Roma-Siedlung im Kosovo: Wer von hier kommt, hat nach Auffassung von Union und SPD keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland Foto: Fabian Biasio/Agentur Focus

Sichere Herkunft?

BALKANDie Große Koalition will das Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklären und damit die Ablehnung von Asylbewerbern aus diesen Ländern vereinfachen. Sollten die Grünen im Bundesrat zustimmen?

JA

Triage heißt das Verfahren in der Medizin, wenn bei einem Katastrophenfall oder in der Notaufnahme entschieden werden muss, welchen Patienten zuerst geholfen werden kann. Und welchen erst einmal nicht, weil für die vielen Behandlungsbedürftigen zu wenig Ressourcen zur Verfügung stehen. Ein Konflikt, der ethisch schwierig ist, aber unvermeidbar.

So ähnlich muss man sich die Situation in der Asylfrage vorstellen. Priorität hat die Aufnahme von Flüchtlingen aus Staaten wie Syrien, wo Kriegshandlungen die Menschen bedrohen. Niemand weiß, wie viele von ihnen in den nächsten Monaten kommen werden, weil die Kämpfe auf bisher verschonte Provinzen wie Latakia übergreifen oder weil der IS Richtung Damaskus vorrückt.

Vielleicht kann Deutschland jährlich 500.000 von ihnen aufnehmen, vielleicht auch mehr. Sicher ist aber: Wenn Deutschland viele politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge aufnehmen will, kann es nicht auch unbegrenzt Menschen aufnehmen, die in wirtschaftlich schwierigen Situationen leben. Schon die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge wird vor allem Menschen mit geringem Einkommen belasten. Sie trifft die dadurch wachsende Konkurrenz um Wohnungen und Billigjobs am härtesten. Wer die Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge in Deutschland erhalten will, sollte sie nicht überstrapazieren.

Deshalb ist es richtig, das Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Die Einwanderung aus diesen Staaten ist vor allem wirtschaftlich motiviert. Daher liegt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kein Asylgrund vor. Die Ausnahmefälle können auch nach einer Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ Asyl in Deutschland bekommen. Für die übrigen 99 Prozent ermöglicht die Einstufung entweder zügigere Verfahren – oder einen Abschreckungseffekt. Die Ressourcen, die dadurch frei werden, können für die Flüchtlinge benutzt werden, die die Hilfe am dringendsten benötigen: die aus Syrien. MARTIN REEH

NEIN

Vor knapp einem Jahr wurden die ersten drei Balkanstaaten zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Mittlerweile ist klar: In der Praxis hat der Schachzug, das Grundrecht auf Asyl auszuhebeln, kaum Auswirkungen – die Anzahl der Menschen aus diesen Ländern, die Asylanträge stellen, ist fast gleich geblieben. Das ist auch kein Wunder, weil die Situation in den Herkunftsländern eben keine sichere ist. Der Plan der Bundesregierung ist vor allem Symbolpolitik. Die Botschaft ans In- und Ausland: Wir setzen Grenzen.

Schlimm ist, dass diese Symbolpolitik genau die falschen Signale sendet. Wir lassen die rein, denen es wirklich schlecht geht, wird damit suggeriert, die Syrer etwa – und wir lassen die draußen, die „Asylmissbrauch“ begehen. Das sind nach dieser Lesart etwa Roma vom Balkan, von denen viele auch aus den drei neuen Ländern kommen. Auch dort werden sie diskriminiert, leben häufig in Slums, haben kaum Zugriff auf medizinische Versorgung, die Kindersterblichkeit ist höher und ihre Lebenserwartung deutlich niedriger als im Durchschnitt. Die Bundesregierung jedoch kennzeichnet diese Menschen mit der Regelung der sicheren Herkunftsstaaten als „Wirtschaftsflüchtlinge“, die den Deutschen nur auf der Tasche liegen wollen und kein Recht darauf haben, hier zu sein. So wird eine Stigmatisierung ganzer Nationalitäten betrieben – was darin gipfelt, dass Bayern zwei Sonderlager einrichtet, in die nur Menschen aus dem Balkan sortiert werden. Hat irgendwer was von historischer Verantwortung gesagt?

Gerade jetzt, wo Zehntausende in Deutschland ankommen, kann es nicht darum gehen, Kontingente für gute und schlechte Geflüchtete zu diskutieren. Was diskutiert werden muss, sind Fragen der Verteilung und des Zusammenlebens. Und was konkret die Asylsuchenden vom Balkan betrifft, geht es etwa um Einwanderungsmöglichkeiten jenseits von politischem Asyl. Die zu schaffen wäre der Job der Politik – und nicht, immer weiter Ressentiments zu schüren. PATRICIA HECHT

taz.fluchthilfe