Unterhauswahl in Großbritannien: Einmal alles anders, bitte

Vor der Wahl in Großbritannien ist der Wunsch nach Veränderung groß. Nur dass eine Partei sie bringt, hofft kaum jemand.

Wer nach dem 7. Mai den Premier in Großbritannien stellt, ist alles andere als klar Bild: reuters

CAMBRIDGE/ESSEX taz | Alte Gemälde prangen an holzvertäfelten Wänden, die schweren Eichentische sind beiseite geräumt. Im Fernsehen läuft an diesem Donnerstagabend die allerletzte Wahlkampfdiskussion mit den drei britischen Spitzenkandidaten: Der konservative Premierminister David Cameron, der liberale Vizepremier Nick Clegg und der Labour-Oppositionsführer Ed Miliband werden nacheinander von einer ausgewählten Zuhörerschaft im BBC-Studio von Leeds gegrillt.

Aber im großen, 200 Jahre alten Festsaal des King’s College der Universität Cambridge interessiert das nicht. Zu Hunderten lauschen Studenten, Professoren und Dozenten den fünf Wahlkreiskandidaten, die am kommenden Donnerstag auf ihrem Stimmzettel stehen werden.

King’s College Cambridge ist das prestigeträchtigste College der zweitbesten Universität der Welt. Es existiert seit 700 Jahren, aber es ist ein Zukunftslabor, immer auf der Suche nach Neuem. Es hat sechs Nobelpreisträger hervorgebracht, hier wurde der Keynesianismus erfunden und hier studierte der Autor Salman Rushdie.

Das Publikum an diesem Abend ist die Wissenselite von morgen. Nun haben die Politiker auf der Bühne – der liberaldemokratische amtierende Abgeordnete Julian Huppert und seine Herausforderer von Konservativen, Labour, Grünen und der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party – ihre Statements abgegeben, es ist Zeit für Fragen. Was will die Wissenselite wissen?

„Glauben Sie, dass der durchschnittliche Wähler in der Lage ist, eine informierte Entscheidung zu treffen?“, liest der Moderator als erste Frage vor. Die nächste, von einem Studenten am Saalmikrofon, bezieht sich auf mögliche Koalitionsverhandlungen nach der Wahl: „Wo haben Sie vor, sich zu kompromittieren?“

Von Miliband bleibt nur hängen, dass er ausrutscht

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Die Wissenselite fragt nicht die Parteiprogramme ab. Sie projiziert keine Erwartungen auf die Politiker. Sie hinterfragt.

Es ist schwer, die Antworten zu verstehen in dem kirchenartigen Saal mit dem langen hallenden Echo. Wir müssen halt gewinnen, sagen die Konservativen. Wir bilden notfalls eine Minderheitsregierung, sagt Labour. Wir werden einen Haufen Bedingungen stellen, freuen sich die Liberalen. Wir koalieren sowieso nicht, sagen UKIP und die Grünen.

Während in Cambridge die Kandidaten aus dem Wahlkreis sprechen, werden Cameron, Miliband und Clegg im BBC-Fernsehen auseinandergenommen. In der Öffentlichkeit bleibt vor allem hängen, dass Miliband am Ende fast vom Podium herunterfällt und dass die Politiker konkreten Fragen gekonnt ausweichen. Es bleibt dabei: Alle Umfragen deuten darauf hin, dass keine Partei am kommenden Donnerstag eine absolute Mehrheit bekommt. Konservative und Labour liegen ungefähr gleichauf, bei jeweils einem Drittel der Stimmen.

Für die meisten Briten sind die Auftritte der Spitzenpolitiker weit weg, Mediengeklingel, Hintergrundgeräusch. Britische Wahlkämpfe sind lokale Angelegenheiten. Die Parteichefs agieren nicht auf der Straße, sondern im Fernsehen. Selbst diese Auftritte sind choreographiert, das Publikum vorab ausgesucht. Man wählt hier schließlich keine Parteilisten und schon gar keinen Regierungschef, sondern einzig und allein einen Wahlkreisabgeordneten.

