Da hilft nur Druck

TURNEN Matthias Fahrig hat sich oft selbst das Leben schwer gemacht. Jetzt ist er zurück bei der Europameisterschaft in Moskau und rechnet sich Chancen aus

„Fahrig ist nicht so stromlinienförmig, wie wir uns das vorstellen“

SPORTDIREKTOR WOLFGANG WILLAM ÜBER DEN TURNER DES JAHRES 2010, DER ZWEI JAHRE SPÄTER OLYMPIA VERPASSTE

AUS MOSKAU SANDRA SCHMIDT

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand Matthias Fahrig in der Qualifikationsrunde am Mittwoch in Moskau nicht. Noch nicht. Das wird sich am Wochenende ändern, denn er hat sich souverän in zwei Gerätefinals der EM geturnt. Ganz gelassen stand der Hallenser nach dem Wettkampf in der Mixed Zone und sagte dann, es sei wirklich wichtig, dass man „nicht im Vorfeld schon das ganze Pulver verschießt“. Den Überschlag mit Doppelsalto vorwärts hatte er gehockt gezeigt, für das Finale kündigte er die gebückte Version an, die einen höheren Schwierigkeitsgrad hat. „Da geht nichts mit leichten Sprüngen, da muss einfach Druck aufgebaut werden.“

Matthias Fahrig, von seinen Kumpels Matze genannt, wird im Dezember 28 Jahre alt, er kennt sich aus, hat eine ganze Reihe von Tiefen und Höhen in seinem Turnerleben bereits hinter sich gebracht. Immer wieder war er wegen disziplinarischer Vergehen im Gerede. Sein Lebenswandel passte nicht zu dem eines Hochleistungssportlers. Diese Zeit ist lange vorbei, selbst auf der Homepage des Verbands wird er nun als „Weltklasseturner und klasse Typ“ charakterisiert. Seine fünf internationalen Einzelmedaillen hat Fahrig bislang alle bei Europameisterschaften gefeiert: 2007 Bronze am Boden, 2009 Silber und 2010 Gold, zudem Silber und Bronze am Sprungtisch. Zu nicht wenigen deutschen Teammedaillen der letzten Jahre trug er seinen Anteil bei, zuletzt beim WM-Bronze 2010, dem Jahr, in dem er auch seine Ausbildung zum Fitnesskaufmann abschloss. 2004 war Fahrig, der mittlerweile als Beruf Sportsoldat angibt, auch schon mal bei den Olympischen Spielen, 2008 fehlte er, und auch im letzten Jahr zählte ihn Bundestrainer Andreas Hirsch nicht zu den besten fünf Turnern, wobei die Entscheidung denkbar knapp war. Daran erinnerte am Mittwoch DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam, der das Wort Comeback nicht gelten lassen mag: „Ich sehe das nicht als Comeback, er war ja nicht weg.“ Richtig, Matthias Fahrig war nicht weg, allein die mediale Aufmerksamkeit war weg.

„Viele kleine Fehler“

Wie auch immer: Jetzt ist Matthias Fahrig auch im internationalen Geschehen wieder dabei, und er wirkt gereift, ohne dabei jemals altklug zu klingen. „Da ist mir schon ein großer Stein vom Herzen gefallen,“ sagte er zu seiner Bodenübung. Auf der Fläche hatte er die zweitschwierigste Übung präsentiert, in einem hochklassigen Feld, das der junge Brite Max Whitlock anführt. Fahrig selbst hat aber auch „viele kleine Fehler“ gemacht, weshalb für das Finale gilt: „Es ist alles möglich nach oben hin.“ Nun wolle er erst mal über die zwei freien Tage kommen und dann „ordentlich Kette geben“. Hier habe er übrigens „unheimlich Schiss gehabt vor dem Wettkampf“, Druck verspürt. Der ist nun erst mal verschwunden.

Nun gilt es die Konzentration nicht zu verlieren, die Routinen beizubehalten – nach dem Motto: „Okay, ich habe jetzt noch eine halbe Stunde, gibt’s noch ’nen Kaffee oder machste dich warm mit Musik?“ Bei dieser unmittelbaren Vorbereitung auf die Übung mache sich schon bemerkbar, dass er fast ein Jahr auf keiner großen internationalen Bühne stand. „Du kannst schnell vergessen, was du so für Mittel hast, dich selber zu puschen“, sagt er. „Aber das läuft.“

Fahrigs Planung beschränkt sich aber keineswegs auf eventuelle weitere EM-Erfolge. Seine Bodenübung beschrieb er als „eine Übung, die international zeigbar ist“, das Maximum sei das aber „definitiv noch nicht“. Die „große Übung“, die Fahrig für die WM im Herbst vorbereitet, soll um einen halben Punkt höherwertiger sein, das wären 7,1 Punkte. Fahrig versucht zu erklären, und es klingt nicht einmal übermütig. Er hat die Konkurrenz im Blick und weiß, dass dies eine der schwierigsten Übung der Welt sein würde. Wolfgang Willam gab sich „persönlich erfreut“, dass Fahrig nun wieder international „angreifen kann“, kein Wunder, denn in Deutschland ist niemand in Sicht, der ihm an seinen Paradegeräten Konkurrenz machen könnte.

Matthias Fahrig steht ziemlich gern im Mittelpunkt, und seine sichtbare Freude, wenn es läuft auf der Bodenfläche und alle Blicke auf ihn gerichtet sind, die wird man ihm wohl am Wochenende wieder ansehen können.