Göttingens Polizei ist zu neugierig: Berichten verboten

Jahrelang hat Göttingens Polizei Daten von Demonstranten an andere Dienststellen und an den Verfassungsschutz weitergegeben. Das war rechtswidrig.

Foto: (dpa)

HAMBURG taz | Die Praxis der Polizeidirektion Göttingen, Berichte über Demonstrationen samt Namen und Daten des Anmelders routinemäßig an andere Polizeidienststellen und den niedersächsischen Verfassungsschutz weiterzugeben, war rechtswidrig. Das hat die Polizeidirektion vor dem Göttinger Verwaltungsgericht (VG) eingeräumt. „Die fünf Verfahren sind allesamt von den Beteiligten für abgeschlossen erklärt worden“, bestätigte Dieter Wenderoth, Sprecher des Verwaltungsgerichts, der taz. Die Kosten der Verfahren übernehme die Polizei.

Der Göttinger Anwalt Sven Adam war auf das Vorgehen der Göttinger Polizei gestoßen als er einen Demo-Anmelder in einem Verfahren vertreten hatte. Sein Mandant tauchte in einem Bericht über eine Demonstration auf, der an das Lagezentrum des niedersächsischen Innenministeriums, zahlreiche Polizeidienststellen sowie an den niedersächsischen Inlandsgeheimdienst in Hannover geschickt worden war.

Adam beantragte Akteneinsicht und stöberte so 25 weitere solcher Verlaufsberichte aus den Jahren 2009 bis 2013 auf. Alle waren mit Namen, Anschrift und zum Teil mit Handynummern der Demo-Anmelder versehen. Die Art der Demonstration – ob Antifa-, Autonomen- oder Friedensdemo, ob Lichterkette oder Mahnwachen – spielte dabei keine Rolle. Es spielte auch keine Rolle, ob die Proteste friedlich verliefen oder ob es Ausschreitungen gab. Die Polizei Göttingen listete außerdem auf, welche Medienvertreter anwesend waren. Reporter liefen so also Gefahr, im Rahmen ihrer Berichterstattung über Proteste selbst in den Akten Verfassungsschutzes aufzutauchen.

Seit April 2014 sind drei Klagen vor dem VG Göttingen anhängig, im Januar 2015 reichte Adam zwei Klagen von Betroffenen nach. Adam sieht in dem Vorgehen der Polizei einen rechtswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Außerdem unterlaufe die standardmäßige Weitergabe von Polizeiberichten an den Verfassungsschutz das Trennungsgebot für Polizei und Inlandsgeheimdienst (siehe Kasten).

Die Polizeidirektion Göttingen hat mindestens zwischen 2009 und 2013 Demonstrations-Verlaufsberichte mit personenbezogenen Daten der Anmelder erfasst und an andere Dienststellen weitergeben.

Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten ist eine derartige Erfassung zumindest fragwürdig, wenn die Veranstaltung friedlich verlaufen ist.

Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Inlandsgeheimdienst, das die Alliierten nach dem weiten Weltkrieg wegen der Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Deutschland auferlegten, ist in den vergangenen Jahrzehnten zwar löchrig geworden, die ungefilterte und unaufgeforderte Datenübermittlung personenbezogener Daten ist aber immer noch unzulässig.

Die Polizeidirektion Göttingen erklärte vor dem VG Göttingen nun, „dass die Weitergabe der personenbezogenen Daten in der im Antrag der Klage (...) beschriebenen Weise unzulässig war“. Die Polizei Göttingen werde diese Daten löschen und „an diejenigen Stellen herantreten, an die die Übermittlung erfolgte und diese um die Löschung der personenbezogenen Daten (...) ersuchen, soweit dies nicht bereits geschehen ist“. Laut Göttingens Polizeipräsident Uwe Lührig ist diese routinemäßge Praxis, die 2013 eingestellt worden sein soll, nur noch in „Ausnahmefällen zulässig“.

Die Initiative „Bürger beobachten die Polizei Göttingen“ befürchtet, dass auch andere Polizeidirektionen in Niedersachsen an den Verfassungsschutz berichten. „Es gibt eine landesweite Komponente“, sagte eine Sprecherin. Im Juni wurde etwa bekannt, dass der Verfassungsschutz den Lüneburg-Celler IG- Metall-Sekretär Lennhard Aldag von 2011 bis 2013 beobachtet hat, weil er für IG Metall und den Deutschen Gewerkschaftsbund Region Nordost-Niedersachsen Demonstrationen des „Bündnisses gegen rechts“ und gegen Castor-Transporte angemeldet hatte. (taz berichtete) Der Verfassungsschutz erklärte sich nicht bereit, alle Daten zu löschen oder seinem Anwalt Akteneinsicht zu gewähren.

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