Bloß keine Touristen verschrecken

Köln 3 Die Prioritäten der Kölner Polizei sind kaum nachvollziehbar. Auch die vorgeschlagenen Maßnahmen nach der Silvesternacht überzeugen nicht

Am Donnerstag saß ich mit einer befreundeten DJ im King Georg im Kölner Agnesviertel. Wir kamen auf die Silvesternacht zu sprechen. „Ich habe noch gar keine richtige Meinung“, gestand ich. Ich arbeite bei einem Monatsmagazin und kann mir diesen Luxus leisten. „Ich auch nicht“, sagte sie und fügte hinzu: „Die Polizei hat genügend Leute, um ständig Radfahrer zu kontrollieren. Aber nicht für Silvester am Hauptbahnhof.“

Zuerst musste ich ein wenig grinsen, aber sie hat recht. Die Prioritäten der Kölner Polizei wirken nicht erst seit Silvester 2015 kaum nachvollziehbar. Während in Restdeutschland darüber diskutiert wird, was Sil­vester für die Migrationspolitik und die Bekämpfung von Sexismus bedeutet, dreht sich die Debatte in Köln zuerst um das Image der Stadt. Das sei „angeknackst“, wie Josef Sommer von Köln Tourismus diese Woche verkündete.

Seine Sorge ist verständlich. Viele der über 500 Anzeigen wegen der Silvesternacht kommen von außerhalb Kölns. Die Kölner Innenstadt lebt von Junggesellenabschieden und Sauftouristen an Silvester und Karneval ebenso wie von Dompilgern und Klassenfahrten. Auch die Grasverkäufer im Umfeld des Hauptbahnhofs hätten ohne Touristen weniger zu tun, von den Taschendieben ganz zu schweigen.

Touristen nicht zu verschrecken, ist das gemeinsame Ziel von Stadtführung und Polizei. Meldungen über sexuelle Übergriffe stören dabei. Man findet sie auch nicht in den Polizeimitteilungen vom Straßenkarneval, obwohl es undenkbar ist, dass von den 840 Fällen aus der letzten Polizeistatistik kein einziger an den Karnevalstagen geschehen ist.

Stattdessen stehen die „Antänzer“ im Mittelpunkt der Polizeiarbeit, obwohl sie nur 21 Prozent aller Taschendiebstähle ausmachen. „Antänzer“ sind geeignete Protagonisten für ein PR-Narrativ: Sie sehen anders („nordafrikanisch“) aus und halten sich am Bahnhof und an der Amüsiermeile auf den Ringen auf. Deshalb können sie von der Polizei leicht kontrolliert werden. Die Ordnung auf den Ringen ist ein Lieblingsthema von Bernd Petelkau, Chef der Kölner CDU, die den Wahlkampf der neuen, parteilosen OB Henriette Reker mitfinanziert hat.

All das gehört dazu, wenn man über die Ereignisse seit der Silvesternacht spricht, etwa über den Maßnahmenkatalog aus mehr Videoüberwachung durch die Polizei und Rekers Idee „einer Armlänge Abstand“. Zu den Maßnahmen habe ich dann auch mal eine Meinung: Sie überzeugen mich nicht.

500 Frauen haben am Samstag einen Flashmob gegen sexualisierte Gewalt an der Domtreppe veranstaltet – auf einem Plakat war eine Faust auf rosa Papier gezeichnet, darüber stand „Eine Armlänge Abstand“. Auch einen Tag später, am Sonntag, liegt es neben ein paar Blumen auf der Domtreppe.

Sonntagabend schreibe ich diesen Text und lese, dass Menschen aus dem Rocker- und Türstehermilieu Angriffe auf Menschen aus Syrien, Pakistan und Afrika in der Kölner Innenstadt verübt haben. Die Rocker hatten ihre Patrouille vorher auf Facebook angekündigt, die Polizei hat die Übergriffe nicht verhindert. Mal wieder nicht.

Christian Werthschulte

Christian Werthschulte arbeitet als Politikredakteur bei der Kölner StadtRevue