Schluss mit den Shitstorms

INTERNET Weiße, heterosexuelle Männer dominieren das Internet – wie ohnehin alle Medien. Frauen werden niederträchtig fertiggemacht. Anke Domscheit-Berg, Netzaktivistin und Streiterin für Geschlechterdemokratie, will das ändern. Bloß wie?

■ Geboren 1968 in Premnitz, studierte internationale Betriebswirtschaft, arbeitete anschließend als Unternehmensberaterin für Kinsey und Microsoft, bis sie sich 2011 als Unternehmerin von fempower.me und opengov.me selbständig machte. Sie lebt mit Mann und Sohn in Brandenburg.

■ Engagiert sich netzpolitisch und lobbyistisch mit verschiedenen Initiativen für bessere Chancen weiblicher Führungskräfte sowie mit Open Government (Öffnung und Transparenz von Regierung und Verwaltung). 2009 zuletzt Gast beim taz.lab (30. taz-Geburtstag).

■ Kandidiert 2013 als Mitglied der Piratenpartei für ein Mandat im nächsten Bundestag. CIN

INTERVIEW CANSET ICPINAR

taz.lab: Frau Domscheit-Berg, können Sie Ihre These konkretisieren? Anke Domscheit-Berg: Eine von Wikipedia kommunizierte Statistik besagt, dass dort der Männeranteil bei etwa 85 Prozent liegt. Das Wissen der Welt wird durch Männer grundiert. Ständig gibt es Diskussionen über die Relevanz von Artikeln zu Frauen oder weiblichen Themen – bis hin zu deren Löschung. Entscheiden Frauen denn nichts mit? Männer beherrschen die Diskussion und erreichen immer wieder, dass Artikel nach ihrer Auslegung geändert werden. Lange gab es im Artikel zum Kindesmissbrauch geradezu päderastische Rechtfertigungen. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall, aber ähnliche Geschichten gibt es immer wieder. Frauen werden verdrängt? Ob Verdrängung das richtige Wort ist, weiß ich nicht. Frauen werden oft schon in der Diskussion nicht gleichwertig zugelassen. Im Internet wird die Gesellschaft eins zu eins repliziert, Männer schreiben die Leitartikel, die meisten Chefredakteure sind Männer. Dabei gäbe gerade das Netz die Möglichkeit, das anders zu machen. Stattdessen wird alles schlimmer, weil man nicht nur den offiziellen Posten nicht bekommt, sondern noch eins unter die Gürtellinie. Das beschränkt Frauen in ihrer Meinungsfreiheit. Wie …? … wenn irgendwo das Wort Feminismus fällt, kommen umgehend sexistische Kommentare. Diese Erfahrung machen viele Frauen, auch ich. Man könnte das auch auszuhalten lernen …… das ist eine absolut unzulässige Forderung. Ich weiß nicht, wie viele Männer regelmäßig nach einer Meinungsäußerung gesagt bekommen „dein Schwanz ist zu klein, dich müsste einer mal ordentlich von hinten vergewaltigen“. Ein Zeit-Redakteur hat mir mal erzählt, dass 92 Prozent aller widerlichen Feedbacks von Männern stammen. Warum sollen das Frauen aushalten müssen? Wie wollen Sie gegensteuern? Man muss moderieren! Freiheit hat also Grenzen? Ich bin kein Freundin von Zensur, aber wenn ein Nichtmoderieren dazu führt, dass Menschen aus Furcht vor Konsequenzen ihre Meinungen nicht äußern, ist das auch eine Form von Zensur. Ich appelliere besonders an Männer, klare Position zu beziehen, wenn sie auf sexistische Kommentare von Geschlechtsgenossen stoßen. Wie zum Beispiel? Total spannend finde ich die Aktion #Aufschrei auf Twitter. Ausgehend von einem einzigen Artikel berichten Tausende Frauen über ihre Erfahrungen von Alltagssexismus. Über die Veröffentlichungen von Julia Schramm waren auch Frauen erschrocken, da nur jene, die sich mit ihrer Meinung exponieren, diese Erfahrungen machen. Ohne diese breiten Debatten wird es keine gesellschaftliche Veränderung und Kulturwandel geben. Gibt es hierfür nützliche Projekte? Es gibt hatr.org, wo sexistische Kommentare veröffentlicht werden. Reicht das, sich aufs Internet zu beschränken? Ja, weil es ums Internet geht. Ich würde mir wünschen, dass sexistische und menschenverachtende Kommentare auch von Medienwebsites mit dem Hinweis gelöscht werden, dass diese an hatr.org geschickt wurden. Sie sind für Sanktionen? Sanktion? Irgendwie schon. Sexisten finden es schlimm, wenn ihre Kommentare nicht veröffentlicht werden. Einzelne Frauenblogs sind schon Partner von hatr.org. Was spricht denn dagegen, dass große Medien und Blogs mitmachen? Man muss das Problem sichtbar machen. Frauen also vor Demütigungen schützen? Ja, das macht den Charme von hatr.org aus. Es zeigt das Problem in seinem Ausmaß, macht die Angreifer lächerlich und schützt die Frauen als Betroffene. Was ist mit anderen Minderheiten? Ich möchte eine Diskriminierung nicht gegen eine andere aufrechnen, davon abgesehen sind Frauen die Mehrheit. Natürlich ist meine Sensibilisierung als Frau eine andere, als ich sie hätte, wenn ich etwa ein Mann mit einer nichtweißen Hautfarbe wäre. Man sollte jedes Problem gesondert betrachten. Es gibt ja auch Hunger auf der Welt – und in Relation dazu dürfte man auch nicht mehr über Sexismus sprechen.