NSU-Prozess

Zweieinhalb Jahre nach Prozessbeginn bricht die Hauptangeklagte ihr Schweigen. Sie lässt ihren Anwalt eine lange Erklärung verlesen und

Mein Name ist Beate, ich wusste von nichts

UNSCHULD Wer auf Antworten gehofft hatte, wurde enttäuscht. Beate Zschäpe inszeniert sich als Opfer ihrer Gefühle und ihrer Abhängigkeit zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt

„Mehrfach geklingelt“: Zschäpe will ihre Nachbarn gewarnt haben, bevor sie im November 2011 ihr Wohnhaus in Zwickau durch eine Explosion zerstörte Foto: Jan Woitas/picture alliance

Aus München Konrad Litschko
und Andreas Speit

Es ist 9.52 Uhr, als Beate Zschä­pe den Kopf zur Seite legt, ihren Anwalt Mathias Grasel kurz anschaut. Der knipst das Mikrofon auf der Anklagebank an, nimmt den vor ihm liegenden, sorgsam abgehefteten Papierstapel zur Hand: die Einlassung Zschä­pes. „Ich bin geboren am 2. Januar 1975 in Jena“, beginnt Grasel zu lesen. Ganz still ist es im Saal A101.

Es ist ein Moment, den viele nicht mehr für möglich hielten. Seit vier Jahren, seit sich Beate Zschäpe am 8. November 2011 der Polizei stellte, hatte sie geschwiegen. Kein Wort zu den ungeheuren Vorwürfen gegen sie: Mittäterschaft bei zehn Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, bei zwei Sprengstoffanschlägen, bei 15 Überfällen, dazu die schwere Inbrandsetzung des letzten Unterschlupfes in Zwickau.

Dass dieser Tag ein besonderer ist, wird schon im Morgengrauen absehbar. Die meisten Besucher und Journalisten stehen schon seit 4 Uhr morgens in einer langen Schlange vor dem Gericht, einige wenige waren bereits vor Mitternacht hier. Der Prozess erfährt einen Andrang wie seit dem Auftakt nicht mehr.

Mit schnellem Schritt, im schwarzen Hosenanzug, betritt Beate Zschäpe einige Stunden später den Gerichtssaal. Auch sie macht klar, dass dieser Tag eine Wende markiert: Erstmals wendet die 40-Jährige den Fotografen nicht ihren Rücken zu, setzt sich sogleich hinter die Anklagebank.

Einige hatten noch gebangt, ob Zschäpe überhaupt erscheint, noch am Montag hatte sie in der JVA Stadelheim einen Zusammenbruch erlitten. Nun aber ist sie da. „Für heute ist eine Einlassung angekündigt“, sagt Richter Manfred Götzl nach der offiziellen Eröffnung nur. Dann nickt Grasel und legt los.

Er beginnt ganz von vorn: mit ihrer Kindheit zwischen den Plattenbauten Jenas. Von der Oma aufgezogen, die Mutter arbeitslos und alkoholabhängig, lässt Zschäpe verlesen. Mit einer Clique habe sie rechte Lieder gesungen, „man könnte auch sagen: gegrölt“. Es sei ihr Cousin gewesen, der sie in die rechte Szene gezogen habe. Dort habe sie Uwe Mundlos getroffen, sie seien ein Paar geworden. Als sie später wiederum Uwe Böhnhardt traf, habe sie sich in diesen verliebt und sich von Mundlos getrennt.

Es ist ein scheinbar banaler Einstieg, aber schon hier wird klar, wohin sie steuert: Es sind stets andere verantwortlich. So sei es Böhnhardt gewesen, der damals in ihrem Zimmer Waffen aufgehängt habe. Und auch in der „Kameradschaft Jena“, die Zschäpe besuchte, hätten Mundlos und Böhnhardt den Ton angegeben, sie habe nicht mal Mitgliedsbeiträge bezahlt und sich „auch nicht zugehörig gefühlt“. Auch die damaligen Aktionen, die Verteilung von Bomben­attrappen in Jena, der Versand von Drohbriefen, an denen sie, wie Zschäpe einräumt, teils beteiligt war, seien alle von den Uwes ausgeheckt worden.

Eine waghalsige Behauptung: Hatten Zeugen im NSU-Prozess doch auch Zschäpe als „überzeugte Rechtsextremistin“ beschrieben, als eine, die in der Kameradschaft zu denen gehörte, die „mehr machen“ wollten. Nicht zufällig attackiert Zschäpe in ihrer Einlassung vor allem einen früheren Wegbegleiter: den Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“ Tino Brandt. Auch dieser hatte Zschäpe als „ideologisch gefestigt“ bezeichnet, „keine dumme Hausfrau“.

