Unsere Autoren resümieren: Chen Mengcang: Wir Autoren werden missverstanden

Gibt es in China Pressefreiheit, wollen deutsche Journalisten wissen. Sie kennen die Antwort schon. Warum fragen sie trotzdem weiter?

Das ist Deutschland: Chinesische Übersetzungen biographischer und autobiographischer Bücher, gestern und heute. Bild: dpa

Auf einer chinesischen Podiumsdiskussion ist die Atmosphäre gewöhnlich sehr harmonisch. Denn Chinesen stellen kaum Fragen. Früher wurde uns erzählt, dieses unkritische Verhalten habe allgemein mit der ostasiatischen Mentalität zu tun. Das ist ein großer Irrtum. Dass Chinesen nicht gewohnt sind, auf Veranstaltungen zu diskutieren, hat vor allem damit zu tun, dass wir von klein auf Prüfungen absolvieren müssen. Und alle Fragen dieser Prüfungen kennen nur richtig oder falsch. Unser Erziehungssystem sieht streitbare Antworten nicht vor.

Der chinesische Schriftsteller Bing Xin hat einmal eine Kurzgeschichte geschrieben. „Kleine Mandarinenlampe" (Xiaojudeng) lautete der Titel. Sie handelt von seiner Begegnung mit einem Mädchen, das seine schwerkranke Mutter pflegt. Seine Kurzgeschichte fand Eingang in die offiziellen Lehrbücher der Grundschule – eine Musterinterpretation wurde auch mitgeliefert. Der Autor würde mit der Geschichte seine Hoffnung auf die kommunistische Parteiführung und die Revolution ausdrücken. Das Lampenlicht symbolisiere Hoffnung. Als Bin Xin später von dieser Interpretation erfuhr, sagte er: Mein Werk hat keineswegs diese Bedeutung.

Genau das ist das Problem für uns chinesische Autoren: Kaum ist ein Text veröffentlicht, haben einige mächtige Leute schon die Erklärungen dazu geliefert. Wir Autoren werden bewusst missverstanden. Und wenn wir versuchen, unsere Sicht der Dinge richtig zu stellen, glaubt die Mehrheit, dass wir die Welt missverstanden haben.

Wir Chinesen werden bei offiziellen Anlässen in der Regel „vertreten". Nach dem Treffen der Bundeskanzlerin Merkel mit dem Dalai Lama beispielsweise behauptete ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums: Merkel habe mit dem Treffen das Gefühl des chinesischen Volks verletzt. Als seien die Chinesen so empfindlich. Als seien die Chinesen die Obermeckerer dieser Welt.

Doch wer nun denkt, Chinas Probleme lassen sich allein auf die Staatspropaganda zurückführen, macht es sich zu einfach. In Deutschland können Journalisten und Schriftsteller uneingeschränkt ihre Meinung äußern. Schade, dass viele China einfach einen Stempel aufdrücken: Verletzung der Menschenrechte, politische Verfolgung, fehlende Pressefreiheit. Warum das so ist und welche Hintergründe dahinter stecken, wird häufig nicht nachgefragt.

Nach sechs Tagen auf der Frankfurter Buchmesse habe ich den Eindruck: Die Messe bestand aus zwei vollkommen eigenständigen Teilen. Auf der einen Seite das Ehrengastland China mit seinen hochoffiziellen Schrottpropagandisten, die auf jeder Pressekonferenz und bei jeder öffentlichen Gelegenheit selbstgerecht dementierten, dass Publikationen und Redefreiheit in China systematisch beschnitten werden.

Auf der anderen Seite gab es die größtenteils im Ausland lebenden Dissidenten, die als Gegenstück zur offiziellen chinesischen Delegation geladen wurden. Ihr Problem: Sie haben bereits vor vielen Jahren China verlassen. Ihnen ist ihr Mutterland inzwischen fremd. Ihre Meinung mag im Westen von Bedeutung sein. Für die Chinesen ist sie es nicht.

In den deutschen Medien wiederum ging es ausschließlich um die fehlende Meinungsfreiheit. Die Leitfrage vieler deutscher Journalisten lautete immer wieder: Habt ihr bei euch in China Pressefreiheit? Tatsächlich wissen sie die Antwort schon, bevor sie uns die Frage stellen. Was ich nicht verstehe: Warum sie trotzdem weiterfragen.

Noch während ich diesen Artikel verfasse, sage ich unserem Redaktionsleiter Georg Blume: Alle denken, die Frankfurter Buchmesse sei eine Diskussionsplattform. Doch eigentlich ist die Buchmesse wie eine einsame Insel, abgetrennt von einem Ozean, der nicht zu überwinden ist. Doch genau wegen dieser Schwierigkeiten möchte ich mich bei der taz, insbesondere aber bei Georg Blume bedanken. Für seinen Mut zur Auseinandersetzung, seinen Optimismus, seinen Glauben an uns, China und das Leben im Allgemeinen.

Und vielleicht werden ihm die Fakten eines Tages Recht geben. Und dann können wir auch im Großen von uns behaupten, was Georg über unser Team gesagt hat: „Unser Erfolg beruht auf unsere unterschiedlichen Ansichten."

Aus dem Chinesischen von Roman Mendle.

CHEN MENGCANG, geb. 1981, ist Redakteur und Journalist beim chinesischen Webportal Netease (Wangyi) in Peking. Dieses ist vergleichbar mit den Portalen gmx oder yahoo.

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