Aktionsplan für Vetternwirtschaft

Filz Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will Vergabe von Geldern aus dem Roma-Aktionsplan vom Landesrechnungshof prüfen lassen. Mitarbeiterin der Integrationsverwaltung hatte persönliche Beziehungen zu von ihr geförderten Vereinen

Transparenz geht anders: Im Wohnprojekt der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft für Roma-Familien in der Harzer Straße in Neukölln Foto: Steffi Loos/ddp

von Susanne Memarnia

Die Grünen wollen die Vergabe von Geldern aus dem Roma-Aktionsplan durch die Integra­tions­verwaltung vom Landesrechnungshof überprüfen lassen. Sie werde in Kürze einen Brief aufsetzen und auch die Staatsanwaltschaft informieren, sagte die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann der taz. „Was wir hier erleben, hat mit Transparenz nichts zu tun.“

Die Abgeordnete Susanna Kahlefeld kritisiert, die Verwaltung vergebe Aufträge von Hunderttausenden Euro „nach Gutsherrenart“: ohne Ausschreibung, Evaluation und Kontrolle würden Vereine berücksichtigt, die keine Qualifikation vorzuweisen hätten – außer ihren persönlichen Beziehungen zu den entscheidenden Stellen.

Eine Menge Geld

Die Geschichte begann damit, dass eine frühere Mitarbeiterin der Integrationsverwaltung über Jahre zuständig für einen Verein namens Südosteuropa Kultur e. V. war, bei dem ihr Ehemann sowie kurzfristig auch die Lebensgefährtin ihres Sohnes beschäftigt waren. Im Sommer 2014 verließ der Mann den Verein, der kurz darauf seinen wichtigsten Auftrag vom Senat verlor: die „Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter und Roma“, die man unter allgemeiner Anerkennung über Jahre aufgebaut hatte.

Für das Projekt führte die Integrationsverwaltung im Oktober 2014 ein „Interessenbekundungsverfahren“ durch. Es bewarben sich Südosteuropa, die Caritas und Amaro Foro – die beiden letzten bekamen im Dezember den Zuschlag. Schwiegertochter, Freundin und weitere Südosteuropa-Leute gingen zum Verein Phinove.

Seitdem bekommt dieser eine Menge Geld: 2015 rund 560.000 Euro, fast ein Viertel der Gesamtsumme, die die Integra­tions­verwaltung in diesem Jahr laut Bericht im Rahmen des Roma-Aktionsplans ausgeben will: rund 2,5 Millionen Euro.

Für die Verwaltung selbst gibt es kein Problem. Zwar bestätigte der neue Integrationsbeauftragte, Andreas Germershausen, der taz, dass eine frühere Mitarbeiterin „familiäre Verbindungen“ zu von ihr geförderten Vereinen gehabt habe. Sobald die Tatsache bekannt geworden sei, habe die Verwaltung aber „höchst sensibel reagiert“, eine interne Revision eingesetzt und die betreffende Kollegin von ihrer Aufgabe abgezogen. Sie sei im Juni dieses Jahres auf eigenen Wunsch in eine andere Verwaltung gewechselt. Insgesamt sehe er „keine Anhaltspunkte für Korruption“, so Germershausen. Zudem, argumentiert seine Verwaltung, habe die Mitarbeiterin nicht für Zahlungen an die Vereine gezeichnet.

Kahlefeld sieht das anders. Jeder habe gewusst, dass man sich an diese Frau zu wenden habe, „wenn es um Gelder für den Aktionsplan ging“. Auch die Dokumente, die sie bei einer Akten­einsicht habe sehen können, zeigten ihre Beteiligung. Und so sei es weitergegangen. „Seit die Lebensgefährtin ihres Sohnes bei Phinove Geschäftsführerin ist, bekommt dieser völlig unerfahrene Verein immer mehr Gelder und Projekte, ohne dass er Nachweise seiner Arbeit bringen muss.“ Sie verweist auf die „Nostels“: Bei dem Wohnprojekt für obdachlose Familien, das im September 2014 startete, soll Phinove den untergebrachten Roma-Familien helfen, binnen eines Monats ihren Anspruch auf Hartz IV oder sonstige Hilfen zu klären und eine „richtige“ Wohnung zu finden.

Keine Statistiken

Auf zwei Anfragen von Kahlefeld zum Erfolg des Projekts antwortete die Verwaltung knapp ein Jahr nach Projektbeginn, man habe noch keine Statistiken vorliegen. Dennoch bekam Phinove in 2015 weitere 350.000 Euro für das Projekt, auch die Verlängerung 2016 ist offenbar beschlossene Sache: Die Verwaltung hat sich mit dem Verein zusammen um EU-Gelder „für eine berlinweite Clearingstelle für wohnungslose Familien aus EU-Mitgliedstaaten“ beworben, um das Projekt fortzusetzen, wie es im kürzlich veröffentlichten Bericht zum Roma-Aktionsplan heißt. Kahlefeld nennt das „sehr unüblich“: andere Vereine müssten laufend Erfolgsnachweise bringen, um gefördert zu werden.