Zschäpe nun schreibt Brandt alle Verantwortung zu. Dieser sei damals „Mittelpunkt aller Aktionen“ gewesen, „ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen“. Auch sei er es gewesen, den sie nach dem Untertauchen kontaktiert hätten und um einen Unterschlupf baten – ohne Erfolg. So lenkt Zschäpe die Verantwortung auch noch in eine ganz andere Richtung: Brandt war lange Jahre V-Mann des Verfassungsschutzes. Nun steht wieder die Frage im Raum: Was hätte der Staat verhindern können? Wusste der Geheimdienst von der Offerte? Hätte er das Trio schnappen können?

Sie sei „geschockt“ gewesen von dem Mord, ja „regelrecht ausgeflippt“

Auch das Untertauchen 1998, nach einer Durchsuchung einer von Zschäpe angemieteten Garage und dortigen Sprengstofffunden, lastet Zschäpe ihren Kumpanen an. Diese hätten ohne ihr Wissen das TNT und Rohrbomben dort gelagert. Überhaupt habe sie die Garage nur angemietet, um Böhnhardt zurückzugewinnen, der sich zuvor von ihr getrennt hatte.

Den ersten Überfall des NSU, 1998 auf einen Chemnitzer Edeka-Markt, habe sie noch „akzeptiert“, um im Untergrund Geld zu bekommen, lässt Zschä­pe wissen. Die Tat aber hätten die Uwes allein geplant und ausgeführt – wie alle anderen später auch. Als die beiden ihr schließlich berichteten, in Nürnberg einen Türken ermordet zu haben, sei sie „geschockt“ gewesen, ja „regelrecht ausgeflippt“. Die Uwes hätten ihren Unmut aber abgetan.

Es ist die immer gleiche Erklärung, die Zschäpe nun liefert. Über jeden weiteren Mord habe sie erst im Nachhinein erfahren, jedes Mal sei sie „fassungslos“ gewesen, irgendwann nur noch „wie betäubt“. Sie habe drei bis vier Flaschen Sekt am Tag getrunken, „sogar“ die Katzen vernachlässigt. Einen Ausbruch aus dem Trio habe sie dennoch nicht vermocht. Böhnhardt und Mundlos hätten für diesen Fall mit ihrem Selbstmord gedroht, sie selbst habe eine hohe Haftstrafe gefürchtet. „Ich stand vor einem unlösbaren Problem“, lässt Zschäpe Grasel verlesen.

Die Uwes hätten sich dagegen immer weiter radikalisiert. Den ersten Mord hätten diese noch damit begründet, in ihrem Leben sei „eh schon alles verkackt“, das habe man „zum knallenden Abschluss bringen“ wollen. Später hätten sie getönt, „Ausländer umgelegt“ zu haben, sie wollten „die türkische Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen“. Für sie, so Zschäpe, sei das alles nur „unsinnig“ und „entsetzlich“ gewesen.

Selbst die Brandstiftung in dem letzten Unterschlupf in Zwickau, der eine 89-jährige, gehbehinderte Nachbarin in Lebensgefahr brachte, relativiert Zschäpe. Mehrmals habe sie bei der Nachbarin geklingelt, um diese zu warnen. Zudem sei auch der Brand ausdrücklicher Wille der Uwes gewesen, um nach ihrem Tod alle Spuren zu vernichten. Im Radio habe sie am 4. November 2011 von einem brennenden Wohnmobil und zwei Toten gehört. Sie habe sofort gewusst, dass es sich um Mundlos und Böhnhardt handelt, die zuvor zu einem weiteren Bankraub losgefahren seien. Tatsächlich hatten sich Böhnhardt und Mundlos nach dem gescheiterten Überfall selbst erschossen.

Anschließend vollzog Zschä­pe den letzten Akt des NSU, wie sie am Mittwoch gesteht: den Versand der Bekenner-DVD. Auch dies im Auftrag von Böhnhardt und Mundlos – natürlich. Den Inhalt der DVD will sie erstmals in der Verhandlung in München gesehen haben. Auch diese sei allein von Mundlos erstellt worden.

Als sich Zschäpe 2011 der Polizei stellte, sagte sie, sie sei niemand, „der nicht zu seinen Taten steht“. Am Mittwoch ist davon aber nichts zu hören. Stattdessen ist die Strategie klar: Zschä­pe lädt alle Schuld bei den beiden Uwes ab. Ihre „Familie“, wie sie nach ihrer Festnahme noch sagte. Das freilich hat auch einen Vorteil: Beide Uwes sind tot, hier riskiert sie nichts. An diesem Tag nennt Zschäpe keine weiteren Namen mehr, legt keine rechtsextremen Strukturen offen, belastet keinen Mitangeklagten.

Die Taten

2001 hätten ihr die beiden Uwes von weiteren Morden erzählt. Da sei ihr bewusst geworden, dass sie mit zwei Männern zusammenlebte, denen ein Menschenleben nichts wert war

Einzig das Motiv für den bis heute rätselhaften, letzten Mord des NSU lüftet sie: den an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Diese sei 2007 nur erschossen worden, weil Böhnhardt und Mundlos neue, funktionsfähige Waffen brauchten.

