„Viertelfinale reicht noch nicht“

Regisseur Sönke Wortmann begleitet das deutsche Team bei der WM. Neben einer Dokumentation dreht er auch Motivationsfilme

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

taz: Herr Wortmann, Sie haben ein Problem, oder?

Sönke Wortmann: Wieso?

Blicken Sie noch durch bei dieser Masse an Material, die Sie gesammelt haben?

Ich habe so viel, dass ich bestimmte Dinge nicht mehr filmen muss. Trainingsbilder wiederholen sich ja. Und wenn ich zweimal im Bus mitgefahren bin, dann reicht das auch.

Haben Sie keine Angst, etwas zu verpassen?

Nein, da bin ich sehr gelassen.

Wird Ihr Dokumentarfilm eher in den dritten Programmen laufen oder im Kino?

Im Moment reicht es für einen guten DVD-Verkauf.

Kein Kino?

Beim Thema Kino stellt sich immer die Frage: Sind die Leute bereit, zu Hause vom Sofa aufzustehen, ins Kino zu gehen und zehn Euro zu bezahlen, um dann eine deutsche Mannschaft im Viertelfinale ausscheiden zu sehen. Da habe ich meine Zweifel. Das würde sich wohl auch nicht finanziell für den Verleiher lohnen. Viertelfinale reicht noch nicht.

Also Halbfinale oder Finale?

Halbfinale reicht vielleicht schon. Kommt ein bisschen auf die Umstände drauf an.

Das sieht auch Klinsmann so, haben Sie ein Verhältnis zu ihm entwickeln können?

Er berichtet mir keine Details aus seinem Familienleben, aber es ist tatsächlich so, dass die Trainer, die Mannschaft und die Betreuer eine unglaublich verschworene Einheit geworden sind. Dazu gehört auch der Betreuer Wortmann.

Der Betreuer Wortmann dreht ja auch so genannte Motivationsfilme fürs Team.

Stimmt.

Auch einen Motivationsfilm über Argentinien?

Irgendwas werde ich zeigen, ja. Da wird mir schon was einfallen.

Zum Beispiel?

Ich zeige eine Mischung aus den Toren, die die Jungs geschossen haben, mit Bildern hinter den Kulissen, die ich selber gedreht habe. Es geht ja immer um Emotionen. Wichtig ist auch die Musik. Das soll nach vorne gehen und motivieren. Beim ersten Mal war’s Eminem: „Lose yourself“. Ein Wunsch von Jürgen. Letztes Mal waren es die Black Eyed Peas mit „Let’s get it started“. Die Spieler sagen: Das hilft uns.

Haben Sie bereits gelungene Szenen im Kasten?

Ich habe ein lockeres Konzept. Man weiß ja nie, wie so ein Turnier läuft und wer sich in den Vordergrund spielt. Die Protagonisten, die sich bisher hervorgetan haben, die hatte ich alle schon, auch im Interview. Im Moment fehlt mir eigentlich nix. Obwohl: Einen Tag im Pressebüro bräuchte ich noch. Wie da auf drei Telefonen gleichzeitig Termine koordiniert und Interviews gegengelesen werden, das ist für mich wie an der Börse, absolut hektisch.

Sie haben keine große Crew dabei, nur eine kleine Kamera.

Was ich brauchte, war eine gute, kleine Kamera, die nicht störend wirkt. Man kann auch sehr schnell mit ihr arbeiten.

Wurden Ihnen Grenzen gesetzt?

Es gibt keine Grenzen, aber ein Feeling für Intimbereiche muss ich natürlich entwickeln. Spieler nackt unter der Dusche zu filmen, das mach ich erst gar nicht.

Wer hat es Ihnen besonders angetan im deutschen Team?

Sind alles klasse Typen. Eine Zuckertruppe.

Eine Zuckertruppe?

Im Moment ist es für mich, auch durch die tollen Leistungen, ein Spaziergang. Ich werde ja mitgetragen auf der Euphoriewelle. Dieses Projekt ist beruflich einer meiner Höhepunkte.

Obwohl Sie nicht der Boss auf dem Set sind?

Ich will gar nicht der Boss sein. Film und Fußball sind Teamaufgaben.

Wie behalten Sie Ruhe in Momenten des Torjubels?

Man muss sich zwingen. Ich habe Lehrgeld bezahlt beim Confed-Cup im vergangenen Jahr. Da habe ich manchmal vergessen, die Kamera anzumachen, weil ich selber gejubelt habe. Das ist mir gegen Costa Rica auch noch passiert. Also war ich in Dortmund beim Polen-Spiel auf der Hut. Ich habe mich da besonders zusammengerissen und bin beim Tor nicht aufgesprungen, sondern habe die Kamera angemacht.

Haben Sie eine bestimmte Masche, um an die Spieler ranzukommen?

Nee, ich will selber so authentisch wie möglich sein, mich nicht verstellen. Dann kriegt man auch andere Antworten als der Reporter am Spielfeldrand.

Tatsächlich?

Am Anfang hat es Zeit gebraucht, bis sie lockerer werden. Deswegen hatte ich den Plan, möglichst früh anzufangen, vor einem Jahr und ich wollte auch die Länderspiele begleiten. Jetzt ist überhaupt keine Distanz mehr da.

Hat denn der DFB ein Mitspracherecht?

Der DFB – das klingt so restriktiv. Der DFB wird in dem Fall vertreten durch Oliver Bierhoff, den Manager, der wirklich ein weltoffener und intelligenter Kosmopolit ist. Er hat ein gewisses Mitspracherecht, weil er eine Fürsorgepflicht fürs Team hat. Wenn da jetzt was drin wäre, zum Beispiel: der eine verhaut den anderen, dann muss Bierhoff eingreifen. Aber ich kann jetzt schon versprechen: Wenn der Film fertig ist, wird es keine Diskussionen geben. Es gab ja auch keine Krise.

Sie spielten selber in der dritten Liga Fußball, hat Ihnen das geholfen?

Das hat das Entree erleichtert. Ich habe es ja nie für möglich gehalten, jemals so nah an die Nationalmannschaft ranzukommen. Ich hätte mich gar nicht zu fragen getraut. Entscheidend war der Film „Les Yeux dans les Bleus“ von Stéphane Meunier, in dem die französische Nationalmannschaft 1998 beim Titelgewinn begleitet wird. Wenn ich diesen Film nicht gesehen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, auch so ein Stück über die Deutschen zu machen.

Wann ist der Streifen zu sehen?

Ich habe keinen Druck. Ich schätze mal, dass der Film im Herbst fertig wird. Dann ist genug Abstand zur WM da und die Leute sind wieder neugierig, sich das Ganze mal aus einem anderen Blickwinkel anzuschauen.

Das Wunder von Berlin, wird das der Titel?

Auf keinen Fall, denn es wäre kein Wunder. Ein Wunder wäre es, wenn Trinidad und Tobago Weltmeister geworden wäre. Deutschland im eigenen Land – das ist bestenfalls eine Überraschung.