Ed Miliband lässt kaum ein Fettnäpfchen aus Bild: reuters

Wie sieht dieser Wahlkampf von unten aus? Im boomenden Speckgürtel nördlich von London, hoch nach East Anglia, in den Osten Englands hinein, müsste das doch für die Konservativen ein Spaziergang sein. Die Wirtschaft entwickelt sich prächtig, manche Wahlkreise sind seit Jahrhunderten konservativ. Nur in Universitätsstädten binden dort Labour und auch Liberale die Wählerschaft.

Cambridge ist in vielerlei Hinsicht das England von morgen. Hier ist die globalisierte Spitze von Wissenschaft und Technik versammelt, hier findet Großbritanniens Klimaforschung und Biotechnologie statt, hier wird die Zukunft gestaltet, nicht nur an der Universität sondern auch in unzähligen Innovations-Clustern. Die Stadt wächst rasant, ihre 125.000 Einwohner dürften sich in zwanzig Jahren verdoppeln. Arbeitslosigkeit gibt es kaum. Aber der Boom bringt seine eigenen Probleme: Zu wenig erschwinglicher Wohnraum, die Stadt platzt aus allen Nähten, ganz neue Satellitenstädte müssten her, ökologischer Städtebau. Gäbe es in England Schwarz-Grün, hier wäre es zu Hause.

Seit 2005 hat Cambridge einen liberalen Abgeordneten; davor war es dreizehn Jahre lang Labour, davor die Konservativen.

Auf dem Podest im Saal des King’s College sitzen nun vier weiße Männer und eine indischstämmige Frau. Die Männer kommen von den Liberalen, den Grünen, Labour und UKIP. Die Frau mit Migrationshintergrund – das ist die Konservative.

Wer ruft dazu auf, aus Cambridge einen „globalen Standard für eine grünere, fairere und nachhaltigere Gesellschaft“ zu machen? Die Konservative.

Alles prallt ab

Chamali Fernando, 36 Jahre alt, scheint aus einer Hochglanzbroschüre für moderne multikulturelle Politik entsprungen. Schon seit zwölf Jahren ist sie Barrister, das sind die Rechtsanwälte, die im angelsächsischen System vor höheren Gerichten auftreten. Sie berät die Koalition für einen Internationalen Umweltgerichtshof, die globale Ökostandards einklagbar gestalten will. „Wir sind der globale Sitz der Gelehrsamkeit“, ruft sie in den Saal hinein. Es gehe darum, „von Cambridge aus die Welt im Kampf gegen Klimawandel und Kinderarmut zu führen“.

An den Studenten prallt so etwas ab wie eine Predigt. Der wuselige amtierende liberale Abgeordnete Julian Huppert, ein englischer Sarkozy auf Daueradrenalin mit rotem Bärtchen und permanent hitzegeröteten Wangen, und der hochgewachsene weißhaarige Labour-Kandidat Daniel Zeichner, der auch dann Ruhe ausstrahlt wenn er sich aufzuregen versucht, ignorieren die kleine Chamali Fernando, die man für eine Studentin halten könnte, komplett. Nach der Konservativen gefragt, sagt Zeichner im Gespräch: „Ich will nicht unhöflich sein.“ Huppert sagt: „Viele Konservative kommen jetzt zu mir und sagen, sie würden mich wählen.“

Schwingt da Rassismus mit?

„Wenn ich an den Haustüren frage, was das größte Problem ist, wenden manche Wähler den Blick ab“, erzählt Fernando. „Dann sagen sie: Nichts gegen Sie. Aber die Einwanderung …“

Selbst Konservative spüren: Das Alte zieht nicht

In Umfragen liegen die Liberalen in Cambridge vorn, die Konservativen abgeschlagen bei 17 Prozent. Die Zukunftsstadt Großbritanniens will von der rechten Regierungspartei auch dann nichts wissen, wenn sie die auf den ersten Blick zukunftsträchtigste Kandidatin aufstellt.

Selbst die Konservativen spüren: Das Alte zieht nicht mehr. Es herrscht, das ist in allen Lagern zu spüren, der Wunsch nach Veränderung. Selbst wo die Wirtschaft boomt, wird das Leben immer schwieriger. Wohnraum wird knapper und kaum noch bezahlbar, Arbeitswege immer länger und teurer. In einer zunehmend flexiblen und prekären Arbeitswelt wird die englische Fixierung auf Wohneigentum zum Anachronismus, der vielen Menschen den gesellschaftlichen Anschluss verwehrt.