Aber ist Phinove ein Träger wie andere? Fest steht, der Verein lässt sich nicht gern in die Karten gucken: Auf mehrere Anfragen der taz per Mail und Telefon gab es bis heute keine Rückmeldung. Ende 2013 wurde er von Benjamin Marx gegründet, einem Projektleiter des Immobilienunternehmens Aachener Siedlungsgesellschaft. Marx wurde bekannt durch ein medial gefeiertes Wohnprojekt für Roma und Nichtroma in Neukölln. Seither sind Marx und Phinove beliebte Partner des Senats – nicht nur bei wohnungspolitischen Roma-Projekten: Phinove macht inzwischen Sprachvermittlung an Schulen, Mieterberatung und betreibt eine „Clearingstelle zur Vergabe von Integrationskursen“.

Als Begründung, warum Phinove das „Nostel“-Projekt bekommen hat, heißt es aus der Verwaltung, der Verein habe nach dem Neukölln-Projekt „Erfahrungen sowohl in der Betreuung von ausländischen Roma-Familien als auch in der Zusammenarbeit mit der Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“. Die Formulierung ist zumindest missverständlich, schließlich besteht der Phinove-Vorstand mit Marx und Ana-Maria Berger aus zwei Vertretern der Aachener. Und die Aachener Siedlungsgesellschaft stellt für das „Nostel“-Projekt praktischerweise auch die elf Wohnungen: Rund 83.000 Euro Miete soll sie dafür in diesem Jahr bekommen.

Ein schlechter Witz

Ist Phinove ein Träger wie andere? Er lässt sich nicht in die Karten gucken

Ansonsten begründet die Verwaltung ihre Entscheidungen für einen Träger eher spärlich. Die Gelder würden ohne Ausschreibung „frei“ vergeben, weil es in diesem Bereich zu wenige Organisationen „mit entsprechenden Erfahrungen und den notwendigen Kompetenzen“ gebe, so die Integrationsverwaltung im September in einer Vorlage für den Senat, die der taz vorliegt. Die Auswahl der Träger „erfolgt nach Expertise, Kapazität und insbesondere bei ­bezirksbezogenen Projekten im Benehmen mit den Bezirken“, heißt es weiter.

Für Kahlefeld ist das ein schlechter Witz: Die Verwaltung arbeite nicht im Einvernehmen mit den Bezirken, im Gegenteil versuche sie, „Phinove an den Bezirksämtern vorbei in Projekte zu drücken“. Bürgermeisterin Herrmann bestätigt das: Besagte Mitarbeiterin habe dem Bezirk erklärt, Südosteuropa müsse als Träger für Mietrechtsberatung von EU-Bürgern aufgegeben werden, stattdessen solle man Phinove nehmen. Auch in Neukölln ist der grüne Sozial­stadtrat Bernd Szcze­panski „etwas besorgt“, wie er der taz, sagte, weil der Senat in dem Antrag auf EU-Mittel nur Phinove als Träger vorgeschlagen hat.

Und was ist aus den zwölf Familien geworden, die zwischen Oktober 2014 und Mai 2015 in den „Nostels“ gelebt haben, immerhin 53 Personen? Als die taz nachfragt, weiß die Integra­tions­verwaltung dann doch mehr. „Fast alle“ Familien seien inzwischen auf dem normalen Wohnungsmarkt untergekommen, erklärt Integrations­beauftragter Germershausen. Dass diese Information nicht in den Antworten auf Kahlefelds Anfragen stand, sei ein „bürokratischer Fehler“ gewesen, so Germershausen weiter. Das Projekt sei ein Erfolg und das Phinove-Team „einfach gut“.

Kahlefeld erkennt das nicht an. Auskünfte in Parlamentarischen Anfragen und Ausschüssen seien „verbindlich. Das Parlament hat als Haushaltsgesetzgeber das Recht, Auskünfte über Mittelvergabe zu bekommen.“ Sie will nicht warten müssen, bis im März 2016 endlich Statistiken über die Nostel-Erfolge vorliegen. „Ich will wissen, wo die Familien geblieben sind“, sagt sie.

Der Verein Südosteuropa wollte sich auf taz-Anfrage nicht äußern. Marx und Phinove haben auf Gesprächsanfragen der taz bis heute nicht geantwortet.