Quadratisch, praktisch … fair?

NICARAGUA Ritter Sport engagiert sich im fairen Handel. Wirtschaftliche Interessen können aber zu Konflikten führen

Einen guten Preis zahlte Ritter den Bauern bis vor Kurzem auch ohne ein faires Siegel

VON FRANK HERRMANN

Wie eine Fata Morgana taucht das Firmenschild von Ritter Sport in der vor Hitze flirrenden, staubigen Ebene auf, einige Kilometer außerhalb von Matagalpa, einer Kleinstadt im Norden Nicaraguas. Hinter dem Eingangstor erstreckt sich die neue Ankaufstation von Ritter Sport Nicaragua, einem 2011 gegründeten Unternehmen. Stolz präsentiert Geschäftsführer Manfred Günkel die modernen Verwaltungsräume, das Labor, die Baumschule und die Lagerhallen, in denen der Kakao aufbewahrt wird. Angeliefert wird er von den rund 2.700 Genossenschaftsmitgliedern der Umgebung.

Schokoladenviereck und Knick-Pack der Ritter Sport haben einen prominenten Platz auf dem Deutschen Naschmarkt. Das Familienunternehmen steht nach eigenen Angaben auch für Nachhaltigkeit und soziales Engagement. Schokolade und Verantwortung gehören für die Ritters zusammen. Doch wie fair ist der Deutschen zweitliebste Schokoladensorte, von der täglich 2,5 Millionen Tafeln produziert werden und die 2012 einen Umsatz von 345 Millionen Euro erwirtschaftete?

Kakao aus Nicaragua kommt im Vergleich mit Kakao aus Afrika ohne ausbeuterische Kinderarbeit aus und gilt auf dem Weltmarkt als hochwertig: „Wir konnten den Ausschuss schlechter Kakaobohnen von 30 Prozent im Jahr 2007 auf rund sechs Prozent im Jahr 2012 senken“, bestätigt Cheftester José Manuel Rivera die positive Entwicklung. Das weiß man im Hause Ritter zu schätzen und unterstützt die Kooperativen dabei, die Qualität des Kakaos zu verbessern oder Pflanzenkrankheiten zu bekämpfen. Aber auch indem man faire Preise zahlt.

Das Besondere: Einen guten Preis zahlte Firmenchef Alfred T. Ritter den Bauern bis vor Kurzem auch ohne ein faires Siegel. Bereits 2009 hatte er erklärt, dass vom gezahlten Mehrpreis möglichst viel direkt bei den Bauern vor Ort ankommen solle. So erhalten die Bauern derzeit einen Preis, der inklusive Qualitätszuschlag rund 40 Prozent über dem Weltmarktpreis liegt. Hinzu kommen ein „Treuebonus“ für pünktliche Lieferung und ein Zuschlag für Biokakao. Dessen Anbau hatten die Ritters forciert, als sie 1990 Cacaonica gründeten, ein Projekt zur Unterstützung von Kleinbauern beim Anbau und der Vermarktung von Biokakao. Alfred T. Ritter betrachte das Thema Bio als persönliche Herzensangelegenheit, hieß es damals in einer Pressemitteilung des Unternehmens.

Ritter ist sich nicht ganz treu geblieben. Ein Grund: Die teure Bioschokolade floppte. Sie dümpelt nach Firmenangaben „im niedrigen einstelligen Prozentbereich“. Im Mai 2013 reagierte Ritter Sport und teilte den Lieferanten von Biokakao mit, dass eine Umstellung auf das Nachhaltigkeitsprogramm UTZ Certified bevorstehe. Eine Prämie würde fortan nur noch für UTZ-zertifizierten Kakao bezahlt, aber nicht mehr für Biokakao. „Das begeistert uns nicht gerade“, sagt Manuel Garcia, Mitglied der Kooperative Flor de Dalia. „Wir haben viele harte Jahre in den Anbau des Biokakaos gesteckt“. Hierzu hatte sie Alfred T. Ritter persönlich motiviert.

