppelspitze verabschiedet, die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben und eine Bürgerschaftsabgeordnete zur alleinigen Vorsitzenden gewählt, die inzwischen im Bundestag sitzt. Antje Radcke hat sich seitdem in einem Leben ohne Parteipolitik eingerichtet, verfolgt die Politik der Grünen „eher als interessierte Bürgerin“. Rar sind ihre Kontakte zu ehemaligen MitstreiterInnen geworden, von Freundschaften, die überdauert hätten, ganz zu schweigen. Und jetzt sitzt da dieser Journalist wie ein Gruß aus fernen Zeiten.

Nur langsam taut Antje Radcke auf beim Frühstück in ihrer Essdiele, die anfängliche Befangenheit ist spürbar. Beiderseits. Viel Kontakt hatten sie damals beruflich, und er war intensiv. Über Jahre hatten sie gelernt, einander zu vertrauen, die Politikerin und der Politik-Redakteur, und so manche Information wanderte hin oder her. „Weißt du schon das Neueste, was die SPD vorhat?“ – „Nee, erzähl‘ mal. Aber ich kann dir sagen, was ein paar in deiner Partei über dich erzählen.“ Informationsaustausch zu beiderseitigem Nutzen, ohne Quellenangabe und ohne Gefahr, reingelegt zu werden.

Viereinhalb Jahre ist das jetzt her, denn so lange ist Antje Radcke keine wichtige Person mehr in der Politik, und seitdem haben sie sich nicht mehr gesehen. Der Journalist löffelt in seinem Obstsalat und hat ein schlechtes Gewissen.

Die Serie wird in loser Folge fortgesetzt