Bürgerentscheid Mediaspree: "Die Arroganz zu Hause lassen"

Beim Streit um Mediaspree sind die Fronten so verhärtet, dass nur noch ein externer Mediator helfen kann, sagt der HU-Forscher Olaf Schnur. Er warnt vor der Privatisierung weiterer öffentlicher Räume.

OLAF SCHNUR ist Geograf an der Humboldt-Uni und beschäftigt sich mit sozialer Stadtentwicklung.

Am 13. Juli stimmen die Wahlberechtigten in Friedrichshain-Kreuzberg über die Zukunft des Großprojekts Mediaspree ab. Die Initiative, die das Bürgerbegehren angestoßen hat, fordert den Verzicht auf Hochhäuser sowie einen 50-Meter-Mindestabstand von der Spree für Neubauten. Der Bezirk lehnt diese Forderungen ab. Heute will der Verein Berliner Wirtschaftsgespräche bei einer Schifffahrt Investoren und Politiker zusammenbringen. Die Gegner protestieren ab 17 Uhr mit vielen kleinen Booten. Treffpunkt ist die Strandbar Kiki Blofeld in der Köpenicker Straße.

taz: Herr Schnur, am Thema Mediaspree scheiden sich nicht nur die Geister, die Fronten von Gegnern, Befürwortern und Bezirk sind völlig verhärtet. Inzwischen sagen manche Parteien Gesprächsrunden schon im Vorfeld ab. Woran hapert es?

Olaf Schnur: Die Interessensgruppen sprechen aneinander vorbei. Die Planer argumentieren auf der "Berlinebene", sie haben die langfristige gesamtstädtische Entwicklung und Chancen für die Wirtschaft im Blick. Da geht es um städtebauliche Funktionen, etwa das geplante Investitionsgebiet von der Innenstadt bis hin zum Großflughafen BBI. Aus flächennutzerischer Sicht sind die Argumente der Investorenseite ebenso nachvollziehbar. Die Bürgerinitiative hingegen sieht den Spreeabschnitt aus der Mikroperspektive ihrer Lebenswelten. Für sie spielen der Alltag eine Rolle und ihre Ängste. Dazu kommen die kapitalismuskritischen Argumente der linken Szene, die angesichts der Situation durchaus ihre Berechtigung haben.

Die Bürgerinitiative ist mit ihren Ängsten nicht allein. 16.000 Unterschriften haben die Aktivisten innerhalb kurzer Zeit gegen geplante Großprojekte an der Spree gesammelt. Sind die Sympathisanten Opfer einer Panikmache?

Ich finde gewisse Befürchtungen absolut berechtigt. Es könnte tatsächlich zur Gentrifizierung kommen …

also zur baulichen und sozialen Verdrängung der angestammten Bevölkerung.

Der typische Baubestand in den umliegenden Straßenzügen ist da. In Teilen des Wrangelkiezes und um das Schlesische Tor hat sich in den letzten Jahren schon einiges verändert. Der Boden für Gentrifizierung ist bereitet. Die jungen, gut verdienenden Beschäftigten in den an der Spree angesiedelten Unternehmen sind auch die, die abends in die Szenekneipen gehen wollen. So fängt das langsam an. Investoren und Makler entdecken das Gebiet, Spekulationen, Mietsteigerungen und Verdrängungen können folgen. Um das Ganze wissenschaftlich zu fundieren, wären allerdings genauere Untersuchungen notwendig.

Veränderungen in der Stadt wird es immer geben.

Ja, wer möchte schon in einer Großstadt wohnen, die sich gar nicht verändert? Auch der Wandel macht Berlin aus. Und Entwicklung kann auch positiv sein. Schauen Sie sich die Gegend ums Schlesische Tor an: Ein schönes Quartier, sehr urban, multiethnisch, mit viel Charme. Früher war das ein Geheimtipp, jetzt ist die Independent- und Mainstreamszene da angekommen - eine allmähliche Aufwertung, aber bisher ohne Verdrängung. Das ist okay. Jetzt spitzt sich das aber zu: Postmoderne Office-Welten gegen "Kiez", das sind richtige Fronten. Mit Laptop und iPhone beim Sushi am Görli, so ein Szenario kann sich dann schnell aufdrängen.

Wie sieht es mit der Sorge um die öffentlichen Räume am Wasser aus?

Es wäre fatal, würde man das Wasser faktisch von der Stadt abschirmen. Das wäre eine Provokation. Die Frage ist, wie die Pläne konkret umgesetzt werden. Vor einer weiteren Privatisierung öffentlicher Räume kann ich nur warnen. Zwischennutzungen hingegen sind per se temporär. Daran festzuhalten zu wollen, finde ich grenzwertig.

Wer ist eigentlich für die Planung verantwortlich, wer ist der Adressat für die Wut der Mediaspree-Gegner?

In Berlin ist das kompliziert. Der Senat vertritt die Interessen und erstellt den Flächennutzungsplan. Der Bezirk als "Kommune" entwirft den Bebauungsplan, ist aber nicht autonom. Letztlich legt er im Detail fest, wo gewohnt und wo gearbeitet werden darf. Allerdings entscheiden die Planer nicht mehr wie vor 50 Jahren im stillen Kämmerchen, sondern tauschen sich mit den Investoren aus - was nicht zuletzt durch die öffentlich-privaten Kooperationen deutlich wird. Und das ist ja praktisch beim "Regionalmanagement Mediaspree" der Fall.

Der Staat gibt faktisch Teile seiner Planungshoheit ab. Kann er da noch Politik für alle machen?

Es ist eine Grundsatzdiskussion. Einige wollen zurück zum starken Staat mit viel Geld, der gestalten konnte. Jetzt ist der Staat aber pleite. Über die Gründe sollte man diskutieren, aber: Man muss mit der Sache kreativ umgehen. Man sollte sehen, dass man Unternehmen als Partner gewinnt, und darauf achten, dass Bürger partizipieren können. Letzteres sollte die Politik mehr als bisher gewährleisten. Eine Entdemokratisierung der Stadtentwicklung, das sollten wir nicht akzeptieren.

Was heißt das für einen möglichen Weg aus dem Dauerstreit um Mediaspree?

Die Lösung kann nur ein Dialog sein zwischen Anwohnern und Investoren. Dazu braucht es einen von beiden Seiten anerkannten Mediator, der klärt: Worüber reden wir eigentlich? Wer hat was zu verlieren? Die gegnerischen Parteien müssen sich dabei schon auch bemühen. Arroganz, Ignoranz und Konfrontationssymbole sollten beide Seiten einfach einmal zu Hause lassen.

Eigentlich ist die Vermittlung eine Aufgabe der Politik.

Absolut. In diesem Fall aber ist auch der Bezirk wohl zu sehr in die Entwicklung eingebunden, als dass er von den Gruppen noch als objektiv betrachtet würde. Ich plädiere wirklich für eine externe Lösung.

Und wenn das nicht gelingt?

In der im Moment verfahrenen Situation würde die Gegeninitiative meiner Einschätzung nach den Kürzeren ziehen - die Investoren dürften den längeren Atem haben. Ich kann mir sogar vorstellen, dass einige Spekulanten erst durch die mediale Aufregung jetzt auf das Gebiet aufmerksam werden.

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