Doch kein Landesverrat

PRESSEFREIHEIT Bundesanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org ein: Es wurde kein „Staatsgeheimnis“ veröffentlicht. Die Journalisten fordern mehr Auskünfte

Können aufatmen: Markus Beckedahl (l.), Andre Meister Foto: dpa

Von Christian Rath

KARLSRUHE/BERLIN taz | Die Bun­desanwaltschaft hat die Landesverrats-Ermittlungen gegen Markus Beckedahl und Andre Meister vom Blog Netzpolitik.org eingestellt. Das teilte die Justizbehörde am Montag mit. Auch gegen die unbekannte Quelle wird nicht mehr wegen Landesverrats, sondern nur noch wegen „Verletzung von Dienstgeheimnissen“ ermittelt. Ausgelöst wurde die Affäre durch zwei Artikel, die Meister im Februar und April auf Netzpolitik.org veröffentlichte. Er belegte anhand von vertraulichen Dokumenten, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine neue Referatsgruppe mit 75 Mitarbeitern eingerichtet wurde. Aufgabe sei die „Massendatenauswertung“ von Online-Kommunikation. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen erstattete darauf Strafanzeige. In einem Gutachten erklärte das BfV die veröffentlichten Papiere zu Staatsgeheimnissen. Der damalige Generalbundesanwalt Harald Range eröffnete deshalb Mitte Mai ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen Beckedahl, Meister und die unbekannte Quelle.

Nun hat die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wieder eingestellt. Es bestehe kein ausreichender Anlass zur Erhebung einer Anklage. Weder liege ein Staatsgeheimnis vor, noch hätten Beckedahl und Meister die Absicht gehabt, mit ihrer Veröffentlichung der Bundesrepublik zu schaden. Laut Gesetz liegt dann ein Staatsgeheimnis vor, wenn Tatsachen „vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden“.

Die Bundesanwaltschaft macht in ihrer Mitteilung deutlich, dass die Einstellung des Verfahrens auf ihrer eigenen Einschätzung beruht, also nicht nur eine Weisung des Justizministeriums ist. Am Donnerstagabend hatte das Ministerium der Bundesanwaltschaft allerdings eine rund 15-seitige „fachliche Einschätzung“ übersandt, wonach es sich bei den fraglichen Dokumenten um keine Staatsgeheimnisse handelt.

Damit haben sich die Bundesanwaltschaft und das Ministerium über die anders lautende Ansicht des Verfassungsschutzes hinweggesetzt. Auch ein von Range im Juni beauftragter Gutachter hatte angedeutet, dass er zumindest bei Teilen der Dokumente von einem Staatsgeheimnis ausgehe. Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte Range gedrängt, nicht auf das Gutachten zu warten. Im Streit darum war Range letzten Dienstag entlassen worden. Nach taz-Informationen war als Gutachter Jan-Hendrik Diet­rich vorgesehen, ein Rechts­professor aus dem Bereich Nachrichtendienste der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.

Im Raum steht jetzt nur noch die Frage, ob Dienstgeheimnisse verletzt wurden. Hierfür ist nicht mehr die Bundesanwaltschaft zuständig, sondern die Staatsanwaltschaft vor Ort, vermutlich in Berlin. Beckedahl und Meister haben nicht mehr viel zu befürchten. Journalisten können sich seit 2012 durch die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses nicht mehr wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machen. Eine eventuelle Strafverfolgung könnte sich allerdings gegen die Informanten richten.

„Die Einstellung ist schön und längst überfällig“

Markus Beckedahl

Beckedahl nannte die Einstellung „schön, längst überfällig“. Aber er wolle doch wissen, ob und wie die Redaktion in letzter Zeit überwacht wurde. Range hatte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zwar solche Maßnahmen ausdrücklich ausgeschlossen. Möglich wäre bei Verdacht auf Landesverrat allerdings auch eine Überwachung durch den Verfassungsschutz. Hierzu wollte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums keine Auskunft geben.

Nach der Entlassung von Range agiert derzeit dessen Stellvertreter Gerhard Altvater als Generalbundesanwalt. Der von Maas vorgeschlagene Nachfolger Peter Frank muss noch von Bundesregierung und Bundesrat bestätigt werden und wird sein Amt wohl erst im Oktober antreten.

Mitarbeit: Malte Kreutzfeld Meinung + Diskussion