Als sie den Film befreiten

WERKSCHAU Wenn das revolutionäre Jahr 1968 auch auf der Leinwand Wirkung zeigte, hat das auch mit der nicht eben langlebigen „Hamburger Filmmacher Cooperative“ zu tun. Die würdigt nun ausgiebig das Sprengel-Kino in Hannover

Revolutionäre setzen sich in Szene: Die Hamburger Filmmacher Cooperative vor dem „Studio 1“, der späteren „Filmmacherei“ Foto: Bernard Larsson

von Wilfried Hippen

Der Penis spricht: In einer extremen Nahaufnahme wird der Schlitz an der Spitze so bewegt, dass er wie ein Mund wirkt – einigermaßen synchron zu den gesprochenen Gesetzestexten zu Filmförderung und -zensur. Das hat etwas von einem smarten Pennäler-Streich, und genau so funktionierte „Besonders Wertvoll“ vom Hamburger Filmemacher Hellmuth Costard dann auch im rebellischen Jahr 1968: Ein paar Jahre zuvor, 1962, war bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen im berühmten Manifest postuliert worden, „Opas Kino“ sei tot. Aus dem Programm flog Costards Provokation nun aber ausgerechnet in Oberhausen. Daraufhin zogen fast alle deutschen Filmemacher ihre Filme zurück, und die Folge des Skandals war, dass die Hamburger Teilnehmer im Jahr darauf gefeiert und mit Preisen überhäuft wurden. Oberhausen war im Vergleich zu Hamburg, wenn nicht der Opa, dann doch der prüde Vater.

In Oberhausen wollte man den möglichst modernen, aber dann doch auch guten Film zeigen und pflegen. Jene jungen Hamburger gingen dagegen viel radikaler vor, um eine neue Art zu finden, mit Bildern umzugehen. Das Erzählkino interessierte sie nicht, für sie war der Film eine Kunstform, und sie wollten frei von jeglichen kommerziellen Gesichtspunkten arbeiten. Weil sie um die 1962 in New York von Jonas Mekas gegründete „Film-makers Cooperative“ wussten, nannten sie sich „Hamburger Filmmacher Cooperative“; angeblich war das sogar der Ursprung des Wortes „Filmemacher“, das ein paar Jahre später im Duden auftauchte.

Drehen, vorführen und diskutieren

Mit dem Ladenlokal „Studio 1“ in der Hamburger Neustadt, das dann bald in „Filmmacherei“ umbenannt wurde, hatte die Gruppe ein Zentrum, in dem sie Filme machen, zeigen und vor allem darüber diskutieren konnte. Schon im Jahr vor der Coop-Gründung hatten die „Filmmacher“ einen geschickt inszenierten und in den Medien bejubelten ersten Auftritt gehabt: In einem „Film-in“ zeigten sie 72 Stunden lang Under­ground-Filme. 1968 organisierten sie dann die erste „Hamburger Filmschau“, wohl das erste unabhängige Filmfestival Deutschlands, zu der auch die damals noch unbekannten Regisseure Wenders und Fassbinder Filme schickten.

„Wer sich für einen Filmmacher hält, hebt die Hand!“ war die Aufforderung bei einer der frühen Versammlungen. Zu den Coop-Mitgliedern zählte Werner Nekes, der eigens deswegen nach Hamburg gezogen war. Er teilte sich 1968 einen Bambi für „moderne Filmkunst“ immerhin mit Jean-Luc Godard und wurde zu einem der radikalsten Experimentalfilmer der Republik. Die Trickfilmer Helmut Herbst und Franz Winzentsen wiederum hatten schon Trailer für das NDR-Fernsehen entworfen (“Mumien, Monstren, Mutationen“) und finanzierten damit surrealistische Animationsfilme. Bazon Brock war der Theoretiker der Gruppe, die vielen linken Studenten zu formalistisch war: Als „Kuchenfilmer“ wurden die Mitglieder beschimpft, weil sie ihre Themen oft im Privaten suchten. Ruhender Pol und Geschäftsmann war Werner Grassmann, der später das bis heute existierende Abaton-Kino betrieb.

Der Coop-Verleih mit mehr als 200 Kurzfilmen rechnete sich nie und erste Zersetzungsprozesse fingen schon 1969 an, als es wegen der Gestaltung des Plakats zur zweiten Hamburger Filmschau zu einer Schlägerei innerhalb der Gruppe kam. Eine Fraktion spaltete sich später ab und gründete eine „sozialistische Filmmacher Cooperative“. Ironischerweise passierte das aus kommerziellen Gründen: Die politischen Filme, die diese Fraktion mitnahm, wurden viel öfter bestellt als die anderen. Die Cooperative bestand noch bis 1972 fort, aber bezeichnenderweise kann heute niemand mehr genau sagen, wann und wie sie sich endgültig auflöste.

Wie kommt es aber dazu, dass jetzt eine Retrospektive in Hannover veranstaltet wird? Dies fragten sich auch viele der damaligen Mitglieder, die zum Teil gar nicht wussten, dass ihre Filme überhaupt noch existieren. Ein Teil der Antwort: Betrieben wird das Kino im Sprengel in der hannoverschen Nordstadt von der „Film & Video Cooperative“, die schon seit 1992 die Tradition der Hamburger weitergeführt hat, ohne um diese Vorläufer überhaupt zu wissen.

Filme sogar vom Dachboden

Peter Hoffmann ist eines der Gründungsmitglieder und insofern forschte er auch den eigenen Anfängen nach, als er mit den Recherchen begann und zuerst einen Haufen von alten Programmheften und Katalogen aufstöberte. In der Kinemathek des Hamburger Metropolis-Kinos entdeckte er dann einige der Hamburger Coop-Filme, andere schickten ihm Künstler oder Archive, und sogar auf Dachböden fanden sich noch ein paar. Daraus hat Hoffmann ein Programm mit zwölf Veranstaltungen und über 75 Filmen kuratiert, das am Freitag beginnt.

Lutz Mommartz‚„Selbstschüsse“ ist ein Vorläufer der Selfies: Der Filmende richtet die Kamera auf sich selbst. Bernd Upnmoor hat mit „Die Anzeige“ gleich eine Heiratsannonce für sich selbst inszeniert, und Nekes montiert in „Jüm-Jüm“ ein schaukelndes Mädchen mit Dopplungen,Vertauschungen, Verfremdungen. Ob menschliche Ausscheidungen oder die Hamburger Demonstrationen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke: Die Filmmacher schritten mit derselben Radikalität zu Werke. So frei war das Kino selten.

25. 9. bis 5. 12., Kino im Sprengel, Hannoverwww.kino-im-sprengel.de