Syriens Exvize rechnet mit Assad ab

Der ehemalige stellvertretende Präsident Chaddam erhebt in einem Interview schwere Vorwürfe gegen Staatschef al-Assad im Mordfall Hariri und kritisiert dessen Politik. Das Parlament in Damaskus wirft dem Abtrünnigen prompt Hochverrat vor

AUS BEIRUTBERNHARD HILLENKAMP

Gut zehn Monate nach der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri hat der ehemalige Vizepräsident Syriens, Abdel Halim Chaddam, schwere Vorwürfe gegen Staatschef Baschar al-Assad erhoben. In einem Interview, das in Paris geführt und am Freitag im Fernsehsender al-Arabija ausgestrahlt wurde, beschrieb der Veteran der syrischen Politik auch detailliert wichtige Phasen der innen- und außenpolitischen Entwicklungen. Nun soll dem 73-Jährigen in seiner Heimat wegen Hochverrats angeklagt werden.

Assad habe bei einem Treffen mit Hariri in Damaskus gesagt, er werde „jeden zerstören, der versucht, unsere Entscheidungen zu verhindern“, schilderte Chaddam in dem Interview eine Begegnung der beiden Politiker wenige Monate vor dem Tod Hariris. Assad habe sich dabei auf die von ihm angestrebte Wiederwahl des prosyrischen Emile Lahoud in das Amt des libanesischen Staatspräsidenten bezogen, der sich Hariri widersetzt hatte. Chaddam wies zudem darauf hin, dass der syrische Geheimdienst eine Ermordung Hariris nicht an Assad vorbei hätte planen können.

Als Teil der so genannten alten Garde war Chaddam lange für Syriens Politik im Libanon zuständig. Außerdem gehörte er zum engen Kreise der Macht im Reich von Hafis al-Assad, dem Vater des seit 2000 regierenden Präsidenten Baschar al-Assad.

Chaddam führte aus, dass er mehrmals Studien zu Reformen in Syrien vorgelegt habe, „die dann aber in den Schubladen schliefen“. Bei seiner neuen Interpretation der Ideologie der regierenden Baath-Partei habe es sich um einen Versuch gehandelt, sich den Herausforderungen nach dem Ende der Sowjetunion und in den Zeiten der Globalisierung zu stellen.

Chaddam präsentierte sich als Reformer und zitierte dabei aus einem seiner Bücher: „Da sich bei mir die Überzeugung durchsetzte, dass es weder zu politischen, wirtschaftlichen noch administrativen Reformen kommen wird, trat ich zurück. Ich stand vor der Wahl zwischen Vaterland oder System, ich entschied mich für das Vaterland.“ Chaddam trat Anfang Juni 2005 von seinem Posten zurück.

Hinsichtlich der libanesisch-syrischen Beziehungen stellt Chaddam den bis zum Abzug der syrischen Truppen für den Libanon zuständigen General Rustum Ghazaleh als absoluten Herrscher des Nachbarlandes heraus. „Ich sagte Baschar, dass Rustum Ghazaleh Syrien schadet und er in einer unmöglichen Art und Weise mit der politischen Führung im Libanon umgeht,“ sagte Chaddam. Er erwähnte aber auch die polarisierende Rolle libanesischer Politiker um Präsident Emil Lahoud und Sicherheitschef Jamil al-Sayyid für die zunehmenden Spannungen zwischen beiden Ländern. Befragt nach den Gründen für diese Entwicklung nannte Chaddam einen „isolationistischen Herrschaftsstil, losgelöst von den verfassungsgemäßen Institutionen des Staates, die Fehlinterpretation der politischen Ereignisse in der Region und den impulsiven und reaktiven Führungsstil des syrischen Präsidenten“.

Die Reaktion im syrischen Parlament am Tag nach dem Interview war einhellig. Die Diskussion wurde im Fernsehen übertragen. Neben der Forderung nach einer Anklage wegen Hochverrats konzentrierten sich die Redner auf korrupte Machenschaften Chaddams und seiner Söhne. Illegaler Import von radioaktivem Müll, seine Restaurants und sein Reichtum wurden als Belege angeführt. Die Kritik an Baschar al-Assads Führungsstil, Chaddams Reformvorschläge oder die Rolle der Sicherheitsdienste wurden nicht erwähnt.

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