Ungewollter Totalitarismus-Touch: Der Kaisen ohne Brille

In Bremen wurde am Dienstag eine Statue des Nachkriegs-Bürgermeisters Wilhelm Kaisen eingeweiht. Dumm nur, dass das Denkmal Stalin ähnelt.

Fatales Bärtchen: Skulptur von Wilhelm Kaisen, rechts dessen Nachfolger Jens Böhrnsen. Bild: Benno Schirrmeister

BREMEN taz | Bei schwülem Wetter hat gestern Bürgerschaftspräsident Christian Weber am Eingang zur Bremer City ein Denkmal enthüllt, das aussieht wie Stalin, aber an den Bremer Nachkriegs-Bürgermeister Wilhelm Kaisen erinnern soll. Gestaltet hat es die Wardenburger Bildhauerin Christa Baumgärtel, die auch die Schöpferin des Seehundes vorm Lübecker Naturkundemuseum ist.

Der jetzige Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hat eine sehr persönlich-nostalgische Rede darüber gehalten, wie sehr der Willem in seinem heimatlichen Werften- und Hafenarbeiter-Stadtteil verehrt wurde: Schließlich war es Kaisen, der aus den USA bald nach dem Krieg eine neue Schiffsbau-Erlaubnis mitbrachte. Und: „Wir haben“, sagt Frank Laukötter, der Direktor des Paula-Modersohn-Becker-Museums und Mitglied der 13-köpfigen Denkmaljury, „großen Wert darauf gelegt, dass man Wilhelm Kaisen erkennen kann“, also, dass historisches Vor- und bronzenes Standbild einander ähneln. Mimesis ist der Fachbegriff für dieses Nachbild-Verhältnis.

Es ist ein bisschen, als wäre den Rednern unangenehm, wenn damit etwas nicht stimmen sollte. Und so ist Weber, der auch Vorsitzender der Wilhelm-Kaisen-Bürgerstiftung ist, ganz erleichtert, als die Kaisen-Tochter Ilse sagt, „Da stehste gut, Vadder“, nach der Enthüllung. Er übersetzt es ins Mikro, „Sie hat gesagt: Da stehste gut, Vadder“, damit alle das mal gehört haben. Beugt sich dann noch einmal runter zu ihr, sie sitzt im Rollstuhl, und möchte es ganz genau wissen: „Aber er ist doch gut getroffen, oder? Er ist ihm doch ähnlich?“

Was für eine Frage! Sie weicht da ein bisschen aus, schaut ihn etwas hilflos an, sehe halt nicht mehr so gut, naja, in der Art: Das wird nicht wiederholt und verstärkt, Weber winkt ab. Und es ist ja auch ein dolles Gedränge um die sockellose Figur. „Herzlichen Glückwunsch, Bremen, zu diesem Denkmal“, hatte Laukötter geendet, „und herzlichen Glückwunsch Wilhelm Kaisen zum 125. Geburtstag.“

Der Konsens ist breit

Es ist ein Seltsames mit Denkmalen: Sie sollen Kunst sein, aber eben auch künstlerisch doch so irrelevant, dass möglichst niemand sich ärgert. Und bei der Einweihung geht’s dann genau darum, die Lücken und Differenzen zuzukleistern, wo sich ästhetische Debatte entzünden könnten. Der Konsens ist breit, Handelskammer, Tourismus-Fuzzis, Bezirks- und Landespolitik spielen alle zusammen. „Ein Denkmal für einen demokratischen Politiker“, sagt Weber sehr zurecht, „ist immer schwierig.“ Schließlich ist ja auch Demokratie nicht einfach.

Aber eben, beim Einweihen, sollen die Differenzen weg sein, verschwinden. Das größte Kaufhaus am Platz hat dem neuen Denkmal schon Wochen vor der Enthüllung ein Schaufenster eingerichtet – mit Mini-Repliken. Die Heimatzeitung hat jeden Schritt der Denkmal-Genese verfolgt und flächig rapportiert, von der Auftragsvergabe übers Gießen bis zum Transport – immer im Lokalteil, nie im Feuilleton, das kritisieren könnte.

Die Botschaft lautet: Wir alle wollen das Denkmal. Und das Denkmal ist gut. Und es hat gut zu sein, weil ja auch der Mann gut war. Das ist in diesem Fall ja sogar einmal ganz unzweideutig wahr: Kaisen, am 22. Mai 1887 in Hamburg-Eppendorf geboren, Arbeiterjung, Bremer SPD-Größe schon neben Friedrich Ebert, in den 1920ern Chefredakteur einer der politischen Zeitungen der Stadt, Abgeordneter, Senator bis zur Machtergreifung der Nazis, dann als Selbstversorger-Bauer im Dörfchen Borgfeld, am Rande der Stadt. Kurz nachdem die Alliierten ihn als Bürgermeister einsetzen, gemeindet er’s ein.