Zschäpes Einlassung ist der Versuch, alles abzustreiten, was die Anklage gegen sie auflistet. Nur „moralisch schuldig“ fühle sie sich, nicht auf Mundlos und Böhnhardt eingewirkt haben zu können. „Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern“, lässt sie Grasel verlesen. In der Anklage allerdings wird Zschäpe als „gleichgeordnetes Mitglied“ des NSU bezeichnet, deren Mitwirkung „unerlässlich“ gewesen sei. Sie habe Tarndokumente besorgt, die Finanzen des Trios verwaltet und die „Legendierung“ des Trios aufrechterhalten: das Bild einer harmlosen Wohngemeinschaft.

Nichts steht in der Anklage von Druck, nichts von Unwissen über die Taten. Im Gegenteil. Von einer „untergeordneten Stellung“ Zschäpes innerhalb des Trios sei „nichts ersichtlich“, hielt die Bundesanwaltschaft fest. Und auch im Prozess berichteten Bekannte, wie Zschäpe das Trio „im Griff“ hatte, wie sie selbst gewalttätig auftrat. Die 40-Jährige behauptet dagegen, dass es nicht mal den NSU gegeben habe. Das Kürzel sei lediglich eine Erfindung von Mundlos gewesen. Eine wirkliche Gruppengründung habe es nie gegeben.

Die Frage ist nur: Für wie glaubwürdig halten die Richter die Einlassung? Fast 14 Jahre gemeinsam auf engstem Raum, und Zschäpe will von den Mordplänen nichts mitbekommen haben? Kann sie mit dieser Version wirklich die 488 Seiten starke Anklage erschüttern? Verschafft sie ihr tatsächlich einen Strafrabatt? Vielleicht eine Verurteilung nur wegen Mordbeihilfe, nicht Mittäterschaft?

Klar ist: Es ist diese Hoffnung, die Zschäpe nach 249 Prozess­tagen des Schweigens doch noch zum Reden brachte. Nach dem bisherigen Beweisprogramm drohte ihr die Höchststrafe: „lebenslänglich“, womöglich mit Sicherungsverwahrung. Und es ist auch der Versuch, das bisher von Zschäpe gewonnene, öffentliche Bild zurechtzurücken: das der manipulativen Strippenzieherin.

Dieses Bild hatte Zschäpe im Prozess selbst nach Kräften gepflegt. Regungslos und kühl hatte sie dort gesessen, selbst als sie dort Ayse Yozgat, Mutter des 2006 in Kassel erschossenen Halit Yozgat, direkt um eine Aussage bat, als sich der Vater Ismail Yozgat auf den Boden des Gerichtssaals warf, um zu zeigen, wie er seinen sterbenden Sohn vorfand.

Beate Zschäpe zwischen ihren Verteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel, hinten der Mitangeklagte Ralf Wohlleben Foto: Tobias Hase/dpa

Stattdessen suchte Zschäpe die Konfrontation mit ihren drei ursprünglichen Pflichtverteidigern, die ihr stets zum Schweigen rieten – Anja Sturm, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer. Sie stellte Entpflichtungsanträge gegen die Anwälte, gar eine Strafanzeige. Aber erfolglos. Mit ihrem neuen, im Juli zugeteilten Verteidiger Grasel zeigte sie sich dagegen fast turtelnd.

Götzl lässt nicht erkennen, ob er Zschäpes neuer Version glaubt. Andere machen aus ihrem Zweifel keinen Hehl. Mehrere Opferangehörige verfolgen am Mittwoch die Zschäpe-Einlassung, teils mit Kopfschütteln. Sehnlichst hatten sie eine Aussage Zschäpes erwartet. Endlich Antworten auf die Frage, warum es gerade ihre Angehörigen traf. Sie werden enttäuscht.

„Sie lügt, wir glauben ihr nicht“, sagt Ismail Yozgat am Ende des Prozesstages. „Nach dem ersten Mord, wo sie an­geblich so erschüttert war, hätte sie zur Polizei gehen müssen. Dann hätte sie weitere neun Morde verhindern können.“ Auch Abdulkerim Şimşek, Sohn des ersten Mordopfers Enver Şimşek aus Nürnberg, spricht von einem „erbärmlichen“ Auftritt. „Es ging Zschäpe nur darum, sich zu entlasten, aber das wird keiner glauben. Ihre ­Entschuldigung bringt gar nichts.“

Dennoch, der NSU-Prozess hat nach zweieinhalb Jahren eine neue, unerwartete Dynamik erhalten. Nach Zschäpe will nun auch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben aussagen, beschuldigt als Waffenbeschaffer des NSU. Und Richter Götzl wird die Einlassung so nicht stehen lassen. Bei allen Zeugen hatte er bisher mit äußerster Hartnäckigkeit nachgefragt. Es ist nicht zu erwarten, dass er bei Zschäpe nun anders verfahren wird. „Vielleicht können Sie ja wenigstens zu Ihrer Biografie selbst aussagen“, appelliert er an Zschäpe. „Denken Sie darüber nach.“