Gibt es das also noch, das konservative England? Auf dem flachen Land ist East Anglia wohlgenährt. Hier leben wohlhabende Agrarunternehmer und reiche Pendler auf der Suche nach Idylle und Platz, hier ist die Welt in Ordnung. Rund 15 Kilometer außerhalb von Cambridge ruht das Dörfchen Linton am Fluss Granta in der Frühlingssonne. In den blühenden Büschen zwitschern die Vögel, Wasser plätschert, Kinder spielen auf der Blumenwiese an der Kirche neben jahrhundertealten Bäumen. An der Wirtshaustheke wird gedämpft über Fußball philosophiert, die Grundschullehrerin korrigiert am Stammtisch schweigend Hefte ihrer Schüler.

Premierminister David Cameron beschwört seine Anhänger Bild: reuters

Im Saal in der Dorfvolkshochschule drängeln sich am Abend gut 150 Menschen aller Altersgruppen, um sich die Kandidaten ihres Wahlkreises South East Cambridgeshire anzusehen. Man erwartet konservative Fragen nach dem Erhalt des Bestehenden. Es kommt vor allem Kritik. „Warum sind die Schulen unterfinanziert und was können Sie dagegen tun?“, fragt als erstes eine Lehrerin. Cambridgeshire ist landesweites Schlusslicht bei den Bildungsausgaben pro Kind. „Was verursachte die Wirtschaftskrise?“, will einer wissen, und ein alter Mann, der seine Worte sorgsam wählt, sagt: „Ist Einwanderung positiv und vorteilhaft gewesen, und wie wollen Sie sicherstellen, dass die Auswirkungen vorteilhaft bleiben?“ Allgemeines Schmunzeln.

Nicht einmal UKIP-Kandidatin Deborah Rennie traut sich da, etwas gegen Einwanderung zu sagen. „Einwanderung ist nicht schlecht“, sagt sie, „es geht einfach um die Menge.“

Die einzige andere Frau auf dem Podium in Linton ist die Konservative, wie in Cambridge. Und es ist eine Juristin, wie in Cambridge: Lucy Frazer, die jüngste Kronanwältin des Landes – die höchste Kategorie von Juristen in England. Das Karrierebewusstsein ist ihr ins Gesicht geschrieben, trotz des gewinnenden Lächelns. Aber anders als ihre Kollegin in Cambridge macht Frazer den Eindruck, als sei sie sich nie sicher, dass sie ihren Text wirklich richtig auswendig gelernt hat. Zu keinem Zeitpunkt schafft sie, etwas von sich selbst zu vermitteln.

Auf die Frage „Was würden Sie am liebsten zum Besseren verändert sehen?“ haben alle anderen klare Antworten: UKIP will die EU verlassen, Labour will „Gleichheit“, die Liberalen „Gerechtigkeit“, die Grünen wollen, „dass der Staat Geld schafft und nicht die Banken“. Und die Konservative? „Ich werde Ihre Wahlkreisabgeordnete sein“, hebt Frazer an, als sei das schon eine Antwort. Dann stammelt sie, die lokalen Unternehmer sollten an der Spitze beim Abrufen von Subventionen liegen.

Keine Leidenschaft, kein Ziel

Lucy Frazer muss nichts Vernünftiges sagen. Sie wird sowieso gewählt, und Abgeordnete für South East Cambridgeshire haben meist eine große Karriere vor sich. Ihr Vorgänger, der jetzt in den Ruhestand geht, saß fast 30 Jahre im Parlament und brachte es bis zum Staatssekretär für Landwirtschaft. Frazer betont ihre Erfahrung als Juristin, Interessen anderer zu vertreten. Sich mit diesen Interessen zu identifizieren, hält sie für unnötig. Ihre Wähler sind für sie Mandanten.

Frazers Schwäche ist die Schwäche David Camerons: Er hält sich mit einiger Berechtigung für den besten Premierminister, den das Land zu bieten hat, aber er füllt das Amt nicht mit Leidenschaft, er formuliert kein Wahlziel außer der Wiederwahl. Reicht das?