Kaisen ist auch bundesrepublikanisch eine wichtige Figur – viel mehr als Max Brauer (SPD) oder Kurt Sieveking (CDU), seine Kollegen aus dem viel größeren Hamburg, ähnlich eher wie Ernst Reuter (SPD), der Berliner Regierende. Und von enormer Prägekraft für Bremen. Bis 1965 bleibt er Präsident des Senats. Den bildet er, aus Prinzip, als Koalitionsregierung, meist sozial-liberal, obwohl er sich in vier seiner sieben Amtszeiten auf eine absolute SPD-Mehrheit hätte stützen können. Bei der bundesrepublikanischen KPD-Verfolgung hielt er sich eher raus. Der Wiederaufbau der Stadt gilt als sein großes Werk. Manche vermuten zwar, wenn er dem Land seinerzeit mehr Speckgürtelfläche erworben hätte, wäre der finanzielle Niedergang seit den 1980ern nicht so dramatisch ausgefallen. Aber zu ahnen war das nicht. Ein tadelloser Mann – wenn auch ohne besonders einprägsame Physiognomie.

Die Frage, ob ein Kunstwerk gelungen ist, ähnelt jener nach der Ähnlichkeit. Sie ist aber nicht identisch mit ihr: Auch Unähnlichkeit ist, mindestens in einer christlich geprägten Kunst, stets eine eigenständige Qualität gewesen – schließlich musste die ja immer die herrliche Unsterblichkeit durch einen gefolterten Toten darstellen, oder den allmächtigen Gott durch ein nacktes Baby. Und selbst jene Gattungen, die doch auf ein Überwiegen der Ähnlichkeit verpflichtet schienen – wie Porträts –, werden mit Beginn der Moderne grundsätzlich anders bewertet: Das äußere, von der Person bewusst als eine Maske ihrer selbst gestaltete Erscheinungsbild des Modells „zerstört der große Künstler in einem Augenblick“, schreibt Marcel Proust in der „Recherche“. „Stattdessen gruppiert sein Auge die Züge der Person um“, bis sie einem inneren Typus entspricht, einer idealen Vorstellung. Der Ausruf: „Comme c’est peu ressemblant!“ – wie unähnlich es ist! – wird so zum höchsten Lob eines Porträts. Es gelingt, weil es ähnlich ist – durch Unähnlichkeit.

Durch Benjamins Brille

Ganz schön voraussetzungsvoll, diese Bremer: Ob sie wirklich davon ausgehen, dass die City-BesucherInnen allesamt Proust, womöglich durch Walter Benjamins Brille gelesen, präsent hätten? Künstlerin Baumgärtel rückt ihre Brille zurecht, bevor sie dem Bürgermeister – der die randlose mit Gleitsicht-Gläsern trägt – eine Mappe mit ihren Skizzen überreicht. Die Sache mit der Ähnlichkeit wäre im Grunde zweitrangig: Ein Bild von Kaisen im Kopf haben selbst Bremer Schulkinder selten, auswärtige schon gar nicht, und die Erwachsenen, die ihm noch die Hand schütteln durften, tendieren Richtung Rente. Warum soll man nicht an diesen etwas krummrückigen Bronzemann mit Ernst-Thälmann- oder Helmut-Schmidt-Mütze denken, wenn der Name fällt? Beim Paladin Roland weiß ja auch niemand, wie er in echt aussah.

Zum Problem wird Ähnlichkeit erst, sobald sich eine Beziehung zu einem falschen Vorbild einstellt: Zur stalinistischen Kulturpolitik gehörte die Idee, das Bild des Diktators zu verbreiten, massiv. In jeder Stadt sollte Stalins Monument stehen, heißt es in Johannes R. Bechers schmieriger Stalin-Hymne. Das Risiko, in dem Bremer Mann mit Bart einen Sowjet-Führer in sympathischem Habitus zu sehen – es mag, so weit im Westen, überschaubar sein. Man hätte es ausschließen können: Kaisen war ein konsequenter Brillenträger. Er trägt sie – auf fast allen Foto-Dokumenten.

Auf die Brille aber hat Baumgärtel verzichtet. War das klug? „Es ist verständlich“, sagt Kunsthistoriker Arie Hartog, Direktor des auf figürliche Bildhauerei spezialisierten Bremer Gerhard-Marcks-Hauses, auch er ein Mitglied der Jury. Und auch er ein Brillenträger. „Vielleicht wäre das mal ein gutes Ausstellungsthema“, sagt er. Denn: „Eine Brille ist sehr selten in der Plastik.“ Gerade dadurch hätte sie allerdings die Verwechslungsgefahr minimiert. Zumal skulptural als Brillenträger nur Sympathen gefasst wurden – von denen Salvador Allende der problematischste gewesen sein mag. Die anderen sind James Joyce – und Mahathma Gandhi.

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