Plötzlich Straftäter

JUSTIZIm Sommer 2015 wird der Haitianer Willy Lapse Laguerre von einem Un-bekannten angegriffen. Polizei und Security sollen ihm Hilfe verweigert haben

Willy Lapse Laguerre und seine Freundin Karin Schädler Foto: David Oliveira

von Plutonia Plarre

Ein bisschen aufgeregt sei er schon, gesteht Willy Lapse Laguerre. In den nächsten Tagen ist der 39-jährige gebürtige Haitianer ins Landeskriminalamt zur Zeugenvernehmung geladen. In eigener Sache. Laguerre sei einer „kriminellen Polizeimaßnahme“ zum Opfer gefallen, sagt sein Anwalt Cornelius Knappmann-Korn. Sowohl Polizisten als auch Sicherheitsleute hat der Anwalt im Namen seines Mandanten wegen Körperverletzung, unterlassener Hilfeleistung und Freiheitsberaubung angezeigt.

Die Vorgänge, zu denen Laguerre nun erstmals von der Kripo gehört wird, haben sich am 29. Mai 2015 im Gesundbrunnen-Center im Wedding und im Polizeigewahrsam Tempelhof abgespielt. Um es vorwegzunehmen: Es geht hier nicht um schwerste Misshandlungen. Der Vorwurf lautet vielmehr: Die Uniformierten hätten einen Hilfsbedürftigen, der von einem Unbekannten attackiert wurde, wie einen Straftäter behandelt. Nicht einmal ein Arzt sei geholt worden. Geschah das, weil Laguerre ein Schwarzer ist, wie der Betroffene selbst vermutet? Dennoch: Laguerre hätte von sich aus keine Anzeige erstattet. Es war seine Freundin, Karin Schädler, die darauf drängte. (Siehe Protokolle.)

In seinem Schriftsatz beschreibt Anwalt Knappmann-Korn die Vorgänge so: Am 29. Mai 2015 gegen 15.30 Uhr geht Laguerre ins Gesundbrunnen-Center, um Geld abzuheben. Als sich Laguerre in die Schlange vor dem Bankautomaten einreiht, wird er von einem ihm unbekannten Mann beleidigt. Laguerre reagiert nicht. Der Mann habe ihm ins Gesicht geschlagen und ihn mit Reizgas besprüht, so der Anwalt. Laguerre habe sich gewehrt und seine Einkaufstüte nach dem Mann geworfen. Jetzt seien zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes erschienen. Sie hätten Laguerre festgehalten. Der Angreifer, der Name ist Alexander Y., soll Laguerre weiter mit Trängengas besprüht und ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Erst als eine Passantin protestierte, hätten die Securitys Laguerre losgelassen. Der sei aus dem Center geflohen. Y. habe ihn verfolgt, so der Anwalt.

Polizisten hätten Laguerre vor der Mall Handschellen angelegt. Ungefähr drei Stunden soll Laguerre gefesselt vor dem Gesundbrunnen-Center verbracht haben. In dieser Zeit sei ein Mann hinzugetreten, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Polizei“ trug. Dieser habe ihm vor den Augen der Polizisten eine Pistole an den Kopf gehalten. „Das könnte ein Scheinpolizist gewesen sein“, vermutet Anwalt Knappmann-Korn. Die Polizisten hätten das zugelassen. Die meisten hätten ihre Kennzeichnung verdeckt getragen. Nur einen Namen habe sich Laguerre merken können.

Geschah das, weil Laguerre ein Schwarzer ist, wie der Betroffene selbst vermutet?

Gegen 19.00 Uhr sei Laguerre in den Polizeigewahrsam am Tempelhofer Damm gebracht worden. In seiner Zelle habe er weder Essen noch Trinken bekommen, obwohl er Wasser verlangte. Laguerres Augen seien vom Reizgas stark lädiert gewesen. Sein Mandant habe medizinische Hilfe verlangt, aber nicht bekommen. Gegen 21.30 Uhr sei er kommentarlos entlassen worden. „Ich konnte immer noch nicht richtig sehen“, so Laguerre zur taz. „Ich wusste nicht, wie ich nach Hause kommen soll.“ Sieben Stunden habe die Aktion gedauert.

Einen Monat später erfährt Laguerre, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn – genauso wie gegen den Angreifer Y. – ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet hat. Anwalt Knappmann-Korn verlangt Akteneinsicht. Es stellt sich heraus, dass zwei wichtige Beweismittel nicht mehr auffindbar sind: das Reizgas, mit dem Laguerre besprüht worden ist, und das Überwachungsvideo aus dem Gesundbrunnen-Center, auf dem der Vorfall vermutlich dokumentiert war.

Erst im Januar 2016 stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Laguerre ein. Genauso wie die Ermittlungen gegen Y. Laguerre legt gegen die Einstellung, die Y. betrifft, Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft ein. In dem Schriftsatz weist sein Anwalt darauf hin, dass sein Mandant in der Zwischenzeit noch mehrmals von Y. bedroht worden sei. Ende Februar 2016 weist die Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde ab. Nun ist nur noch das Verfahren gegen die Polizisten und die Sicherheitsleute offen.