Faktencheck Griechenland: Rotzfrech gelogen

Nach dem Scheitern der Verhandlungen wurde Erstaunliches behauptet, vor allem von der EU. Manches stimmt schlicht nicht.

Frau vor einem an die Häuserwand gepinseltes „Nein“

Tsipras will abstimmen lassen, obwohl die Angebote so gut waren? Ganz so stimmt das nicht. Foto: dpa

BRÜSSEL/FREIBURG taz | Offiziell gibt es keinen Vorschlag der Gläubiger an Griechenland mehr. Die Verhandlungen seien von Athen einseitig abgebrochen worden, das letzte Angebot sei daher nicht mehr gültig, sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem am Samstag.

Dennoch will Premier Alexis Tsipras über den letzten Vorschlag aus Brüssel abstimmen lassen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker behauptet, die Gläubiger hätten Tsipras ein 35 Milliarden Euro schweres Investitionspaket angeboten.

Was stimmt denn nun? Was stand wirklich im Verhandlungspaket von Freitag? Dijsselbloem schweigt. Juncker hingegen, der sich um eine Verständigung in letzter Minute bemühte, hat starke Thesen in die Welt gesetzt.

Behauptung Nr. 1: Der Vorschlag enthielt „ein Wachstumsprogramm mit 35 Milliarden Euro speziell für Griechenland.“

Dafür findet sich kein Beleg. Die Offerte unter dem schönen Titel „A new start for growth and jobs“ war nicht Teil der Verhandlungen mit der Troika, sondern sollte offenbar nach dem Ja aus Athen hinzugefügt werden. Glaubt man den Dokumenten, die die Bundesregierung dem Bundestag zur Zustimmung geschickt hat, so handelt es sich auch nicht um ein Griechenland-Paket. Vielmehr geht es um förderfähige Zuschüsse, die alle EU-Länder bekommen können.

Behauptung Nr. 2: Griechenland muss seine Renten nicht kürzen.

Das ist eindeutig falsch. Schon die Rahmenvereinbarung der Gläubiger von Anfang Juni, die im Kanzleramt in Berlin ausgehandelt worden war (mit Juncker, ohne Tsipras) sah Einsparungen im Rentensystem in Höhe von einem Prozent der Wirtschaftsleistung vor.

Juncker hat sich zwar dafür eingesetzt, dies ohne direkte Kürzungen etwa bei den kleinsten Renten zu machen. Doch in den “Prior actions“, die die EU-Kommission selbst ins Internet gestellt hat, ist von einem sofortigen Abbau eines Solidaritätszuschlags (EKAS) die Rede. Auch die geforderte zügige Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 ist eine – wenn auch indirekte – Rentenkürzung.

Behauptung Nr. 3: Es waren Erleichterungen bei den griechischen Staatsschulden geplant.

In den Dokumenten findet sich davon keine Spur. Vor allem Berlin sperrte sich bis zuletzt gegen die Forderung nach einem Schuldenschnitt oder einer Umschuldung. Mehr als vage Verweise auf eine alte, nie umgesetzte Zusage der Eurogruppe von 2012, über die „Tragfähigkeit“ der Schulden zu reden, wollten die Gläubiger nicht machen.

Am deutschen Nein zu einer spürbaren Entlastung bei den Schulden hat sich bisher offenbar nichts geändert. Von einem „Kompromiss“, von dem Juncker sprach, kann also keine Rede sein. Bestenfalls hätte Tsipras noch einige kleine Details an dem Deal verändern können. Am Samstag müsse Schluss sein, warnte Kanzlerin Angela Merkel. Doch anstatt dieses Ultimatum zu erfüllen, wählte Tsipras die Flucht nach vorn – und setzte sein Referendum an. (ebo)

Kann Athen gegen einen Euro-Ausschluss klagen?

Finanzminister Giannis Varoufakis hat angekündigt, Griechenland werde sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen einen Ausschluss aus der Währungsunion wehren. Insbesondere müsse die Europäische Zentralbank (EZB) zusätzliche Notkredite gewähren.

Ein Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone wäre grundsätzlich unzulässig. Dagegen könnte Griechenland erfolgreich klagen. Ein solcher Ausschluss ist aber nicht geplant, weshalb die Klageankündigung Varoufakis’hier reine Rhetorik ist.

Griechenland könnte aber gezwungen sein, eine Ersatzwährung einzuführen, wenn die EZB die Versorgung griechischer Banken mit Euro einstellt. Auch gegen eine solche Entscheidung der EZB könnte Griechenland beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Jüngst hat der EuGH entschieden, dass auch die unabhängige Zentralbank rechtlicher Kontrolle unterliegt, ihr jedoch ein „weites Ermessen“ eingeräumt.

Die EZB hat die Regeln zur Gewährung von Notkrediten bereits weit zugunsten Griechenlands ausgelegt. Konservative EZB-Kritiker halten die jüngsten Notkredite der EZB gar für rechtswidrig. Es besteht wohl kein griechischer Anspruch darauf, dass die EZB weiter Übergangskredite gewährt, wenn sie die griechischen Banken nicht mehr für zahlungsfähig hält. (chr)

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