Flüchtlingspolitik

Der österreichische Regierungschef nennt es eine "Notlösung", einen "Plan B", mit dem man die Europäische Union aufrütteln wolle

Ein hässliches Wort wird hoffähig

Österreich Die Koalitionsregierung in Wien beschließt Obergrenze für Flüchtlinge. Bundeskanzler Faymann spricht von „Richtwert“

Flüchtlinge in Österreich, kurz vor der bayrischen Grenze Foto: Thomas Dworzak/Magnum Photos/Agentur Focus

AUS WIEN Ralf Leonhard

Der angekündigte Schwenk in der österreichischen Flüchtlingspolitik ist vollzogen. Bei einem Asylgipfel am Mittwoch in Wien einigte sich die Koali­tions­regierung mit den Chefs der neun Bundesländer und Vertretern der Bürgermeister auf eine Obergrenze für die Aufnahme von Asylwerbern: 127.500 sollen es über die nächsten vier Jahre maximal sein. Dieses Jahr will man noch 37.500 ins Land lassen, 2019 nur mehr 25.000.

Die seltsame Zahl entspricht 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

In der Regierung teilen sich die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Sozialdemokraten (SPÖ) die Macht. Die ÖVP hatte schon in den vergangenen Tagen die Trommel für eine Deckelung der Flüchtlingsaufnahme gerührt. Außenminister Sebastian Kurz sprach von einem wünschenswerten Dominoeffekt, der das Flüchtlingsproblem immer weiter nach außen verlagern würde. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner spricht daher das hässliche Wort „Obergrenze“ auch aus.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), der sich noch geziert hatte, benutzt den schönen Euphemismus „Richtwert“. Für ihn handelt es sich um eine „Notlösung“, einen „Plan B“, mit dem man die EU „aufrütteln“ wolle: „Wir können in Österreich nicht alle Asylwerber aufnehmen“, sagt er. Schon vor dem Gipfel hatte Faymann gemeint, Ziel sei es, ein Bündel von Maßnahmen zu schnüren, um die Zahl der Flüchtlinge „drastisch zu senken“.

Im letzten Jahr haben 90.000 Menschen um Asyl ersucht, 2014 waren es noch 30.000.

Welche Maßnahmen ergriffen werden, wenn die Quote voll ist, wissen die Regierungsvertreter offenbar selbst noch nicht. Bei der anschließenden Pressekonferenz hieß es, man werde zwei Rechtsgutachten in Auftrag geben. Jedenfalls sei in Zukunft auch mit „Zurückweisungen“ an der Grenze zu rechnen. Allein in den ersten drei Wochen dieses Jahres hat Slowenien nach offizieller Auskunft 42.291 Flüchtlinge nach Österreich transferiert. Der Erfahrungswert der vergangenen Monate ist, dass fast 90 Prozent nach Deutschland weiterreisen. Auf das Jahr hochgerechnet, ergibt das 770.000.

Wenn davon jede und jeder Zehnte in Österreich bleiben will, wäre das Wunschkontingent schon vor Jahresmitte erfüllt. Und es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder steigt, wenn das Wetter milder wird.

Flüchtlinge, die in Österreich ankommen, werden befragt und erkennungsdienstlich regis­triert. Dann verfrachtet man sie in Unterkünfte in den Bundesländern oder an die deutsche Grenze. Bisher werden auch jene ins Land gelassen, die angeben, weder in Österreich noch in Deutschland einen Asylantrag stellen zu wollen.

Ab Ende der Woche soll sich das ändern. Von Deutschland zurückgeschobene unterkunftslose Flüchtlinge werden in Salzburg und Oberösterreich bereits als Problem wahrgenommen. Der Frage, ob potenzielle Asylwerber notfalls mit Gewalt am Überschreiten der Grenze gehindert werden sollen, wich Vizekanzler Mitterlehner in einem TV-Interview aus. Dass Obergrenzen nicht nur der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch europäischem Recht widersprechen, sieht Mitterlehner nicht so eng. Er schließt aber nicht aus, dass die entsprechende gesetzliche Regelung „im Extremfall bis zu einer Rechtsauseinandersetzung in der EU gehen könnte“.

Die EU in Gestalt von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz signalisierte zunächst Verständnis. Schulz „kann verstehen, was beschlossen wurde“, sagte er in Straßburg. Juncker weist darauf hin, dass schärfere Grenzkontrollen im Rahmen des Schengen-Systems erlaubt seien. Gleichzeitig warnte er vor echten Grenzschließungen. Damit würde man Schengen im Endeffekt aushebeln und Auswirkungen provozieren, „die ich mir nicht vorstellen will“.

Der bekannte Völkerrechtsprofessor Manfred Nowak hält eine Obergrenze nicht für rechtskonform. Wer einen Asylgrund habe, müsse auch aufgenommen werden und ein Asylverfahren bekommen.