80-jähriger Schachstar Viktor Kortschnoi: "Wer frech wird, den will ich bestrafen"

Viktor Kortschnoi, einst "der Schreckliche", ist auch mit 80 Jahren Weltklassesportler. Der Schachspieler kann Garri Kasparow nur eines nicht verzeihen: Dass er jetzt mit Karpow befreundet ist.

Strafende Hand in schwarz-weiß. Bild: Ian Sane | CC-BY

taz: Herr Kortschnoi, wie alt fühlt sich der älteste Leistungssportler, der noch der Weltelite Paroli bieten kann?

Viktor Kortschnoi: Ich akzeptiere gerne alle Komplimente, aber dieses behagt mir weniger. Früher wurde mir wegen meiner Leistungen applaudiert - heute wegen meines Alters und wegen meiner Verdienste.

Wie fit fühlen Sie sich nach mehr als 5.000 Turnierpartien?

VIKTOR KORTSCHNOI "Schach ist mein Leben", schreibt Viktor Kortschnoi im Vorwort seiner Autobiografie. Die trägt den verräterischen Titel "Meine besten Kämpfe", denn Schach, das war immer vor allem Kampf für "Viktor den Schrecklichen". Deswegen mag die aktuelle Nummer drei der Schweiz nur eines in seiner Wahlheimat nicht: "Die Neutralität. Ich will von ihr nicht angesteckt werden."

Am Mittwoch feiert der älteste aktive Großmeister in Wohlen im Aargau seinen 80. Geburtstag, aber denkt auch nach sechs Jahrzehnten in der Weltspitze seines Sports nicht ans Karriereende - trotz Hörgerät und Gehstock. Die Konkurrenz des dreifachen Vizeweltmeisters, der 1976 aus der Sowjetunion flüchtete, mit dem US-Exzentriker Bobby Fischer inspirierte sogar ein Musical: "Chess" wurde von Benny Andersson und Björn Ulvaeus (Abba) komponiert. (taz)

Am Brett: gut. Nur davor gibt es ein riesiges Problem: Bis vor fünf Jahren erhielt ich noch zahlreiche Turniereinladungen. Neuerdings muss ich aber sogar Seniorenturniere gegen alte Männer ab 60 spielen, um überhaupt mal ans Brett zu kommen.

Beim letzten Turnier in Gibraltar erhielten Sie bei der Siegerehrung stehende Ovationen. Sie schlugen unter anderem den Italiener Fabiano Caruana. Er ist die Nummer eins der Junioren und Weltranglisten-25. der Herren. Mit seinen 18 Jahren könnte er Ihr Urenkel sein.

Diesmal konnte ich zeigen, dass ich ihn noch schlagen kann. Ich kam aber wegen mehrerer Patzer nicht über Unentschieden hinaus. Normalerweise müsste ich acht statt sechs Punkte holen und Zweiter oder Dritter werden.

Macht Ihnen das Alter am Brett schwer zu schaffen?

Ich habe oft eine strategisch gewonnene Stellung und lehne mich zurück - die Partie ist aber noch lange nicht beendet, während ich sie schon abhake. Mein Kopf will nicht mehr. Caruana ließ ich auch zunächst entschlüpfen, anstatt ihn einfach und schnell zu erledigen. Alles braucht Energie. Es liegt auf der Hand, dass die Ziele im Alter geringer ausfallen. Man muss aber wie in jungen Jahren ehrgeizig bleiben. Tigran Petrosjan hat angeblich einmal gesagt: "Mit dem Ehrgeiz von Kortschnoi würde ich ewig Weltmeister bleiben."

Wären Sie inzwischen weniger ehrgeizig, wenn Sie einmal den WM-Titel erobert hätten?

Bis 1981 wollte ich Weltmeister werden. Die dritte Niederlage gegen Karpow war so schrecklich, - das wollte ich nie mehr spüren!

Garri Kasparow schlug für Sie Ihren Erzfeind Anatoli Karpow. Er hörte aber auch mit 42 auf. Undenkbar für Sie?

Kasparow kann ich nur eines nicht verzeihen: dass er jetzt mit Karpow befreundet ist. Er besitzt keine Prinzipien. Wie kann ich mit jemand befreundet sein, der einem so viel Schlechtes zufügt hat? Aufzuhören, weil man Weltmeister war, das klingt nach Bobby Fischer, nicht nach Viktor Kortschnoi. Bei mir hören nur die Schüler immer auf, wenn sie Großmeister sind. Ich bin auch ohne Weltmeister-Titel zufrieden. Ich will mehr Schach spielen und junge Leute schlagen.

Zuletzt waren Sie sogar in einem russischen Verein Mannschaftskamerad von Karpow. Werden Sie im Alter milde?

Er ist nicht mein Kamerad. Ich sehe Karpow zwar nicht als Symbol allen Übels - aber Kamerad? Nein, Kamerad existiert nicht in meinem Wortschatz.

Ein Taxifahrer hat mir eben erzählt: "Früher ist Kortschnoi stramm die zwei Kilometer zum Bahnhof marschiert. Heute sieht man ihn am Wegesrand ein Päuschen einlegen. Oder fährt gleich mit uns."

Ein Hexenschuss setzt mir zu. Jetzt benötige ich einen Stock zum Spazierengehen. Das ist schwach. Fürs Turnierschach bräuchte ich mehr Kraft und Fitness. In dieser Beziehung muss ich unbedingt mehr machen. Ein Trimmrad habe ich auf jeden Fall schon mal gekauft.

Früher haben die Gegner "Viktor den Schrecklichen" gefürchtet. Ist der Respekt weg?

Die sehen natürlich den alten Mann mit dem Gehstock kommen, der sich mühsam auf die Toilette schleppt - aber am Brett sitze ich noch meine fünf Stunden. Vor dem Turnier lief mir in Gibraltar der Moldawier Bologan über den Weg. "Wollen Sie wirklich spielen?", fragte er mich keck. Die Antwort gab ich ihm dann am Brett, auch wenn ich traurig war, dass er mir ins Remis entwischte! Wenn einer frech wird, habe ich schon noch den Willen, ihn zu bestrafen. [grinst] Sein Pech bestand darin, dass er in Runde drei auf mich prallte und nicht erst in Runde neun, wenn ich kaputt bin.

Werden Sie auch noch mit 100 Jahren am Brett sitzen? Wollen Sie dort sterben?

Da müsste ich bis zum letzten Matt spielen. Ich traue mir aber durchaus zu, 98 zu werden.

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