Malerisch liegt sie da: Berlins einzige Null-Toleranz-Zone – der Görlitzer Park, in dem der Besitz auch kleinster Mengen Cannabis strafrechtlich verfolgt wird Foto: Kristoffer Finn/laif

Trügerische Idylle

VERBRECHEN Vor einem Jahr hat ein Wirt am Görlitzer Park mit einem Freund zwei Flüchtlinge niedergestochen – aus Notwehr, weil sie sich gegen die Dealer nicht anders zu helfen wussten, hieß es. Der Fall gab Anlass zu massiven Polizei-einsätzen im Park. Nun stellt er sich möglicherweise anders dar

Von Antje Lang-Lendorff

Die bisherige Lesart der nächtlichen Ereignisse vom 15. November 2014 in Kreuzberg war eindeutig: Der Wirt einer Shisha-Bar nahe dem Görlitzer Park, der mit einem Freund zwei junge Flüchtlinge niedergestochen hatte, war nicht Täter, sondern Opfer. Er hatte in den Wochen zuvor zigmal die Polizei gerufen, weil Dealer vor seiner Tür einen Drogenbunker anlegten und Gäste und Passanten anpöbelten, wie er zu Protokoll gab. Die Beamten waren ihm keine Hilfe, die Situation spitzte sich zu. In jener Nacht hätten ihn die Dealer getreten, geschlagen und mit einer kaputten Flasche bedroht, sagte der Wirt. Deshalb habe er schließlich zum Messer gegriffen.

Die beiden Afrikaner wurden schwer verletzt, einer überlebte nur knapp. Die Staatsanwaltschaft prüfte, ob sich der Wirt und sein Kumpel wegen versuchten Totschlags vor Gericht verantworten müssen. Zeugenaussagen, Notrufprotokolle und Bilder stützten aber ihre Aussagen. Die Staatsanwälte stellten die Ermittlungen ein. Der Wirt sei rechtswidrig angegriffen worden, er habe aus Notwehr gehandelt, lautete die Begründung.

Dagegen haben die Anwältinnen der jungen Männer aus Guinea Beschwerde eingelegt. „Die Dealergeschichte ist großer Quatsch“, sagt Undine Weyers, die einen der beiden vertritt, gegenüber der taz. Ihr Mandant gehe noch zur Schule. Der Vorwurf, er habe an der Skalitzer Straße mit Drogen gehandelt, sei durch nichts belegt. Es habe gegen ihn bislang nur ein Verfahren wegen Besitzes von Cannabis gegeben. Der Wirt habe ihn und seinen Freund wegen ihrer Hautfarbe für Dealer gehalten und sie deshalb schwer verletzt, sagt Weyers.

Bei der Generalstaatsanwalt kamen daraufhin offenbar Zweifel auf. Sie entschied ihrem Sprecher zufolge, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden müssen. Weil die Staatsanwaltschaft dagegen protestierte, sei die abschließende Entscheidung noch nicht gefallen, heißt es. Doch es ist gut möglich, dass die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft bei ihrer ersten Einschätzung bleibt – und die Ereignisse jener Nacht noch einmal durchleuchtet werden müssen.

Bislang schwang in der öffentlichen Debatte immer mit, dass die Drogenhändler am Görlitzer Park eine Zumutung sind und die Selbstjustiz des Wirts insofern nachvollziehbar sei. Sollte sich ­herausstellen, dass die verletzten Afrikaner mit dem Drogenhandel und den Provokationen vor der Tür des Wirts tatsächlich nichts zu tun hatten, wären sie die Opfer. Alle, auch die Medien, wären dann einer Vorverurteilung aufgesessen.

An der Grundproblematik des Görlitzer Parks würde aber auch diese andere Lesart nichts ändern. Es ist ein Fakt, dass die Zahl der Dealer im und um den Park in den Jahren zuvor deutlich zugenommen hatte und damit auch die Konflikte mit AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden.

Die Eskalation am 15. November wurde zum Auslöser einer ordnungspolitischen Offensive des Innensenators Frank Henkel (CDU). Senat, Justiz, Polizei und Bezirk gründeten die Taskforce Görlitzer Park, um den offenen Drogenhandel in den Griff zu bekommen.

Seit vergangenem November führt die Polizei in der Grünanlage ständig Kontrollen und Razzien durch. Im April ernannte Henkel den Park dann zur Null-Toleranz-Zone, wo auch der Konsum von kleinen Mengen Cannabis strafrechtlich verfolgt wird. Der massive Polizeieinsatz, den die Messerstecherei nach sich zog, hatte Folgen – wenn auch nicht die vom Innensenator gewünschten.

Ein Jahr Taskforce Görlitzer Park: Die taz zieht Bilanz SEITE 44, 45