der rote faden
: Wer hat die
kritischere Kritik?

nächste wocheMeike Laaff Foto: Helena Wimmer

durch die woche mit

Robert Misik

SPÖ

In der Wiener Presse erschien diese Woche ein Gastkommentar, in dem mal wieder das Abendland untergeht. „So verkündete die evangelische Bischöfin Eva Brunne, man solle die Kreuze an der Seemannskirche in Stockholm entfernen, da sie eine ‚Beleidigung‘ für die muslimischen Mitbürger seien“, schreibt die Autorin, und man kann sich ausmalen, wie sie vor Panik bibbert angesichts von Muslimhorden, die den Westen entchristianisieren. Macht man dann ein paar Klicks im Internet, kommt man schnell drauf, wie sich die Sache wirklich verhält. Es stellt sich heraus, dass die Bischöfin das überhaupt nicht im Hinblick auf muslimische Flüchtlinge oder Migranten vorgeschlagen hat. Die wahre Geschichte ist so:

Die Kirche ist, wie der Name schon sagt, eine „Seemannskirche“. Das heißt, hier kommen – wenn überhaupt – Gläubige aus vielen Ländern her. Im Vorstand der Kirche hatte man nun die Frage diskutiert, was denn wäre, wenn Schiffe aus anderen Weltreligionen stranden, Schiffbruch erleiden, oder längere Reparaturen durchführen müssen. Daraufhin hat man als Möglichkeit erwogen, die Kirche – wie die multireligiösen Gebetsräume auf Flughäfen, in Krankenhäusern etc. –, auch muslimischen, buddhistischen etc. Seefahrern zur Verfügung zu stellen. Und dafür Teile der Kirche „optisch zu neutralisieren“, also christliche Symbole temporär zur Seite zu rücken. Und außerdem mit einem Wegweiser die Richtung nach Mekka zu markieren. Gescheit? Kann man diskutieren. Skandal? Sicher keiner.

Es geht in dem Kommentar weiter mit paranoider Faktenverdrehung: „Muslime klagen vermehrt, man fühle sich durch die vielen Weihnachtsmärkte beleidigt.“ Häää? Wer? Wo? Wann?

Wahlkampf

Ebenso in Wien spielte sich folgende Episode aus der Abteilung Paranoia ab. Ein Islamwissenschaftler arbeitete an einer Studie über Kindergärten, die von muslimischen Vereinen betrieben werden. Bis jetzt hat er es zu einer „Vorstudie“ gebracht, für die er fünf Kindergruppen besuchte, mit neun(!) Eltern sprach und auch noch 24 Kindergruppen googelte. Bald hieß es, es gäbe bis zu 150 salafistische Kindergruppen. Sofort war von „Tausenden“ Kindern die Rede, die hier indoktriniert werden. Integrationsminister Sebastian Kurz (im Hauptberuf ist er Außenminister), sprach nach kurzer Zeit bereits von „zehntausend Kindern“. Noch ein paar Tage mediale Aufregung, und es würden wohl mehr Kinder in Dschihad-Kindergärten vermutet, als es Kinder im entsprechenden Alter gibt.

Wer dann realistisch und lebensnah einwendet, dass es wohl schon ein paar Kindergärten gibt, in denen es Probleme mit Frömmlerei und Abschottung gibt und dass das wohl schon zwanzig oder dreißig Kindergärten betreffen wird, der muss sich dann gleich der „Verharmlosung“ des „Skandals“ zeihen lassen. Merke: Wenn die Überspanntheit der Normalbetrieb ist, ist der Realismus eine „Verharmlosung“.

Podemos

Aber man soll ja nicht nur auf die anderen, also die überspannten Christenfundis, Rassisten und Muslimbasher zeigen. Ostentativen – und auch subtilen –Irrsinn gibt es bei den Linken ja selbst genug, und nicht nur bei der Aluhutfraktion, die in den letzten Jahren die „Friedensbewegung“ unterwanderte.

Hegemonie

Ich, beispielsweise, habe mich ja auch über den schönen Wahlerfolg von Podemos in Spanien gefreut. Aber Podemos und auch der Rest der spanischen Linken haben in den vergangenen Monaten Töne angeschlagen, bei denen nicht immer sicher war, ob berechtigte Kritik nicht in alarmistische Überspanntheit umschlägt. Das etablierte System haben sie als „La Kasta“ bezeichnet, also das Zwei-Parteien-System von konservativer PP und sozialdemokratischer PSOE und das damit verbandelte, verfilzte Netzwerk der ökonomischen Eliten. Der Schlüsselbegriff, der sich dafür eingebürgert hat, war der des „Systems von 1978“. Damit ist gemeint, dass sich die Erben des Franco-Faschismus ein neues, korruptes Zwei-Parteien-System gebastelt und somit ihre Macht zementiert haben. Damit wurde aber unterstellt, dass es überhaupt keinen Systembruch gegeben habe, dass zwischen Faschismus und dem Nach-78er-Spanien kein nennenswerter Unterschied bestünde. Und das ist natürlich Unsinn. Was immer man über das Spanien, etwa von Felipe Gonzáles, sagen kann, es war auch eine demokratische und ökonomische Erfolgsstory – und gewiss nicht eine Fortsetzung des Faschismus mit modernisierter Fassade.

Auch das ist ein Zug der Zeit, dass wir uns die Wirklichkeit schlechter reden als sie ist. Gewissermaßen als Wettbewerb: Wer hat die kritischere Kritik!?

Angesichts dessen, muss ich zugeben, „verharmlose“ ich ganz gerne.