Diese Leidenschaftslosigkeit der Konservativen müsste den Rechtspopulisten von UKIP die Arbeit erleichtern. Auf dem Zenit seines Ruhms, nach dem Sieg bei der Europawahl 2014, strahlte UKIP-Chef Nigel Farage all das aus, was die Konservativen in Cameron vergeblich suchen: Volksnähe, Witz, Klarheit. Die „Volksarmee“ schickte sich an, die „Altparteien“ hinwegzufegen und Großbritannien durch den EU-Austritt zu befreien.

Aber Farage, der zum Jahreswechsel dem Alkohol entsagte, wirkt heute geschrumpft und kleinlaut wie seine ganze Partei. Zurück bleiben viele unzufriedene Wähler.

Stark ist UKIP noch immer in einigen Regionen, etwa im Raum zwischen dem Boomgebiet Cambridge und der Weltstadt London, in der Grafschaft Essex, wo traditionell die Arbeiterreserve der Hauptstadt herkommt, endlose Schlafstädte, viel Verelendung. Die Trennlinie zu London, politisch wie topographisch, ist der Autobahnring M25 mit seinen bis zu acht Spuren. Ist London nahezu überall zugebaut, erscheinen hinter der M25 auf einmal grüne Felder mit Ponys und Kleinstädte mit Englandfahnen in den Vorgärten.

Der erfolgreiche Rechtspopulist Nigel Farage Bild: dpa

In Benfleet im Wahlkreis Castle Point, am Nordufer der Themsemündung in die Nordsee, liegt UKIP in den Umfragen bei 36 Prozent dicht hinter der konservativen Wahlkreisabgeordneten Rebecca Harris. „UKIP wirft all seine Ressourcen in unsere Gegend“, sagt die und wirkt überarbeitet. „Für UKIP ist alles ganz einfach: Alles Schuld der Einwanderer.“

Der Polier Lee O’Brian, 56 Jahre alt, will die Rechtspopulisten auf jeden Fall wählen. „75 Prozent der Bauarbeiter in meinem Gewerbe sind inzwischen Osteuropäer, die weniger Geld verlangen.“ Für ihn ist das schlecht. Für den 54-jährigen Lkw-Spediteur Michael King neben ihm ist es hingegen gut. „Ich habe fünf Fahrer aus Osteuropa, sie kommen nie zu spät, melden sich immer und arbeiten richtig“, widerspricht er mit der dunklen Stimme eines Rauchers. „Wenn ich Engländer einstelle, arbeiten sie drei Tage gut und das war’s dann.“

In Benfleet gibt es kaum Einwanderer. Der Anteil steigt mit jedem Haltepunkt auf der Eisenbahnlinie nach London. Zwei Wahlkreise weiter, in Thurrock, sind es schon fast 20 Prozent. Und hier liegt UKIP in den Umfragen vorn.

SNP vor historischem Erfolg

Mitten in der Fußgängerzone von Grays, der größten Stadt im Wahlkreis, bietet ein Feinkostladen Delikatessen aus Osteuropa an. Die rumänische Verkäuferin Elena Nistor lebt seit vierzehn Jahren in England. Sie kennt die Vorurteile vieler Engländer gegen Osteuropäer: Sozialschmarotzer, Arbeitslose, Betrunkene. Aber das sieht sie alles eher bei den Engländern, sagt sie. Zur UKIP-Forderung, den Zuzug aus der EU zu stoppen, lacht sie spöttisch: „Und wer soll dann bitte hier die Steuern zahlen?“ Der Widerstand gegen UKIP ist inzwischen mindestens so stark wie UKIP selbst. Die Rechtspopulisten sind schließlich nicht mehr die einzige Antipartei.

In Schottland stehen die Nationalisten von der SNP, die vergangenes Jahr nur knapp mit einer Volksabstimmung zur Unabhängigkeit scheiterten, vor einem historischen Umsturz: Sie könnten Labour fast alle schottischen Wahlkreise abnehmen und damit jede Hoffnung auf eine eigene Mehrheit. Die telegene und auch in England durchaus beliebte SNP-Chefin Nicola Sturgeon bietet Labour eine Koalition an. Labour sagt: nein.

Der Machtanspruch der SNP hat auch den englischen Wahlkampf befeuert. Für die Konservativen ist die Angst davor, dass eine Partei, die in England gar nicht antritt, in London mitregieren könnte, eine mächtige Wahlkampfwaffe. In jedem Kneipengespräch erscheint dieses Szenario früher oder später. Die Grünen wiederum sehen sich als englisches Pendant der SNP und der walisischen Nationalpartei Plaid Cymru in einer „progressiven Allianz“, die Labour auf den richtigen Weg zurückführen, die Sparpolitik beenden und große Probleme angehen will, wie Klimawandel.

