Immer starke Kopfschmerzen

Wiktor Zawalnuk leidet seit seinem Einsatz in Tschernobyl unter der Strahlenkrankheit

KIEW taz ■ Pripjat am 26. April 1986: Wiktor Zawalnuk (Name geändert) hatte Glück. Der Leiter von Schicht 5 des Kraftwerkes 4 hat Urlaub. „Nach Balkonien“ sei er mit seiner Frau gefahren – für eine Reise hatte es wieder nicht gelangt. Pech für Zawalnuk: Ein Anruf aus dem Kraftwerk beendete jäh die Urlaubsstimmung.

Havarie. Feuer. Einsatz.

Das AKW Tschernobyl liegt in Sichtweite von Zawalnuks Balkon. „Ich war einer der Ersten am Reaktor. Wir haben Sandsäcke gefüllt, tausende“. Später wird er in die geräumte Stadt Tschernobyl als Komandant geschickt – „Ordnung organisieren, dafür sorgen, dass es keine Plünderungen gibt“. Bis zum 6. Dezember blieb Zawalnuk.

Kiew, am 26. März 2006: Wiktor Zawalnuk hatte Glück. „Ich bin nur zur Überprüfung in der Klinik.“ Konkrete Beschwerden hat er nicht. Sicherlich, ohne Magen sei das Leben nicht immer ganz einfach. Der sei ihm schon vor Jahren rausgenommen worden. Und dann hatte er ja auch diesen Herzinfarkt. Aber: Ob das nun etwas mit Tschernobyl zu tun habe, nein, dass könne niemand so ganz sicher sagen. „Sehen Sie, dass ist das Alter.“ Zawalnuk wird demnächst 60.

Hoffentlich: Dem Herzinfarkt folgte Arteriosklerose – eine Systemerkrankung der Schlagadern. Danach Hypothermie – der Körper gibt mehr Wärme ab, als er produzieren kann. „Wir haben es der Welt gezeigt: Binnen kürzester Zeit hatten wir den Reaktor im Griff. Im Westen wäre das undenkbar gewesen“, sagt Zawalnuk. Nein, als Held wolle er sich nicht bezeichnen – „Helden sind die Ärzte, die sich ganz jung freiwillig nach Tschernobyl gemeldet hatten“. Schlimm sei, dass die anderen drei Reaktoren jetzt abgeschaltet worden, „die liefen doch stabil“, murmelt Zawalnuk. Und sagt dann: „Wissen Sie, was das Schlimmste ist? Ich habe immer solche Kopfschmerzen. Die hören gar nicht mehr auf.“

„Das ist ein ganz typischer Fall der Strahlenkrankheit“ sagt Konstantin Loganowsky, Leiter des Radiologischen Instituts des Kiewer Forschungszentrums für Strahlenmedizin später, als Zawalnuk gegangen ist. „Zuerst beginnt das vegetative Nervensystem nicht mehr richtig zu arbeiten“, sagt er. Im „Fall Zawalnuk“ habe das zu einem Magendurchbruch geführt, bei dem dann auch Krebs festgestellt worden sei. „Andere Organe machen ebenso Probleme, der Herzinfarkt ist eine logische Folge.“

Der Arzt kennt Zawalnuk schon lange: In Tschernobyl habe dieser als Stadtkommandant ihm damals ein Zimmer zu gewiesen. Wie lange der Exschichtleiter, Exkommandant, Exheld noch zu leben habe, sei schwer einzuschätzen: „Die Kopfschmerzen rühren von schwerer Schädigung der Hirnrinde“. Wahrscheinlich jedenfalls ist, dass Zawalnuk nicht in Tschernobyl-Opfer-Statistiken auftauchen wird. NICK REIMER