Und nun soll ein Siegel eingeführt werden, dessen Benutzung den Genossenschaften Kosten verursacht. Das hatte Ritter bisher abgelehnt. Zudem handelt es sich bei UTZ Certified um ein wenig strenges Nachhaltigkeitssiegel. Es soll zwar die Rückverfolgbarkeit des Kakaos verbessern, legt aber keine Festpreise oder Prämien fest. Auch einige Kunstdünger und Pestizide sind erlaubt. Daher lassen sich die Großen der Branche, darunter Mars, Nestlé oder Cargill, auch gerne von UTZ zertifizieren.

Dass die Entscheidung, bio durch UTZ zu ersetzen, nicht glücklich war, erkannte man bei Ritter Sport im Juli dieses Jahres – und ruderte zurück. Denn Handelskunden hatten gedroht, die Bioschokolade von Ritter auszulisten. Der Kompromiss: Die nicaraguanischen Bauern erhalten ihre Bioprämie wieder. Gleichzeitig hält man an der Zertifizierung durch UTZ fest. „UTZ berücksichtigt nach unserem Dafürhalten alle drei Säulen des Nachhaltigkeitsmodells, also ökonomische, ökologische und soziale Kriterien“, erklärt Thomas Steeger von Ritter Sport.

UTZ hin, bio her: Ritter Sport zahlt den nicaraguanischen Bauern einen guten Preis, allerdings weniger aus Solidarität als aus wirtschaftlichem Kalkül: So durften sich die Bauern 2012 über eine einmalige Sonderzahlung von 500 US-Dollar pro Tonne Kakao freuen – rund ein Sechstel des Gesamtpreises. Offiziell wurde die Prämie mit dem hundertjährigen Bestehen der Schokoladenfirma begründet. Aber allen Beteiligten war klar, dass dieses üppige Geburtstagsgeschenk gemacht wurde, um die Konkurrenz im Zaum zu halten. Denn diese hat schon einige Male versucht, die Preise von Ritter Sport zu überbieten – und Kakao direkt bei den Bauern zu kaufen. Das soll verhindert werden. Man hat bereits zu viel Zeit, Geld und Energie in das „Abenteuer“ Nicaragua investiert.

Um den Kakaonachschub zu sichern, geht man bei Ritter Sport daher neue Wege. Im Frühjahr 2013 hat das Unternehmen eine Fläche von rund 2.000 Hektar Weideland in der Region El Rama im Osten Nicaraguas gekauft. Dort soll nach Firmenangaben „ökologisch und sozial nachhaltig angebauter Kakao“ wachsen.

In vier Jahren will man die ersten Kakaofrüchte ernten. Dann soll der Anteil des Kakaos, den Ritter Sport aus Nicaragua bezieht, von unter fünf Prozent bis auf rund 30 Prozent ansteigen. Eine ungewöhnliche Maßnahme für einen Schokoladenproduzenten, der seinen wichtigsten Rohstoff bislang überwiegend über die Börse bezog. „Ritter Sport möchte unabhängiger von den Schwankungen an den Rohstoffmärkten werden, aber auch unabhängiger von den Folgen der Bürgerkriege in Westafrika, die zu Ernteausfällen führen“, begründet Elke Dietrich von Ritter Sport das Vorgehen des Unternehmens.

„Auf diesem Land könnten gut und gerne 100 Familien Biokakao produzieren“, kritisiert der in Nicaragua lebende Deutsche Gerd Schnepel das land grabbing durch Ritter Sport. Der Berater kleinbäuerlicher Familienbetriebe weist darauf hin, dass die Bauern den Kakao für Ritter Sport auch fermentieren, trocknen und selektieren. „Dieser Mehrwert fällt weg, wenn Ritter Sport selbst produziert“, so Schnepel.

■ Frank Herrmann ist Autor des Buches „Fair einkaufen – aber wie? Der Ratgeber für fairen Handel, für Mode, Geld, Reisen und Genuss.“ Die 4. komplett überarbeitete und erweiterte Auflage ist 2012 im Verlag Brandes & Apsel erschienen.