Für die Grünen ist das CO2 das, was die EU für UKIP ist: Weg damit und alles wird gut. Sie wollen die Wirtschaft auf den Kopf stellen und die ganze Gesellschaft neu aufbauen. Das mag alles heillos irreal sein, aber die Leute hören die positive Utopie lieber als Unheilswarnungen. Schwer sind die Zeiten sowieso, das müssen einem nicht noch Politiker sagen.

Das Besondere ist das Besondere an diesem Wahlkampf: Wenn Politiker konkrete Versprechungen und Ankündigungen machen, glaubt ihnen niemand. Es geht darum, wie ehrlich die Leute sind, die sich vor einen hinstellen und behaupten, sie täten nichts lieber als im Londoner Unterhaus zu sitzen.

Keine Xenophobie

„Wahres Glück ist, wenn man seine Nische im Leben findet und sich das bezahlt macht“, philosophiert die Konservative Fernando bei der Wahlkampfdiskussion in Cambridge. „Warum müssen wir auf eine Krise warten bis wir sagen, dass es ein Problem gibt? Es ist Zeit für den Wandel“, findet die UKIP-Frau Rennie in Linton. „Ich möchte die Menschen ermächtigen“, sagt der liberale Abgeordnete Huppert. „Meine Passion ist soziale Gerechtigkeit“, behauptet sein Labour-Herausforderer Zeichner. „Die jungen Leute wissen, dass die alten Parteien sie enttäuscht haben“, meint der Grünen-Kandidat dazu.

Auf den Wahlversammlungen gibt es keine Xenophobie, auch nicht von rechts. „Fairness“ nennen die meisten Kandidaten als ihr wichtigstes Prinzip. Gefragt werden sie nach politischen Reformen, nach dem Verhältnis zwischen Parteipolitik und individuellem Gewissen. Die Kandidaten der großen Parteien werben damit, wie oft sie der Parteilinie nicht folgen. Es geht um Ideale, um das Gute.

Aber der progressive Konsens hat keine parteipolitische Heimat, schon gar nicht Labour. Man sieht der größten Oppositionspartei an, dass sie verbraucht ist. Ihr Parteichef Ed Miliband hat keine Aura, man wartet immer auf seinen nächsten Fehltritt, die Wahlkreiskandidaten in dieser Region sind Produkte von Gewerkschaftsbürokratie mit wenig Ausstrahlung. Wer links sein will, grenzt sich von Labour ab. Und von den Liberalen erst recht, anders als 2010, als ihr Parteichef Nick Clegg kurzzeitig die große Hoffnung auf Veränderung verkörperte – bevor er dann mit Cameron eine Koalition bildete.

Während die Konservativen lauter Frauen aufstellen, sind die Kandidaten der Liberalen in dieser Region alles Männer, sie haben die teuersten Anzüge, die lautesten Stimmen. Sie sind gewissermaßen die Schwaben der englischen Politik, die sich unermüdlich anstrengen und eifrig irgendwas tun wollen, aber vergessen, dass der Rest des Landes ihre Sprache nicht versteht.

Wenn SNP und Grüne Labour von links vor sich hertreiben wollen und UKIP von rechts die Konservativen, wird Wahlkampf eine kuriose Blütezeit von Utopien. „Das kleinere von zwei Übeln zu wählen, ist immer noch ein Übel. Wählt doch was Gutes“, fordert Grünen-Kandidat Read, selbst Philosophiedozent, die Studenten im Festsaal von Cambridge auf. Der Spruch der Grünen: „Vote for what you believe in“ – folge deinen Überzeugungen. Sogar manche Konservative haben ihn übernommen. Und an sonnigen Nachmittagen in ruhigen Cambridger Pubs, wenn die Rentner leise klönen, bevor abends die lärmenden Studenten einfallen, unterhalten sich einige darüber, ob man nicht auch mal UKIP wählen könne, wenn andere Leute schon für die SNP stimmen. „Warum nicht?“, finden sie. Als gönne man sich verbotenerweise eine Süßigkeit.

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