Hysterische Historie

Geschichte „Death in Sarajevo“ von Danis Tanović (Wettbewerb)

Sie sehen sich in die Augen, lange, schweigend, die Journalistin Vedrana und ein junger Mann vom Dorf namens Gavrilo Princip. Im Sarajevoer „Hotel Europa“ kommen sie, wie alle Figuren in Danis Tanović’Wettbewerbsbeitrag „Death in Sarajevo“, zusammen. Es ist der 28. Juni 2014, die Stadt feiert das hundertjährige Jubiläum der Ermordung von Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand durch Gavrilo Princip. Gerade haben die beiden im TV-Live-Interview verbittert und mit unversöhnlichen ideologischen Überzeugungen über Jugoslawiens Vergangenheit und Bosniens Zukunft gestritten, jetzt stehen sie vor dem Lift, der – nicht kommt.

Was auch damit zu tun hat, dass der Hoteldirektor die Stromrechnung nicht bezahlen kann. Ärgerlich zudem, dass die Angestellten – auch sie seit Monaten ohne Geld – streiken wollen, am Tag, an dem die blau-gelben Landesfarben mit jenen Europas verschmelzen sollen.

Während Schlägertrupps in der Garage die Streikanführer mundtot machen, nimmt die Polizei ihre Sache überernst, überwacht statt bewacht, etwa den stattlichen Franzosen, der die Präsidentensuite bewohnt. So hören wir seine Rede en ­detail. Eine europäische Rede, voller Schmerz und Anteilnahme am Schicksal Sarajevos, dessen Spezifik am Ende doch in den rhetorischen Pathosformeln Srebrenica-Auschwitz-Schoah untergehen wird.

An Diplomatie fehlt es Danis Tanović’Film nicht. Und doch hinkt der Film der komplexen Thematik immer einen Schritt hinterher. Sein Plot schildert die Festvorbereitungen, den ökonomisch desolaten Zustand von heute, der sich in mehr oder weniger bewusst artikulierten politischen Haltungen spiegelt, und die politischen Hintergründe des Attentats von damals. War Gavrilo Princip Held oder Verbrecher? War der Thronfolger Besatzer oder Opfer? Dass es bis heute jeweils beide Antworten gibt, sei, sagt der Historiker, mit dessen Statement der Film einsetzt, jenem „hysterischen Dualismus“ geschuldet, der die postjugoslawische Gesellschaft durchziehe. „Damit schützen wir uns vielleicht vor uniformem Denken“, fügt er diplomatisch hinzu. Barbara Wurm

16. 2., 9.30 Uhr, Friedrichstadtpalast, 12.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 18. 2., 22 Uhr, 21. 2., 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele